Gesellschaft und Lifestyle / Ökokiste
Nachhaltigkeit – Hipper Trend, harter Überlebenskampf oder komplexe Wissenschaft?
Jeden Tag begegnen uns schockierende Berichte über verseuchte Meere, giftige Chemikalien und umweltschädliche Produkte. Den meisten Menschen ist mittlerweile bewusst geworden, dass wir Tag für Tag unseren Planeten ausbeuten. Daher versuchen viele, ihren Alltag umweltfreundlicher zu gestalten. Aber wie?
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Jeden Tag begegnen uns schockierende Berichte über verseuchte Meere, giftige Chemikalien und umweltschädliche Produkte. Den meisten Menschen ist mittlerweile bewusst geworden, dass wir Tag für Tag unseren Planeten ausbeuten. Daher versuchen viele, ihren Alltag umweltfreundlicher zu gestalten.
Hierfür gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, von veganer Ernährung über Verwendung von ökologischen Putzmitteln oder dem Elektroauto bis hin zum plastikfreien Einkauf. Natürlich ist es wichtig, dass wir unser Handeln ändern und mehr für unsere Erde tun. „Von allen Risiken ist es bei der Umwelt am offensichtlichsten, dass die Welt in eine Katastrophe schlafwandelt“ warnt der Weltrisikobericht.[1] Aber welche Verhaltensweisen sind wirklich sinnvoll? Denn um wirklich eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, kann nicht nur ein Faktor betrachtet werden, sondern das große Ganze muss einbezogen werden. Doch gerade die Produktionskette von Konsumgütern und die Entsorgung des Produkts sind für den Konsumenten meist sehr schwer zu überschauen. Und wie Menschen so sind, wenn wir uns selber nicht sicher sind, vertrauen wir gerne auf die Intelligenz der Masse. So haben sich viele sogenannte ökologische Lebensstile zum Trend entwickelt. Es ist hip geworden, vegan zu sein. T-Shirts mit Biobaumwolle werden mit großen Öko-Siegeln angepriesen. Alte Wodkaflaschen aus Glas sind die cooleren Trinkflaschen für den Uni-Alltag, denn Plastikflaschen sind schädlich. Und ich selbst besitze einen Haufen an Jute-Beuteln mit mehr oder weniger kreativen Aufdrucken, in die zusammen mehr rein passt, als ich jemals an einem Shoppingtag kaufen könnte.
Natürlich ist dieser Wandel nötig. Natürlich sollten wir uns Gedanken über unsere Erde und damit unsere Zukunft machen. Natürlich produzieren wir täglich tonnenweise Müll und natürlich verbrauchen wir viel zu viele Rohstoffe. Aber wir sollten richtige Lösungen mit Langzeitwirkung suchen. Wir sollten nicht ein Übel mit einem anderen ersetzen. Wir sollten Berichterstattungen kritisch hinterfragen. Und wir dürfen uns nicht von schön klingenden Wörtern und hübschen Bildern einlullen lassen.
Nachhaltigkeit – Was genau ist das eigentlich?
Nachhaltige Entwicklung wird definiert als eine “Entwicklung, welche die Bedürfnisse der jetzigen Generation so erfüllt, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse auch befriedigen können“.[2] Jedoch gehört zu unserer Welt der “Earth Overshoot Day”. An diesem Tag hat unsere Generation bereits so viele Ressourcen verbraucht, wie die Erde in einem Jahr erneuern könnte. Im Jahr 2018 war dieser Tag am 1. August, die Menschheit bräuchte also mehr als eine Erde, um ihre Bedürfnisse so zu befriedigen.[3] Von Nachhaltigkeit kann hier nicht die Rede sein. Es ist also klar, unsere Gewohnheiten müssen sich ändern. Doch welche Art von Veränderung ist wirklich sinnvoll? Die Komplexität dieser Frage sollte uns nicht abschrecken, eher sollte sie uns motivieren, die Auswirkungen unseres Handelns wirklich verstehen zu wollen. Denn dazu gehört mehr, als Fotos von Müsli aus dem hippen Unverpackt-Laden zusammen mit Bio-Erdbeeren zu posten.
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, nutzen Wissenschaftler die sogenannte Lebenszyklusanalyse. Hierbei wird jegliche Umweltwirkung eines Produkts betrachtet und das während des gesamten „Lebens“. Es geht also um eine Analyse vom Rohstoff über die Herstellung des fertigen Produkts bis hin zur Entsorgung. Hierbei werden auch die Nutzung und Prozesse, die mit dem Produkt verbunden sind, betrachtet. Natürlich ist es sehr schwierig, wirklich alle Faktoren ausreichend zu betrachten, doch die Lebenszyklusanalyse bietet einen notwendigen Blick über den Tellerrand.[4]
Lies auch: Nachhaltigkeit im Alltag – so schwer ist es nicht. Ein paar Tipps
Beispielsweise fahren immer mehr Elektroautos auf deutschen Straßen. Elektroautos werden gefeiert, trotz Nachteilen wie der Reichweite oder der Dauer des Aufladens. Das liegt natürlich daran, dass sie kein CO2 ausstoßen. Doch im Leben eines Elektroautos muss ebenfalls die Produktion betrachtet werden. Außerdem spielt die Klimabilanz des Stroms eine sehr wichtige Rolle, denn das Auto wird mit Strom getankt. So kann es nicht klimafreundlicher sein als dieser Strom. Zum Gesamtausstoß von klimaschädlichen Gasen unter Berücksichtigung dieser Prozesse gibt es unterschiedliche Studien, denn die Grundlagen zur Berechnung können sehr verschieden sein. Laut einer aktuellen Studie des Bundesministeriums stoßen die neusten Elektroautos zwischen 16 und 27 % weniger von diesen Gasen aus.[5] Insgesamt ist die Entwicklung neuer Technologien sinnvoll und für die Zukunft nötig, doch häufig lohnt sich der kritische Blick auf die Gesamtumstände. Entwicklungen, die heute wenig oder kaum sinnvoll erscheinen, können natürlich in der Zukunft sehr nützlich sein. So wie beispielweise die Klimabilanz des Elektroautos stark von der Herkunft des Stroms abhängig ist.
Ob wir also darauf achten, beim Einkauf zu regionalen Produkten zu greifen, den Coffe-To-Go aus einem wiederverwendbaren Becher zu trinken oder an neuen Technologien forschen, wir alle können mit unserem Verhalten die Umwelt massiv beeinflussen. Dieser Macht sollten wir uns bewusst sein und sie nutzen. Doch hierbei lohnt sich ein kritischer Blick, insbesondere wenn es um „Öko-Trends“ oder schillernde Werbung für nachhaltige Produkte geht.
In den kommenden Wochen werde ich das Thema „Nachhaltigkeit“ aus naturwissenschaftlicher Sicht betrachten und auf den Kopf stellen. Dies ist der erste Artikel einer Reihe.
Quellen:
1: https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/weltrisikobericht-des-wef-schlafwandelt-die-welt-in-eine-krise/23873104.html
2: Brundtland-Berichtes der Vereinten Nationen von 1987
3: https://www.umweltbundesamt.de/themen/earth-overshoot-day-2018-ressourcenbudget
4: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF02978897.pdf
5: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Verkehr/emob_klimabilanz_2017_bf.pdf
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Barbara Bong
Ich möchte den „Chemie-habe-ich-direkt-abgewählt-Menschen“ meine Liebe zur Chemie näher bringen. Weiterhin liebe ich Kaffee, Schokolade, Musik und natürlich das Schreiben, auch wenn ich im Hochdeutsch oft Wörter vermisse, denn nichts beschreibt einen Pfirsich passender als Plüschprumm („Plüsch-Pflaume“). Außerdem träume ich von einem blauen Hausboot und einem Miniatur-Elefanten als Haus(boot)tier.
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