Tatsächlich gelesen: Mein Cornwall (Daphne du Maurier)
Werfen wir gemeinsam einen Blick auf das literarische Werk einer der wichtigsten Autorinnen des letzten Jahrhunderts: Daphne du Maurier.
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Sandra Hein | seitenwaelzer.deDie Küste Cornwalls - herrliche Strände und türkisblaues Meer. Tja, wäre da nicht manchmal der plötzlich aufkommende Regen... Man würde denken, man sei in der Karibik.
Manchmal ähneln Ereignisse des Lebens komödiantischen Buchkapiteln und andersherum: Nichtsahnend stand ich vor einigen Jahren während eines Cornwallurlaubs in St. Ives an der Kaimauer und genoss beim Licht der Goldenen Stunde meine Fish ’n‘ Chips. Besser gesagt: Ich war gerade im Begriff, mir die erste Pommes aus der Tüte schmecken zu lassen als mich mit einem Mal ein kalter Luftzug, kombiniert mit lautem Flattern und Geschrei, zusammenzucken ließ. Schwupps war die Pommes dahin und mit ihr eine zufriedene Möwe. Dabei sollte es allerdings nicht bleiben. Von diesem Schrecken noch nicht erholt, sah ich ein Geschwader auf mich zufliegen: Die kleine Diebin hatte ihre Familie benachrichtigt. Das Ende der Geschicht‘: Traue einer Möwe nicht! Meine Eltern, mein Bruder und ich retteten uns letztlich ins Auto – wo wir noch eine ganze Weile lang von hunderten Möwen belagert wurden.
Ein Klassiker der Reiseliteratur aus der Feder einer der britischen Schauerromanautorinnen
Das ist eben Cornwall, würde Daphne du Maurier jetzt schulterzuckend sagen und die muss es wissen. Mit fünf Jahren verbrachte die später weltbekannte Autorin ihren ersten Sommer im äußersten Zipfel Großbritanniens: in Cornwall, ganz im Westen liegend, wo die Natur noch naturbelassen ist und das Leben der Einheimischen nach Wind und Wetter geformt wird. In jungen Erwachsenenjahren entschied sie sich, für immer zu bleiben.
Meine Urlaubsgeschichte ähnelt der Handlung der von Alfred Hitchcock verfilmten Kurzgeschichte „Die Vögel“. Kein Wunder: Das Buch spielt wie alle von Daphne du Mauriers Werken in Cornwall. Als gleichermaßen Reise-, Literatur- wie Großbritannienfan habe ich mich dieses Mal dem Werk einer der wichtigsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts gewidmet. Im Gegensatz zu ihrer Gothic Novel „Rebecca“ ist ihr Werk „Mein Cornwall“ (1967) vergleichsweise unbekannt. Dennoch ist es als Quintessenz all ihrer Geschichten anzusehen: Sie beschreibt darin die raue Natur der cornischen Landschaft und ihrer Bewohner.
Cornwall: Das ist das Brüllen des nahen Meeres und die Stille der Hochebene
Kalter Regen, der die Haare klitschnass triefend an den Körper klebt – bei gleichzeitigem Sonnenschein: Das ist Cornwall im Sommer. Im Winter dagegen erschwert einem der scheinbar aus dem Nichts kriechende, schwarze Nebel und sein Begleiter, der peitschende Westwind, der einem durch Mark und Bein kriecht, die Sicht und das Gehen. Da bleibt nur der Pub, um sich am Feuer zu wärmen und sich bei einem Pint (engl. Volumeneinheit für Getränke) an alten Geschichten zu erfreuen. Der Gegensatz aus rauer, atemberaubender Natur, dem Inferno der brechenden Wellen, der Kakophonie der Möwen sowie zugleich der Ruhe, die über den Moorebenen liegt – all das macht Cornwall und zugleich du Mauriers knapp 190-seitiges Bändchen aus.
Obwohl ich im ersten Moment hin und weg war, dass es ein Buch über meine Lieblingsregion gibt, dämpfte sich mein Hochgefühl stark nach den ersten drei Seiten. Daphne du Maurier Schreibstil ist außergewöhnlich, man mag gar sagen anstrengend. Sehr anstrengend. Manchmal folgen auf einen Satz seitenlange Exkurse, bis man unlängst vergessen hat, was zu Beginn gesagt worden war. Es ähnelt dem Temperament des cornischen Wetters, wie ich es selbst im Urlaub kennengelernt habe. Man sagt zwar dem englischen Wetter seiner Wechselhaftigkeit nach, aber das ist nichts gegen das Wetter am Ende der Welt – Land’s End, wie die Briten sagen.
Das Buch ist exakt wie dieses beschriebene Wetter: Ohne roten Faden springt die Autorin durch die Zeitgeschichte und wirft mit kultivierten alt-englischen und cornischen Ausdrücken um sich. Mal liest man vom realen Cornwall der heutigen Zeit, ein paar Zeilen darunter wird man in die frühe Besiedlung der Region katapultiert. Es liest sich weniger wie ein durchgängiger Roman als vielmehr wie Dichtung in Prosa. Ein vermeintlicher Tatsachenbericht über cornischen Sitten, Traditionen und die Geographie des Landes, der sich als romantisiertes Bild der zugezogenen Autorin über ihre Walheimat entpuppt. Schön und episch, aber verwirrend und teils schwer nachzuvollziehen. Obgleich kein Sachbuch tragen die Kapitelüberschriften klangvolle Namen wie „Ursprünge und Zugänge“, „Moore und Lehmgruben“ oder „Häfen und Heringe“. Sehr einladend, aber nichts ist bei du Maurier wie es scheint – hinter diesen Kapiteln verstecken sich faszinierende Mythen, Ausschmückungen und Ausschweifungen über Orte wie Plymouth, Lizard Point, Penzance oder Polperro. Alles Schauplätze unzähliger Weltliteraturklassikern wie den Schauerromanen von Wilkie Collins, den Kriminalgeschichten von Agatha Christie und natürlich den Schmugglergeschichten Enid Blytons, in denen die fünf Freunde aktiv werden.

Cornwall – Schauplatz unzähliger Mythen und harter Lebensrealität
Die Region Cornwall ist vielen nicht so sehr als Urlaubsregion, denn als Ort von Mythen bekannt. Tintagel Castle (s.o.), wo Merlin gelebt haben soll oder die zerklüfteten Felsen, um die sich Geschichten von Schmugglern ranken, seien hier genannt. In ihrem Roman sehnt sich du Maurier nach dem, ihrer Meinung nach, „entschwindenden“ Cornwall (vgl. Original-Titel des Werkes: Vanishing Cornwall) der letzten Jahrhunderte, das von Legenden um geheimnisvolle Schlösser wie dem von König Artus oder den Spelunken wie das real existierende „Jamaica Inn“, einen der ehemaligen Piraten-Pubs, geprägt wurde.
„Schmuggeln ist ein Wort, bei dem man sich Männer mit schwarzen Binden über den Augen vorstellt, und gestreifte Wolljacken mit Zipfelmützen, wie sie Fässer mit Brandwein und Rum in geheime Keller rollen. Wie König Arthus und seine Ritter, die über das Moor nach Tintagel galoppierten, ist auch dieser Begriff unmittelbar mit Cornwall verbunden, obgleich das Handwerk die englische Küste hin hinauf und hinunterbetrieben wurde.“
Daphne du Maurier: Mein Cornwall. Schönheit und Geheimnis, 1. Auflage, Insel Verlag, Frankfurt am Main & Leipzig 2016, S. 178
Andererseits spannt du Maurier auch einen Bogen zum harten Leben in solch einer rauen Natur: Sie beschreibt meisterhaft lyrisch das harte, zehrende und so gar nicht poetisch wirkende Leben der vom Wetter gegerbten, der Gnade des Meeres ausgelieferten Fischer, die in dem schwierigen Fahrwasser „am Ende der Welt“ versuchen, Heringsschwärme zu fangen oder auch die harte Arbeit der Zinngräber, die in den Höhlen endlos schuftend nach den Schätzen der Erde für das Vermögen des Britischen Empire gruben.
Leseempfehlung nicht unbedingt – Reiseempfehlung immer!
Eine Empfehlung wie bei anderen hier rezensierten Romanen mag ich nicht aussprechen. Dazu ist das Buch zu spezifisch – ich denke, es ist vor allem für Menschen, die den Schreibstil du Mauriers aus anderen Romanen lieben, oder solche wie meine Wenigkeit, die mehr über die Region durch eine ihrer größten Fürsprecher*innen erfahren möchten. Das Buch liest sich schwer, man kämpft sich beinahe durch den tosenden Sturm und die Widrigkeiten des dortigen Lebens, die die Autorin so ausschweifend beschreibt. Ob mich dies dann doch so fesselte oder ob es meine bereits bestehende Liebe zu dieser Gegend war, die mich das Buch zu Ende lesen ließ – ich kann es schwer sagen.
Bleibt man dran und lässt sich darauf ein, dann schmeckt man die salzige Luft, steht an der schroffen Klippe und erlebt das wechselhafte Wetter. Dann sieht vor seinem inneren Auge die wild gedeihende Flora und Fauna, wie die blühende Heide, das bunte Treiben der Möwen, sowie die weißen, menschenleeren Strände und die grandiose Aussicht auf den türkisfarbenen Atlantik oder den Ärmelkanal. Cornwall ist eben, wie du Maurier schreibt und man bei einem Urlaub selbst erleben kann, an vielen Orten immer noch ein unberührtes Kleinod.
Wenn das Buch eines schafft, dann den Leser in die absolute Versuchung zu bringen, in den nächsten Flieger oder auf die nächste Fähre gen Großbritannien zu steigen und sich das Land und seine Leute anzuschauen – solch eine Neugier und Reiselust schafft nicht jedes Buch und das sagt doch sehr viel über die literarische Qualität dieses Werkes aus, oder nicht?
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Sandra Hein
Liebt und lebt ihr Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie samt all seinen Klischees. Dazu gehört selbstverständlich Frida Kahlo und Vincent van Gogh als seine besten Freunde zu betrachten und sich in Pompeji ohne Stadtplan problemlos zurechtzufinden ;) Als kleiner Bücherdrache ernährt sie sich hauptsächlich von Abenteuern aus den Jules-Verne-Romanen oder alten schwarz-Weiß-Krimis und möchte als neue olympischen Sportart einen Besuchs-Marathon durch alle europäischen Museen vorschlagen. Sollte der Traumjob Kuratorin nicht in Erfüllung gehen, sieht sie sich als Geist in einem schottischen Castle. Freund*innen munkeln, dass sie wahrscheinlich mehr schwarzen Ostfriesentee als Blut im Körper besitzt…
Sandra Hein | seitenwaelzer.de Tatsächlich gelesen: Anne of Green Gables (Lucy Maud Montgomery)
© The Walt Disney Company Pulsierende Techno-Party für die Augen – Review „Tron: Ares“
Dominik Schiffer | seitenwaelzer.de Tatsächlich gelesen: Irish Fairy Tales and Folklore (W.B. Yeats)
© LEONINE Studios Femme fatale mit Flammenwerfer – Review „Ballerina“
Tags: CornwallDaphne du MauriergroßbritannienKlassikerLiteraturreiseliteraturRezensionUrlaub