Tatsächlich gelesen: Irish Fairy Tales and Folklore (W.B. Yeats)
Dieses Mal versucht unser Autor den Spagat zwischen Kinderbuchliteratur, Reiseempfehlung und einem Nobelpreisträger zu schaffen.
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Dominik Schiffer | seitenwaelzer.deDer ein oder andere mag es aus vergangenen Kurzempfehlungen bemerkt haben: Ich bin ein großer Fan von Irland. Bereits drei Mal habe ich diese kleine grüne Insel besucht, die so viel herrliche Natur bietet, dass man sich daran nicht sattsehen kann. Schroffe Küsten, überwucherte Felsen, efeubewachsene Bäume, weite Ebenen, die nur von Natursteinmauern durchzogen werden und immer wieder Ruinen, die einsam in der Landschaft stehen.
Während die Insel tagsüber in ihrem smaragdgrünen Traum vor sich hinzudämmern scheint, kann man sich dennoch gut vorstellen, dass sich vor allem nachts oder bei aufziehendem Nebel schnell ein unwirkliches Gefühl ausbreitet, das förmlich nach alten Märchen und Sagen verlangt. Gut, dass es den irischen Nobelpreisträger William Butler Yeats (1865-1939) gab, der sich einst, beinahe wie Elias Lönnrot in Finnland, auf einen Streifzug durch Irland begeben hat, um sich solche Geschichten erzählen zu lassen und sie niederzuschreiben. Bereits früh ließ er sich von dem keltischen Erbe Irlands inspirieren und wurde zum wichtigsten Dichter der irischen Romantik, wandte sich in den Revolutionsjahren jedoch auch moderneren Gedichten zu. Den Nobelpreis erhielt er 1923.
Eine Welt hinter der Welt
Da es sich um eine Sammlung verschiedenster Erzählungen handelt, ist eine Inhaltsangabe fast unmöglich. Es geht um Feen, Ritter, Riesen, Meermenschen, Hexen, Kobolde, Geister, alte Helden und immer wieder auch um den Teufel. Aber anders als in unseren deutschen Märchen besteht diese Sammlung weniger aus Moralerzählungen. Jede Geschichte hat ihre eigene Ausrichtung. In vielen wird vor Pakten mit dem Übernatürlichen gewarnt, in anderen zahlen sich diese aus. In manchen Geschichten wird der Protagonist trotz schlechten Verhaltens belohnt, in anderen wird auch tugendhaftes bestraft. So stiehlt ein Fischer, der sich in eine Meerjungfrau verliebt, ihr ihre magische Kappe, mit der sie unter Wasser atmen kann. So heiratet sie ihn und es kommen Kinder hinzu. Jahre später entdeckt sie jedoch die Kappe und macht sich wieder auf und davon. In einer anderen Geschichte quält das Feenvolk einen Reisenden eine ganze Nacht lang, weil dieser aus Versehen eine Versammlung der Feen beobachtet hat. In sehr vielen Geschichten wird aber die Schläue der Menschen belohnt, die sich gewieft und mit List und Tücke gegen das Übernatürliche stellen, was hin und wieder auch zu komischen Szenen führt. Und dann gibt es da auch noch die Geistergeschichten, die besonders für neblige Abende in einem Cottage geschrieben zu sein scheinen.

Es muss nicht immer bierernst sein
Gerade diese Unberechenbarkeit der Geschichten macht ihren Reiz aus. Während deutsche Märchen immer auf einen bestimmten Punkt hinzuführen scheinen, können die irischen Sagen auch mal mittendrin ihren Protagonisten wechseln oder der Geschichte eine ganz andere Richtung geben. Dabei sind die meisten Helden der Geschichte mit einem angenehmen Witz und einem Augenzwinkern gezeichnet und finden auch noch in manch verzweifelter Lage einen kreativen Ausweg. Dazu kommt, dass in diesen Geschichten eine ungeheure Fülle an magischen Kreaturen auftaucht, von denen auch ich als Fantasy-Fan noch nie etwas gehört hatte. Außerdem findet mancher hier die Antwort nach der Herkunft bekannterer Gestalten, wie beispielsweise die Geschichte von Jack O’Lantern, von der sich der Brauch der ausgehöhlten Kürbisse mit Kerzen darin zu Halloween ableitet.
Der einzige Einwand gegen das Buch ist seine Sprache, was aber nur im Original stören wird. Yates hat sich in vielen Geschichten dazu entschlossen, den Dialekt, in dem ihm die Geschichte berichtet wurde, nach Gehör aufzuschreiben. Das führt dazu, dass man manchmal etwas Mühe beim Lesen hat oder manche Worte erst einmal laut lesen muss, um durch ihren Klang zu verstehen, welches Wort eigentlich gemeint sein dürfte. Wer sich davon aber nicht abschrecken lässt, der macht mit diesem Buch garantiert nichts falsch und wird einige lustige, schaurige oder auch reichlich bizarre Lesemomente erleben können.
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Dominik Schiffer
Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.
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