Gesellschaft und Lifestyle / Meinung
Von Konfrontation und guten Taten
Mein Gedankengang zu Demonstrationen, Toleranz und Gewalt
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Etwa 1000 Neonazis wurden am 4. Juni 2016 erwartet, die zum selbsternannten „Tag der deutschen Zukunft“ ihr Gedankengut durch die Innenstadt Dortmunds tragen wollten. Eine linksorientierte Gegendemonstration war angekündigt und letztlich mehr als doppelt so groß wie die Demo der Rechtsradikalen.
Vermutlich bin ich keine typische Politikstudentin. In Diskussionen mit Freunden komme ich mir oftmals verhältnismäßig konservativ vor. Ich bin Verteidigerin Konrad Adenauers, bin überzeugt, dass ein Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und Nordamerika nicht mehr aufzuhalten ist und schreie auf Demonstrationen keine extrem linken Parolen wie „Nieder mit Deutschland!“ mit.
Überhaupt demonstriere ich selten, irgendwie bin ich dafür zu brav. Gewiss verabscheue ich menschenverachtende Gedanken und Taten: Ich befürworte aktiv Toleranz, indem ich mich in alltäglichen Diskussionen und auch durch soziales Engagement bemühe, sozio-kulturelle Barrieren zu überwinden und real existente Ungleichheiten auszugleichen. Dennoch ist es ein unschätzbares demokratisches Gut, die eigene Meinung kundgeben zu dürfen. Außerdem erachte ich es als gesellschaftliche Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass Menschenentwürdigendes nicht stattfindet – schon gar nicht aufgrund von oberflächlichen Äußerlichkeiten.
Deshalb beschloss ich letzten Samstag, mich der Gegendemonstration zum Neonazi-Aufmarsch in Dortmund anzuschließen. Es ging darum zu zeigen, dass die Rechtsradikalen mit ihren gruseligen Zukunftsvisionen nicht durchkommen und, dass ihnen ihre dreiste Geschichtsignoranz vor Augen geführt wird, indem man sie mit einer konträren Mentalität konfrontiert.
Mit der Konfrontation war das aber so eine Sache. Die Gegendemo, bei der ich mitlief, wurde kurze Zeit nach der Zusammenfindung, ironischerweise in Nähe der Kesselstraße, von der Polizei eingekesselt. Riesenwürfel der Demonstranten, die eigentlich zur Blockade gegen die Rechtsradikalen gedacht waren, kamen zum Einsatz. Einige Linksautonome versuchten, die Polizeimauer zu durchdringen, jedoch griffen die Polizisten schnell zum Pfefferspray. Es dauerte lange, bis es weitergehen konnte, doch irgendwann schien ein Kompromiss gefunden worden zu sein. Und ehe man sich versah, marschierte das breite Spektrum der Linken weiter – allerdings eskortiert von der Polizei. Es kam mir seltsam vor, dass diejenigen, die wenige Minuten zuvor noch gegen die Polizei hetzten und sie beschuldigten, gemeinsame Sache mit den Rechtsradikalen zu machen, auf einmal die polizeiliche Begleitung akzeptierten. Natürlich versuchten ein paar, aus der Eskorte auszubrechen – die Zahl derjenigen, die es schafften, war jedoch gering.
Kein Meter den Nazis war die Philosophie, jedoch schien es mir, als blockierten wir ein paar Meter, in deren unmittelbarer Nähe sich nicht mal ein einziger Neonazi befand. So gingen wir, linke Sprüche schmetternd, weiter durch die Stadt und zwar schön so, dass wir ja nicht mit der rechten Demo in Kontakt traten. Doch war direkte Konfrontation nicht das Ziel? Im Duden wird „Demonstration“ unter anderem als „sichtbarer Ausdruck einer bestimmten Ansicht“ ausgelegt. Den Rechtsradikalen war bewusst, dass wir da waren und was unsere Absicht war – trotzdem waren wir unsichtbar.
Aufgrund dessen beschloss ich bereits am Nachmittag, zurück nach Hause zu fahren. Die Gruppe bei der ich zuvor mitlief und auch andere, konnten die Naziaufmärsche zwar verzögern, jedoch nicht aufhalten, da ihre Sitzblockaden an Bahnhofstationen aufgelöst wurden. Viel mehr noch: Wie mir später erzählt wurde und wie es aus der Berichterstattung hervorging, wurden auch friedliche und gemäßigte Demonstranten festgenommen. Solche, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, wurden wahllos aus den Reihen gezogen. Ich erfuhr, dass einige versuchten, selbstständig in die Nähe der Rechtspopulisten zu gelangen, dies aber daran scheiterte, dass die Hundertschaften der Polizei jeden potentiellen Kontakt zu verhindern suchten. Ich erkenne den Sinn hinter dem Großaufgebot der Polizei absolut an. Niemand will sich vorstellen, was passiert wäre, wenn man Links- und Rechtsradikale aufeinander losgelassen hätte. Die beiden Extrema schaukeln sich gegenseitig in ihrer blinden Wut hoch, hin zur völligen Eskalation. Soweit, dass man es den Gegendemonstranten mit eigentlich guten Absichten nicht mehr zutrauen kann, ein positives Gegenbeispiel zu sein. Friedlich bleiben und so wahrhaftig ein Zeichen setzen ist dann nicht mehr drin. Unter diesen Gesichtspunkten kann man verstehen, warum die Polizei alles daran setzt, zwei dermaßen verfeindete Lager voneinander fern zu halten.
Ich bin nun wirklich kein radikaler Mensch. Radikal für etwas vermeintlich Gutes zu sein, kann auch Schlechtes hervorbringen. Wer der Gewalt durch Andere eine Absage erteilt, sollte selbst keine Gewalt für diese Meinung anwenden. Mir ist klar, dass die Einstellung sehr idealistisch ist. Ein Antifa-Demonstrant (antifaschistisch) würde beim Lesen dieser Zeilen vermutlich fassungslos den Kopf schütteln, mich als „Nichtstuerin“ bezeichnen oder mich sogar beschimpfen, durch diese vermeintliche Untätigkeit Schlechtes geschehen zu lassen und es so indirekt zu unterstützen. Ich weiß aber, dass das nicht stimmt. Ich nehme meine Pflicht anders wahr und befürworte den Grundsatz, Gewalt nicht mit Gewalt zu bekämpfen. Es geht mir lediglich darum bereit zu sein, für die eigenen menschenfreundlichen Werte einzustehen. Dabei ist es irrelevant, ob sie sich vornehmlich aus Erziehung, Religion, Ethik, Kultur oder persönlichen Erfahrungen speisen.
Ob diese Bereitschaft im Kleinen oder im Großen ausgelebt wird, ist prinzipiell egal. Hauptsache ist, man tut etwas. Man tut etwas, indem man demonstriert. Man tut aber auch etwas, indem man Konter gibt, wenn der Sitznachbar im Zug beim Zeitunglesen etwas unüberlegt Rassistisches äußert. Man tut etwas, indem man Sticker mit Aufschriften à la „kein Mensch ist illegal“ an Laternen klebt. Man tut etwas, indem man sich Vorträge zu gesellschaftlich wichtigen Themen anhört und Interesse an dem zeigt, was sich in unserer Gesellschaft abspielt. Und man tut auch etwas, indem man sich einfach mal anhört, was der Andere zu sagen hat, ohne dass voreingenommene Gedanken die Debatte leiten.
Das alltäglichste Mittel, Toleranz zu verbreiten, ist die gewöhnliche Diskussion, sei es in der Familie oder im Freundeskreis. Dass wir alle unterschiedliche Meinungen zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik, zu TTIP oder zu was auch immer haben, ist völlig klar. Aber es ist auch Gold wert, dass es so sein darf, vielmehr noch, es so sein soll.
„Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, sagte einst schon Immanuel Kant. Hoffentlich gebe ich euch mit diesem Artikel ein wenig Mut, für menschenfreundliche Werte einzustehen und so in einer Zeit, in der Demokratie vielerorts nur noch ein ausgehöhltes Abstraktum darstellt, wehrhaft freie und philanthropische Überzeugungen zu vertreten – und zwar ohne Gewalt.
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Melina Ritterbach
Bookstock-Festival für alle Buchliebhaberinnen und -liebhaber
Neu in Münster? – Die Hotspots, die man kennen sollte
Lese-Lust im Sommer – Empfehlungen der Redaktion
„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview
Tags: BerichtDemoDemonstrationDortmundGegendemoGewaltLinksNeonazisRadikalRechtsReportageStraßeToleranz