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Träume sind analog – Review „An Impossible Project“

Wenn alle dem digitalen Gold hinterherrennen, wer bleibt dann stehen, um die wahren Schätze zu retten? Ein Dokumentarfilm über die Schönheit des Unperfekten.
| Charlotte Möller |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Polaroidkamera mit PolaroidbildBru-nO | Pixabay

Ein Film für die Leinwand

Ich weiß nicht, wie es euch geht. Ich bin der starken Überzeugung, dass es Filme gibt, die im Kino gesehen werden müssen. Dann welche, die auf dem Fernseher ebenso gut wirken können und schließlich gibt es noch Filme, die ich lieblos auf meinen PC verbanne. In letzter Zeit habe ich diese Kategorien allerdings ein bisschen aufgeweicht. Seit ich mir ein Kinoabo zugelegt habe, um so häufig es geht der Realität entfliehen und in die fabelhafte Welt des Kinos eintreten zu können, gucke ich auch die Filme im Kino, die ich sonst zuhause schauen würde. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe mir eine Doku angesehen. Ein paar Trailer reichten und ich war gepackt von der Ästhetik und der Geschichte von An Impossible Project. Der Film von Regisseur Jens Meurer stand ganz oben auf meiner Liste und so machte ich mich an einem Sonntagmittag auf den Weg zum Kino. In erster Linie, um mich berieseln zu lassen. Mit der schlussendlichen Wirkung des Films hatte ich nicht gerechnet.

Wenn es nicht unmöglich ist, macht es nur halb so viel Spaß, oder?

Wie viel Spaß An Impossible Project wirklich machen kann, zeigt der gleichnamige Dokumentationsfilm über die Rettung der analogen Welt in diesem digitalen Zeitalter. Der Film erzählt die verrückte Geschichte des Wiener Unternehmers Florian Kaps. Er hat es sich zum Ziel gemacht, die letzte Polaroid-Fabrik der Welt vor dem Abriss zu bewahren und sie mit neuem Leben zu füllen. Wir begleiten Kaps, der eigentlich nur als Doc bekannt ist, auf einer jahrelangen Reise. Der Film trägt uns von der Erfindung des iPhones bis in ein gewissermaßen modernes Retro-Zeitalter. Man könnte Doc als Retro-Visionär bezeichnen. Doc hat sein Leben den unmöglichen Projekten verschrieben. Ist das Vorhaben möglich, sieht er keinen Reiz in ihm. Ist ein Projekt begonnen, kümmert er sich um das nächste. Eine Rastlosigkeit treibt ihn an. Zur Unterstützung holt sich Doc viele junge Köpfe als „Digital Natives“ mit ins Team, die, wie er, an eine analoge Zukunft glauben. Unter ihnen auch Oskar Smolokowski, heute CEO von Polaroid Originals.

Analog vs. Digital, Leidenschaft vs. Realismus, Erhalt vs. Innovation

Wie bei jeder guten echten Erfolgsgeschichte, laufen auch Docs Projekte nicht immer ganz glatt. Ich möchte hier nur einen Hinweis geben, da ich davon ausgehe, dass ihr euch den Film nach dieser Review auf die Liste schreiben werdet. Ein Business lebt nicht von Liebe. Das ist hart, aber es ist wahr und das muss auch Doc zu spüren bekommen. In An Impossible Project können wir einem Träumer dabei zusehen, wie er mit seiner Vision international Verbündete sammelt, um mit aller Kraft gegen die Übermacht der Tech-Giganten anzukommen. Dabei schlägt er immer wieder neue Wege ein, die ihn bis auf’s Gelände des Facebook Headquarter führen.

Eine Liebeserklärung auf Film gedreht

Das Besondere an der Dokumentation: Auch die Produktion setzt auf analoge Technik. Sie ist auf 35mm-Film gedreht und hat damit einen wundervoll unperfekten Look. Voll mit künstlerischeren Bildkompositionen, ruhigen Bildabfolgen, stehenden Bildern und natürlich gespickt mit jeder Menge Polaroidaufnahmen. Dazu eine passende musikalische Untermalung. Die Einsätze ruhiger Jazz- und Klassikmelodien und die Einsätze der Live auf Vinyl eingespielten Orchesterauftritte im Film unterstreichen die besondere Atmosphäre. Einfach stilecht von vorne bis hinten. Dadurch ist schon der Film an sich ein Beweis dafür, welch schöne Ästhetik analoge Technik schaffen kann.

In diesem Film steckt so viel mehr als nur die unmögliche Geschichte der Polaroid-Rettung, er schwingt auch ein leichter Hauch von Moral mit. Als ich nach der Vorstellung das Kino verlasse und mich inmitten einer geschäftigen Kreuzung wiederfinde, bin ich kurz sehr überfordert. Ich hatte gar nicht bemerkt, was für eine entschleunigende Wirkung der Film auf mich hatte. Docs Geschichte regt zum Nachdenken und vor allem zum Überdenken des eigenen digitalen, schnelllebigen Lebensstiles an. Der Wunsch nach Digital Detox, die verzweifelte Suche nach etwas „Echtem“, einem Erlebnis für alle Sinne. Vinyl, Filmkameras, Livemusik, Schreibmaschine, wie auch immer ihr dieses „Echte“ erleben wollt. Das finden wir nicht auf einem Bildschirm, das erleben wir nicht in den Sozialen Medien.

Ein Must-See für analoge Veterane

Letztendlich muss ich zugeben, dass der Film mich diesen Monat mit am meisten überzeugt hat und ja, ich habe viele Filme geschaut. Aber auch das sollte nicht weiter verwunderlich sein. Die besten Geschichten schreibt doch schließlich immer noch das Leben, richtig? Die Dokumentation ist ein Genuss für Auge und Ohr und weckt zudem die Sehnsucht nach realen Erlebnissen in dieser digitalisierten, stressgeleiteten Welt der Zuckerbergs und ist damit eine absolute Sehempfehlung für alle Träumer und analoge Veterane.

Den besonderen Dokumentationsfilm gibt es nicht überall zu sehen, wie schön, dass wir in Münster auch Themenkinos vor Ort haben. Ihr könnt den Film in Originalton (Englisch und Deutsch) mit Untertiteln in der Kurbelkiste schauen. Hier gibt’s die Tickets und den Trailer http://www.cinema-muenster.de/index.php?id=7042 .

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Charlotte Möller

Wenn ihr mich sucht: Ich bin im Kino, oder im Theater, oder im Studio... oder gerade außer Land. Ich habe mein Studium der Kommunikationswissenschaft in Münster abgeschlossen und streuner gerade durch Berlin. Nebenbei verfolge ich meine Leidenschaft für das Schauspiel, die Dramaturgie und die Foto- und Videographie. Gebt mir eine Möglichkeit kreativ zu werden und ich bin dabei!

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