Tatsächlich gelesen: Kalevala (Elias Lönnrot)
Aus dem Süden Italiens führte es mich fort in den frostigen Norden Europas. Durch ein Comicalbum darauf aufmerksam geworden, hatte […]
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Aus dem Süden Italiens führte es mich fort in den frostigen Norden Europas. Durch ein Comicalbum darauf aufmerksam geworden, hatte ich es schon lange lesen wollen, aber aufgrund der erwarteten Sprachkunst entschieden, auf den richtigen Moment zu warten.
Kalevala ist eine Komposition von fünfzig Gesängen in ursprünglich finnischer Sprache. Es handelt sich dabei um eine Sammlung finnischer Heldengeschichten vom Zauberer Väinämöinen, seinem Bruder, dem Schmied Illmarinen, der Herrscherin des Nordlands Louhi und vielen anderen Figuren, angesiedelt im mythischen Land Kaleva. Zusammengetragen wurden diese Geschichten vom finnischen Arzt Elias Lönnrot, der im 19. Jahrhundert mit dem Ziel durch Finnland reiste, dem Volk der Finnen ein Nationalepos und damit auch ein Nationalbewusstsein zu schenken. Ein großer Teil Finnlands stand zu der Zeit unter schwedischer Besatzung noch heute ist Schwedisch eine, zugegeben unbeliebte, Amtssprache in Teilen Finnlands. Auch scheint er versucht zu haben, dieses in die Reihe anderer großer Epen, wie der Ilias oder der Odyssee, zu stellen, zumindest erkennt man einige Stilmittel wieder. Wie die Göttliche Komödie Dantes immens wichtig war für die Etablierung der italienischen Schriftsprache, so verhält es sich mit dem Kalevala für die finnische Sprache.
Die hervorragende Übersetzung von Hans und Lore Fromm bemüht sich, dieser sehr speziellen Kunstform wo es nur geht Rechnung zu tragen, indem sie beispielsweise das Stilmittel des Stabreims so gut wie möglich ins Deutsche überträgt. Dadurch entsteht der Gesang quasi im Kopf, was eine sehr beachtliche Leistung ist. Ursprünglich wurde diese Form wohl gewählt, um die rein mündliche Überlieferung zu erleichtern.
„Mich verlangt in meinem Sinne, mich bewegen die Gedanken,
Erster Gesang, Zeile 1-5 (aus: Lönnrot, Elias; Kalevala; München 1979)
An das Singen mich zu machen, mich zum Sprechen anzuschicken,
Stammesweise anzustimmen, Sippensang nun anzuheben,
Worte schmelzen mir im Munde, es entstürzen mir die Mähren,
Eilen zu auf meine Zunge, teilen sich an meinen Zähnen.“
Dieses Epos ist wirklich interessant zu lesen. Findet man beispielsweise in griechischen Sagen häufig Fabelwesen, bleibt das Kalevala recht zurückhaltend. Zwar verfügen die Hauptfiguren über magische Kräfte kosmischen Ausmaßes, die sie auch Sonne und Mond in einen Berg einsperren lassen und auch ihre Abenteuer würden einem Fantasyroman alle Ehre machen. Doch irgendwie ist das Epos auch mit seiner Welt sehr lebensnah. Sprechende Enten, Otter, Wölfe, Bären und Ähnliches bevölkern sie, dazu Großbauern auf Höfen, inmitten wald- und seenreicher Wildnis.
Die Motive sind an sich nichts Neues. Frauen werden geraubt, Eide gebrochen, Eitelkeiten verletzt, es kommt zu Kämpfen und oftmals stolpert jemand über seinen eigenen Hochmut. Was mir aber besonders aufgefallen ist, ist die augenzwinkernde Art, mit der vieles davon erzählt wird. Die Hauptfiguren lösen ihnen sich in den Weg stellende Probleme teilweise auf sehr individuelle und humorvolle Art. Wird beispielsweise ein Bär losgelassen, um den Einwohnern Kalevas zu schaden, wird er kurzerhand mit einem Zauber besungen und endet als Festschmaus auf der Tafel. Die Bedeutung des Gesanges für die Kultur kommt nicht nur in der äußeren Form zum Ausdruck, sondern auch durch die Zauberlieder, die die einzige Art der Magie darstellen. Insofern hat das Epos auch etwas sehr Lyrisches, eine ganz einzigartige Atmosphäre.
Es dauert etwas, sich an die Form, insbesondere den Rhythmus und die Wiederholungen, zu gewöhnen. Aber lesenswert ist das Kalevala allemal. Manchmal muss man also gar nicht so weit in die Ferne schweifen, um etwas Ungewöhnliches zu finden.
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Dominik Schiffer
Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.
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