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Realität oder Schein? – Wie Instagram unsere Wahrnehmung verändert

Warum denken wir nach einer Stunde auf Instagram, dass dort die wahre Welt widergespiegelt wird? Und viel wichtiger: Was können wir dagegen tun?
| Giulia Groth |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Unsplash

„Jeder einzelne Mensch auf dieser Welt reist mehr als ich es tue; ist sportlicher, als ich es jemals sein könnte und hat bei weitem kurvigere Hüften, als ich sie je haben werde.” Das sind nur einige der Gedanken, die ich habe, wenn ich wie so oft durch meinen Instagram Feed scrolle. Die Konsequenz daraus? Ich fühle mich schlecht. Oder auf jeden Fall bei weitem nicht so gut, wie zu dem Zeitpunkt bevor ich zu meinem Smartphone gegriffen habe.

Durch die aktuelle Corona Situation wächst die psychische Belastung für junge Erwachsene und Erwachsene mittleren Alters. Laut der NAKO Gesundheitsstudie hat das vor allem Symptome von Angst, Stress und Depression zur Folge. Auch die Nutzung verschiedener Social-Media-Kanäle ist während der Corona-Pandemie drastisch angestiegen. So geben 75 Prozent der Deutschen im Rahmen einer Befragung des Digitalverbands Bitkom an, dass sie vermehrt Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter und Co nutzen. Ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Studien ist keinesfalls nachgewiesen. Offensichtlich führen die aktuellen Umstände während des Lockdowns zu zahlreichen Konsequenzen, die unser soziales Leben einschränken und unsere Psyche herausfordern. Meine persönliche Bildschirmzeit steigt jedoch momentan analog zu meiner Unzufriedenheit. Ist das womöglich nur ein Zufall? Ich glaube nicht.

Die Definition von Schönheit

Wir alle kennen die Fotos, die Stars und Influencer*innen tagtäglich von sich posten. Was auffällt: Die Fotos, die doch eigentlich verschiedene Menschen zeigen, sind alles andere als individuell. Langsam schleicht sich ein Schema ein, das dafür sorgt, dass sich die Abbildungen vollkommen verschiedener Menschen nach und nach angleichen. Sie alle zeigen sich auf ihrem Profil mit strahlenden Augen, makelloser Haut und straffem Körper. Unter ihren Bildern predigen viele Akzeptanz und Selbstliebe und merken kaum, dass sie selbst es sind, die ihre Followerschaft davon abhalten, nach diesen Grundsätzen zu leben. Die Schönheit im realen Leben liegt im Auge des Betrachters, genau das zeigt sich auch bei einem Blick in den deutschen Duden. Es gibt keine klare Definition, eher Beispiele, die versuchen, den Begriff zu verbildlichen. Auf Instagram lässt sich jedoch momentan beobachten, dass verzweifelt nach dieser einen Definition gesucht wird und einige sogar in dem Irrtum leben, diese bereits gefunden zu haben.

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Das Schönheitsideal im Wandel der Zeit

In den letzten Jahrhunderten hat sich das weibliche Schönheitsideal stark gewandelt.

Im 17. Jahrhundert zu Zeiten des Barocks galten europaweit Frauen, die wir heute als adipös bezeichnen würden als außergewöhnlich schön. Ein Jahrhundert später waren adelige Frauen wie Kaiserin Sissi dazu gezwungen, entsetzliche Schmerzen für eine möglichst schmale Wespentaille zu ertragen. Während den 20ern waren es eher knabenhaft wirkende Frauen, die das Schönheitsideal der damaligen Zeit darstellten. In den frühen 2000ern galten hingegen extrem schlanke, trainierte Körper, als besonders erstrebenswert. Auf den Catwalks der Welt präsentierten hochgewachsene Frauen mit vollem Dekolleté die neueste Mode. Heute im Jahr 2021 schauen Millionen von Frauen auf Stars wie Kim Kardashian und Beyoncé, die ihre perfekt proportionierten Kurven für die Öffentlichkeit in Szene setzen.

Der Blick in die Realität

Zwar ist mir klar, dass ich, wenn ich wie an jedem Morgen vor meinem Laptop bei einem Zoom Meeting sitze, mir nicht ausschließlich Kommilitoninnen mit glänzendem Haar und perfekt symmetrischen Gesichtern entgegenschauen. Eher im Gegenteil. Genau wie ich sitzen sie mit müden Augen und Jogginghose an ihrem Schreibtisch. Ich merke schnell, dass mir dieser Blick in die Realität guttut. 

Es ist in Ordnung, dass ich das Gefühl habe in dieser Zeit mein Leben nicht wirklich unter Kontrolle zu haben. Es ist in Ordnung, dass ich mich kaum erinnern kann, wann ich das letzte Mal meine Haare gewaschen habe oder wie lange es her ist, dass ich in eine richtige Jeans geschlüpft bin. Und vor allem ist es in Ordnung, dass ich mich gerade nicht braun gebrannt im Bikini am Strand räkle.

Durch die sozialen Medien geht dieser Blick für die Realität jedoch schnell verloren. Nach einer Stunde auf Instagram denken wir schnell, dass dort die wahre Welt widergespiegelt wird. Umgeben von vollen Lippen und weichgezeichneter Haut verschwimmen die Grenzen zwischen der Wahrheit und der Lüge. Und gleichzeitig wird es immer schwieriger zu differenzieren. Die Nutzung der App kann man zwar beenden, aber der Druck und die Angst nicht schön, erfolgreich oder glücklich genug zu sein, bleibt. Die Lösung für dieses Problem scheint einfach, jedoch scheitert es meist an der Umsetzung. Deswegen ist es wichtig zumindest einen Anfang zu wagen. Bildschirme aus, Realität an. Statt uns Models und Influencer auf Instagram anzuschauen, sollten wir auf unsere Freundinnen und die Menschen, die uns auf der Straße begegnen blicken. Ganz ohne Filter, perfekten Teint und Wespentaille.

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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Giulia Groth

Ich studiere hier im schönen Münster Kommunikationswissenschaft. Und genau das sagt es eigentlich schon ziemlich gut, weshalb ich hier dabei bin. Ich kommuniziere gerne und das am liebsten vor dem Podcastmikro. Wenn ich da nicht bin findet man mich auf Kochabenden bei einer (oder auch mal 2) Flasche(n) Wein, auf meiner Sportmatte oder auf der Suche nach dem besten Latte Macchiato in Münster, den ich am liebsten mit wenig Kaffee und extra viel Schaum trinke.

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