Kino & Serie / Kultur und Medien
Filmreview: Loving Vincent
Eine Liebeserklärung an Van Gogh
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Als ich vor über einem Jahr den ersten Trailer zu dem Animationsfilm „Loving Vincent“ gesehen habe, wusste ich sofort, dass ich mir diesen Film ansehen muss. Ab der ersten Sekunde war klar, dass dieser Film einzigartig werden und bisher noch nicht da gewesene Bilder zeigen würde. Vor ein paar Wochen habe ich dann zufällig von der Veröffentlichung erfahren und mir natürlich sofort eine Karte für die nächste Vorstellung gekauft! Was den Film so einzigartig macht und warum ihr ihn sehen solltet, erfahrt ihr hier.
Die Produktion
Der Trailer lässt schon erahnen, dass dieser Film kein Animationsfilm im herkömmlichen Sinne ist: Die Bilder enstanden nämlich nicht am Computer, sondern sind mit Öl-Farben gemalt. Dafür wurde der Film zunächst gedreht, wie jeder andere Film auch. Szenen mit Schauspielern wurden in teilweise echten Kulissen und vor Greenscreens aufgenommen und zu einem Gesamtwerk zusammengeschnitten – so weit, so gut.
Die beiden Co-Regisseure Dorota Kobiela und Hugh Welchman wollten ihrem Werk, das ursprünglich nur als Kurzfilm gedacht war, jedoch die Kunst von Vincent Van Gogh höchstpersönlich einhauchen. So wurden die gedrehten Shots (Shot = Folge von Einzelbildern, sogenannten Frames, die ohne Unterbrechung mit einer Kamera aufgenommen werden) auseinandergenommen und im Stil des Ausnahmetalents Vincent Van Gogh überarbeitet. Dafür malten Künstler jeden einzelnen der 65.000 Frames per Hand mit Öl-Farben nach. Als Stütze halfen den beteiligten Künstlern die real gedrehten Szenen. Im Verlauf der Nachbearbeitung übermalten die Künstler den ersten Frame jedes Shots mit den darauffolgenden Frames, sodass am Ende der Produktion 853 Öl Gemälde übrigblieben, die den jeweils letzten Frame der einzelnen Shots zeigen. Diese riesige Aufgabe bewältigten über 120 Künstler über mehrere Jahre.
Der Stil
Das Ergebnis ist ein außergewöhnliches, visuelles Novum, das seinesgleichen sucht. Interessant sind die immer wieder auftauchenden Anlehnungen an tatsächliche Kunstwerke Van Goghs, die in leicht abgeänderter Form ihren Platz im Film finden. Auffallend ist auch der Stilwechsel zwischen einigen Szenen im Film. Die Haupthandlung des Films ist in Farbe und Van Goghs typischem Stil mit groben Pinselstrichen gemalt, während die Rückblenden in Schwarz-Weiß gehalten sind und fast fotorealistisch wirken. Entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen war es kein bisschen anstrengend, dem Stil über die gesamte Länge des Films zu folgen. Die Öl Animationen erschaffen eine erstaunliche Dynamik, an der man sich nicht satt sehen kann.
Die Story
Die Story von Loving Vincent gleicht einem klassischen Krimi und hat durchaus Potential, auch ohne die einzigartige Gestaltung des Films zu überzeugen. Ein Jahr nach dem Tod Van Goghs beauftragt ein enger Vertrauter des Malers und Postmeister der Stadt Arles seinen Sohn Armand damit, einen Brief des verstorbenen Künstlers an dessen Bruder Theo zuzustellen. Schon bald muss Armand allerdings feststellen, dass Theo ebenfalls verstorben ist. Daher macht er sich auf den Weg, eine geeignete Person zu finden, die Van Gogh nahe genug stand und der er den Brief zustellen kann. Auf seiner Suche begegnet er einer Reihe von Menschen, deren Erzählungen über Van Gogh und seine Zeit in der Stadt Auvers Fragen über die Umstände seines Todes aufwerfen. Hat er sich wirklich selber umgebracht oder war es Mord?
Die Personen im Film wurden anhand der zahlreichen Briefe, die Van Gogh zu seinen Lebzeiten schrieb, entwickelt. Besonders die Rückblenden zeichnen ein trauriges Bild des Künstlers und seines Leidens. Dieses Bild weicht deutlich von dem des verrückten Malers, der sich ein Ohr abgeschnitten hat, ab und weckt Mitleid. Allerdings bleiben am Ende des Films einige Fragen offen und lassen den Betrachter im Unklaren. Dies ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass man tatsächlich nicht viel über die Umstände von Van Goghs Tod weiß.
Die Musik
Der Soundtrack von Clint Mansell (Black Mirror, The Wrestler, Black Swan, u.a.) untermauert die einzelnen Szenen des Films sehr passend, ohne den Fokus von den Bildern zu nehmen. Dabei setzt Mansell auf klassische Musik, hauptsächlich aus Klavier und Streichern bestehend. Im Abspann ist eine Coverversion des Songs „Vincent“ von Don McLean zu hören.
Wirklich außergewöhnlich bleibt die visuelle Gestaltung von Loving Vincent, die sich als Hommage an den zu Lebzeiten unterschätzten Van Gogh versteht. Zusammen mit der spannenden Geschichte und dem Soundtrack ergibt sich ein schöner Film, der jeden Kunstfan und Cineasten begeistern dürfte. Ein wahres Kunstwerk der Filmgeschichte, das man sich nicht entgehen lassen sollte.
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Joshua Sans
Während meines Politik- und Islamwissenschaftsstudium arbeite ich nebenbei daran, aus dem Interesse am Schreiben Kapital zu schlagen, um so die Leiden der Lohnabhängigkeit etwas erträglicher zu machen. Neben pseudointellektueller Kapitalismuskritik interessiere ich mich vor allem für Sprachen, politische Theorie und Musik in (fast) all ihren Erscheinungsformen.
Im Wandel (Teil 2): Wie die Literatur Frauenbilder widerspiegelt
Im Wandel (Teil 1): Frauenbilder der westlichen Welt
Tatsächlich gelesen: Fünf Freunde oder das Phänomen der Nostalgie (Enid Blyton)
Tatsächlich gelesen: Naokos Lächeln (Haruki Murakami)
Tags: FilmKinoKunstKünstlerLoving VincentMalereiVan GoghVincent Van Gogh