Ernährung / Reportage

Mein (nicht ganz so) umweltbewusstes Leben in Istanbul

Von Verzweiflung und Hoffnung - Ein Trauerspiel in zwei Akten
| Amelie Haupt |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Tanyel

Ich hatte mir in Köln also einen schönen, umweltfreundlichen Alltagskonsum eingerichtet. Mein Jutebeutel und ich waren ein gutes Team, und ich habe mich rundum gesund und moralisch wohl gefühlt.
Nun bin ich jedoch als Erasmus-Studentin in Istanbul, und mein Umweltbewusstsein sitzt seit einem Monat in der hintersten Ecke meines hübschen idealistischen Weltbildes und schnieft in eben jenen Jutebeutel. Es ist zum einen die sprachliche Barriere, die mir zu schaffen macht und zum anderen sind es die kulturellen Differenzen. Ich kann nicht fragen, wo und wie die Hühner gehalten werden, deren Eier ich zum Omelette verarbeite. Ich weiß nicht, was für Pestizide eingesetzt werden und was genau „organik“ für die türkischen Hersteller bedeutet.

Aber selbst, wenn ich mich verständlich ausdrücke, dass ich keine Plastiktüte für meine Einkäufe möchte, werde ich nicht verstanden. Aus kultureller Perspektive. Es ist dem betagten Herrn an der Gemüsewaage im Supermarkt einfach ein Rätsel, dass ich immer wieder „kein Plastik“ sage. Allerdings sieht er keine andere Möglichkeit, wo er die Etikettaufkleber sonst kleben könnte und verstaut die Waren weiterhin in den dünnen Plastiktütchen. Ich resigniere und bin froh, dass er wenigstens die verschiedenen Gemüsesorten in ein und dieselbe Tüte legt.

Für gewöhnlich stoße ich bei türkischen Gesprächspartnern beim Thema Umweltbewusstsein und Vegetarismus auf taube Ohren. Die Konsequenzen unseres exorbitanten Plastik- und Fleischkonsums sind in den türkischen Medien weniger präsent und somit den meisten nicht bewusst.
In einer Bar hatte ich ein amüsantes politisch-soziologisch angehauchtes Gespräch über dieses Thema. Mein Konversationspartner war gebürtiger Türke und wir philosophierten über die Unterschiede zwischen Europa und der Türkei. Ich vertrat die These, dass zumindest Istanbul sowie die meisten anderen großen Städte in der Türkei sehr europäisch und westlich orientiert sind. Er war jedoch der Meinung, dass der Großteil der Türken aufgrund ihrer Kultur und besonders ihrer Religion zu verschieden seien und sich nicht in Europa integrieren könnten. Schon beim Essen würde man das merken. „Schließlich essen die meisten Türken, selbst wenn sie nicht religiös sind, kein Schweinefleisch“. „Das macht nichts“, meinte ich, „ich auch nicht. Genau genommen esse ich generell kein Fleisch, weil ich Vegetarierin bin. Und meine finnische Mitbewohnerin hier, isst ebenfalls kein Fleisch. Der Verzicht auf Schweinefleisch würde nun wirklich kein Integrationshindernis darstellen.“ Daraufhin starrte er mich in völligem Unverständnis an und ich verbrachte die nächsten fünf Minuten damit, ihm zu erklären, warum ich freiwillig auf Fleisch verzichte. Ist kultureller Austausch nicht etwas Wunderbares?

Generell muss ich aber wirklich gestehen, dass mir besonders das vegetarische Leben nicht zu 100 % gelingt. Zu Hause koche ich natürlich noch immer ohne Fleisch, allerdings sind die Versuchungen in Restaurants und auf der Straße einfach zu groß. Ich möchte mich nicht selbst geißeln und mich nur von Salat und Pommes ernähren, wenn ich mit Freunden unterwegs bin. Der Mangel an attraktiven vegetarischen Optionen lässt mich gelegentlich schwach werden und ich probiere Gerichte mit Fleischbeilage.
Zudem kommt für mich noch der kulturelle Aspekt hinzu: Wenn ich eine Kultur von der kulinarischen Seite her kennenlernen möchte, bin ich der Meinung, dass man alles probieren muss, was man als „typisches“ Gericht vor die Nase gesetzt bekommt.
Mit dieser Einstellung komme ich ganz gut zurecht und ich falle damit wohl unter die Kategorie „Flexitarier“. Jetzt kommen zwar wieder kritische Stimmen, die sagen „dann isst du ja alles, was du willst, was soll das denn bitte?“ Und da sage ich: „Wenigstens verspeise ich nicht mehr total unreflektiert eine halbe Kuh in der Woche!“

Vegetarisches Frühstück
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Mein vegetarisches Frühstück

Da ich in meinem Plan, die Welt zu retten, einen deftigen interkulturellen Dämpfer verpasst bekommen habe, muss ich mir neue Strategien zurechtlegen, um meinen Prinzipien wenigstens annähernd treu zu bleiben. Sämtliche Plastiktüten, die sich bei mir unfreiwillig ansammeln, bewahre ich auf und verwende sie als Müllbeutel weiter. Ich fülle meine Wasserflasche zu Hause am Wasserspender auf, anstatt mir unterwegs kleine Wasserflaschen zu kaufen, die natürlich nicht recycelt werden. Milch kaufe ich in der Glasflasche und für Kleidung gibt es auch hier Secondhand- und Fairtrade-Läden. Ich koche weiterhin oft zu Hause, anstatt Imbiss-Essen in Plastikschalen mitzunehmen. Meistens jedenfalls. Börek ist nämlich eine ziemlich feine Sache und nichts, was man mal eben so in der eigenen Küche zubereitet.
Ich gebe also mein Bestes, um mein Umweltbewusstsein zu trösten und den Schaden, den ich der Natur antun muss, so gering wie möglich zu halten.

Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Letzte Woche habe ich herausgefunden, dass keine zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt jeden Samstag ein Bio-Markt stattfindet. Obst und Gemüse aus der Region, Eier aus Freilandhaltung und sogar umweltfreundliche Hygieneprodukte wie Zahnpasta oder Seife. Verstaut werden die Einkäufe in Papiertüten, auch wenn trotzdem noch viele Plastikverpackungen auf den Tischen zu finden sind.
Dieser regionale Bio-Markt ist zwar nur ein sehr kleiner Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft, aber dafür ein Schritt in die richtige Richtung.

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Titelbild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/66/Vankahvalti.jpg

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