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Das Meer entscheidet – Top-Review: „The Guardian“

Das klischeehafte Feel-Good-Movie lebt von seinen zutiefst menschlichen Charakteren und tosender Action auf hoher See.
| Daniel Rublack |

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Nach der Legende lebt ein Mann tief unten im Meer. Er ist ein Menschenfischer. Die letzte Hoffnung all jener, die zurückgelassen wurden. Viele Überlebende behaupten, sie hätten den festen Griff seiner Hände unter sich gespürt, während er sie an die Oberfläche brachte, ihnen Mut zuflüsterte, bis Hilfe eintraf.

Die allerletzte Hoffnung

Das Meer tobt. Wie ein Spielzeug wird das kleine Fischerboot hilflos von den riesigen Wellen erfasst. Gegen die gewaltige Kraft der See hat es einfach keine Chance. Es wird sinken. Seine Mannschaft erwartet ein kaltes, nasses und dunkles Ende.

Doch auf einmal ertönt der Klang der Hoffnung. Über dem brachialen Brausen der See sind die Rotoren eines Helikopters zu hören. Im wahrhaft letzten Moment taucht die Rettungseinheit der Küstenwache über der tosenden Gischt auf. Diese Menschen riskieren alles: Damit andere leben.

Ein gutes Gefühl

©The Guardian Sanft geweckt: Rekrut Jake Fischer (Ashton Kutcher) und Herzdame Emily (Melissa Sagemiller).

Als The Guardian 2006 in die Kinos kam, wurde er von den Kritikern wenig herzlich empfangen: Das Werk sei Klischee auf Klischee, kopiere nur bessere Werke und würde auch der heldenhaften Küstenwache kaum gerecht.

Bei den Zuschauenden hingegen stößt der Streifen nach wie vor auf freudiges Wohlwollen: Und auch mich begeistert, beflügelt und bewegt er jedes Mal aufs Neue. Manche Filme werden aufgrund faszinierender Charaktere, intensiver Action oder fantastischer Musik geschaut. Wenige vollbringen das Kunststück, viele dieser Eigenschaften zu verbinden.

Wir hören niemals auf.

The Guardian schaut man wegen der Gefühle, die er auslöst. Wie die Wellen geht der wilde Ritt auf und ab: Traurig und froh, ernst und lustig, gefangen und frei. Wofür lohnt es sich zu leben, wofür zu sterben? Manche Wellen des Lebens drohen einen zu zerschmettern, aber am Ende gewinnt immer die Hoffnung.

Spezialeinheit für das Leben

©The Guardian Ausbilder und Schüler: Vergangenheit und Zukunft der Küstenwache.

Spezialeinheiten sind ein beliebtes Thema für Filme – nicht nur in Hollywood: China etwa wartet mit Operation: Red Sea auf, die Russen operieren auf der Balkan Line und in Brasilien stürmt das BOPE in Tropa de Elite die Slums von Rio.

Diese Liebe zur Spezialeinheit ist nur allzu verständlich: Oftmals sind es die Helden, welche die Bösen jagen und die Guten beschützen. Ihre Teams bestehen aus markanten Persönlichkeiten, verfügen über modernstes Equipment und ausgezeichnete Fähigkeiten. Außerdem liefert die reale Welt genügend Material, das es wert erscheint, verfilmt zu werden.

Alle werden sagen: Rette mich, rette mich! Sie warten auf ein Wunder.

Auch die Rettungsschwimmer der U. S. Coast Guard sind eine Spezialeinheit. Die Aufgabe der Seenotretter unterscheidet sich aber von der vieler anderer: Der Feind ist das Meer, kein Mensch. Im Gegensatz zu einem Geiselrettungskommando kann er notfalls nicht einfach ausgeschaltet werden. Die See ist unparteiisch und unbarmherzig, ihr ist der Ausgang egal.

Bei jedem Einsatz steht das eigene Leben auf dem Spiel. Weitere Kräfte anzufordern ist deshalb immer riskant. Und so entscheidet manchmal der Zufall, das Schicksal oder ein einzelner Retter, wer eine zweite Chance erhält.

Legenden

©The Guardian Kann auch lächeln: Senior Chief Ben Randall (Kevin Costner).

Wie wird jemand zur Legende? Hängt es davon ab, was man als Lebender tut oder wie man nach dem Tod in Erinnerung bleibt?

Ben Randall (Kevin Costner) ist eine Legende: Der erfahrene Rettungsschwimmer hat Hunderte aus den Fluten gerettet und doch bei einem Einsatz alles verloren. Sein Hubschrauber versank bei einem Unfall im Meer und mit ihm sein gesamtes Team. Von einem Freund wurde er deswegen zeitweise zu einem Posten als Ausbilder versetzt. Er war sein ganzes Leben mit der Küstenwache verheiratet, weswegen seine Frau sich nun scheiden lässt. Ben Randall ist eine einsame Legende und gequält von der Bürde des Überlebenden.

Kevin Costner ist vielen wohl als Der mit dem Wolf tanzt oder Robin Hood bekannt. Er ermittelt jedoch auch in Die Unbestechlichen, JFK oder The Highwaymen, lehrt als Vater des Man of Steel und sorgt im Wilden Westen auf der Open Range für Gerechtigkeit. Aufgrund seines einzigartigen Charismas gehört der Oscar-Preisträger zu meinen absoluten Favoriten.

Ich frage mich jeden Tag, weshalb ich derjenige bin, der überlebt hat.

Auch hier vereinnahmt Costner mit seiner rauen Vorgehensweise, die von feinen Werten bestimmt wird. Das passt großartig zu einem vom und für das Leben gezeichneten Mann, der klare Prinzipien verfolgt. Er hält nichts von Rekorden oder Angebern, denn all das bedeutet nichts auf offener See. Seine ungewöhnlichen Lehrmethoden stammen nicht aus dem Buch, sondern aus der Realität: Beispielsweise werden die Phasen der Unterkühlung praktisch im Eisbecken erlebt. Senior Chief Ben Randall ist dabei immer mittendrin und steht seinem Vorgesetzten zitternd vor Kälte danach Rede und Antwort.

Besonders schön kommt sein Charakter in Szenen mit seiner Frau, die er immer noch liebt, zur Geltung: Als sie auszieht fragt Ben doch ernsthaft, was denn nun mit dem Treffen bei Freunden am Freitag werde. Gegen Ende versteht er, dass er sich an ihr wie ein Ertrinkender festgeklammert hat – und bittet sie um Verzeihung.

Wenn man nicht alle retten kann, wie wählt man aus, wer leben darf?

unbekannt Jake wie ein begossener Pudel im Wasser.

Im Camp warten die neuen Rekruten, denen eine harte Ausbildung bevorsteht. Unter ihnen ist Jake Fischer (Ashton Kutcher). Der Schwimm-Champion wirkt arrogant, überheblich und nicht fähig, sein Leben tatsächlich für das eines anderen Menschen zu opfern. Schon am ersten Tag tönt er, alle Rekorde von Randall übertrumpfen zu wollen.

Ashton Kutcher hatte mit der Serie Die wilden Siebziger seinen Durchbruch und war zudem Nachfolger bei Two and a Half Men. Dabei mangelte es allerdings stark an plötzlichen grellen Blitzen, worauf Team Charlie wohl nur erwidern würde: Ich verstehe. Filmische Perlen sucht man bei Kutcher auch eher vergeblich, Fans von Ey Mann, wo is´ mein Auto, Butterfly Effect oder Toy Boy sei hier natürlich nicht zu nah getreten.

Rette die, die du retten kannst. Die anderen müssen wir loslassen.

Die Rolle als Jake Fischer passt aber wie angegossen zu Kutcher. Er schöpft das Potenzial seiner Figur voll aus und verwandelt den sprücheklopfenden Frauenschwarm, der gleich in der Bar seinen Kameraden zeigt, wie man eine Frau erobert, in ein wertvolles Mitglied des Teams. Diese Entwicklung nimmt man Fischer voll ab, denn je mehr man ihn kennenlernt, desto weniger eingebildet und eher verloren, ja auf der Suche nach dem Sinn, wirkt er.

Spätestens in einem sehr emotionalen Gespräch mit Ben Randall offenbart sich, dass beide ein gemeinsames Schicksal teilen: Sie gehören zu einer seltenen Sorte Mensch und werden von Schuld, Wut und Trauer getrieben. Für beide ist es Zeit, endlich loszulassen.

Rettung auf hoher See

©The Guardian Daumen hoch für die Rettung.

Was den Puls – vor allem zu Beginn und am Ende – richtig in die Höhe schnellen lässt, sind die Einsätze der Rettungsschwimmer.

Als Zuschauer erlebt man die Missionen hautnah und immersiv. Im engen Helikopter ist man ganz nah dabei, wird von den Böen ordentlich durchgeschüttelt und spürt die Vertrautheit des gesamten Teams. Im Wasser fühlt man sich teilweise fast verloren, wenn riesige Wellen sich auftürmen und donnernd über einem zusammenbrechen. Ein von nahem hünenhafter Mensch wird auf einem Boot ein kleines Objekt, inmitten der See zu einem winzigen Punkt und am Rande des niemals enden wollenden Horizonts ist er gänzlich verschwunden.

In vielen Filmen reden die Figuren lediglich über die Höhe eines Gebäudes, die Enge einer Höhle oder die Hitze eines Feuers. The Guardian lässt einen die Weite und Einsamkeit des Ozeans selbst spüren. Was im Auge des Sturms unangenehm klingt – schließlich möchte niemand an Bord eines Schiffes ertrinken – hat dabei trotzdem eine Art von Geborgenheit. Es ist schwer zu erklären, aber selbst das eigene Ende wirkt hier in gewisser Weise friedlich. Denn wo gestern noch der Orkan tobte, scheint heute schon wieder die Sonne über spiegelglatter See.

Rau, grau, niemals mau

©The Guardian Die Rettung irgendwo dort oben.

The Guardian ist rau und realistisch, auch in optischen Belangen: Der Film bietet einige schöne Landschaftsaufnahmen, das Ausbildungscamp samt kleiner Stadt und eben die See. Technisch scheint man hier sowohl in echtem Wasser gedreht zu haben als auch Computereffekte zu verwenden. Bis auf wenige Situationen kann ich den Unterschied aber nicht benennen, so gut geht beides ineinander über. Das sorgt für eine tolle und vor allem authentische Bildsprache und trägt stark zur intensiven Atmosphäre bei.

Die Farbgebung ist ebenfalls gelungen, wobei das Werk natürlich keineswegs als farbenfroh zu bezeichnen ist. Wird mal eine Signalfackel gezündet, brennt sie kräftig und blendet einen so stark, dass man unbewusst die Augen zusammenkneift. Eine interessante Eigenschaft für ein Symbol von Hoffnung. Leichtes Bildkorn trägt zu weiterem Realismus bei, denn hier wurde nicht auf Hochglanz poliert und in stundelanger Arbeit alles am Computer nachgerendert. Die Welt ist hier, wie sie eben ist: mit all ihren Makeln, aber auch all ihrer Schönheit.

Noch mehr Empfehlungen? Wenn ein Film ein Gemälde sein könnte, wäre es „The Equalizer“.

Besonders in dunklen Szenen überzeugt das Schwarz der Umgebung. Treibt jemand auf dunkler See, dann sieht er auch absolut nichts. Was sich 20 Zentimeter unter einem abspielt, kann man höchstens erahnen oder spüren, wobei ich für meinen Teil gar nicht genau wissen wollen würde, welcher Meeresbewohner dort gerade herumschwimmt.

Persönliche Pluspunkte gibt es von mir stets für die Wahl von Vollbild: Gerade bei einem Werk, dass so von Weite und Größe lebt, ist das natürlich eine gute Entscheidung gewesen.

Gewaltiges Meer, gefühlvolle Klänge

Beim Ton wird auf eine Mischung aus Kraft und Feingefühl gesetzt. Die Wellen krachen gehörig, die Rotoren des Helikopters dröhnen und auch der Wind stürmt mit all seiner Macht durch die Anlage. Wenn es auf der Leinwand abgeht, dann auch im Ton. In ruhigen Momenten ist es hingegen still. Dann dominiert ganz die Geschichte, mit ihren Charakteren und Dialogen.

Besonders hervorzuheben ist der grandiose Soundtrack. Die Action-Szenen begleitet er, aber bei den gefühlvollen Momenten begeistert er. Das Main-Theme mit seinen melancholischen Klavierklängen und hoffnungsvollen Streichern ist pure Schönheit, Gänsehaut inklusive. Gerne geht tolle Musik zwischen mitreißender Story, faszinierenden Charakteren oder atemberaubender Action unter. Aber The Guardian klingt wirklich genauso, wie ein Beschützer klingeln sollte: Ruhig, mitfühlend, ermutigend. Schon die beste Minute aus der Guardian-Suite kann den Wirbel im eigenen Kopf, voller Gedanken und Unsicherheiten, auf ruhige Gelassenheit herunterbringen. Ganz so, als ob der Sturm fortgeblasen und von glatter, friedlicher See im Sonnenschein ersetzt wird. So geht es zumindest mir und dafür bin ich jedes Mal wieder dankbar.

Die Aufgabe eines Lebens

©The Guardian Im Orange der Küstenwache unterwegs, damit Andere leben.

The Guardian ist alles, was ihm seine Kritiker vorwerfen und dabei doch so viel mehr: Der meist nur mittelmäßige Ashton Kutcher lebt eine Person, die wie für ihn geschaffen scheint. Seine Chemie mit Kevin Costner, der quasi als Darsteller von Mentoren geboren wurde, ist fantastisch. Zusammen mit ihnen kann man bei fein gesetztem Humor lachen, bekommt gemeinsam auf die Rübe und reicht in ernsten Situation helfend die Hand. Alles ist schlicht und einfach zutiefst menschlich.

Zudem ist die Ausbildung interessant und zugegeben, in schicker Ausgeh-Uniform würde ich auch gerne mal in der Bar sitzen. Bei den intensiven Action-Szenen auf und im Wasser möchte ich hingegen weniger tauschen, sondern fiebere lieber von meinem trockenen Sofa aus mit. Dort lassen sich der kraftvolle Sound und die raue sowie realistische Optik dann doch besser genießen. Und erneut sei gesagt: Der herrliche Soundtrack lässt nachdenken und hoffen zur selben Zeit.

Soll es der ultimative Action-Kick sein? The Raid 2″ ist ein brachial berauschendes Blutbad.

Auch als Ehrerbietung an die tapferen Männer und Frauen der Küstenwache funktioniert der Spielfilm. Wenn alle als Klischee-Sammlung verschrienen Werke so gut wären, ich wäre begeistert.

Für alle, die mal ein, vielleicht sogar das Feel-Good-Movie nach Schema F sehen wollen, sei er wärmstens empfohlen: The Guardian.

Er war da. Er war die ganze Zeit bei mir. Er hat gesagt, er hält mich fest, bis Hilfe kommt. Er hat mich nie losgelassen.

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Daniel Rublack

… schreibt vor allem über Filme. Arbeitet in der „Presse und Kommunikation“ und unterstützt daher mit entsprechendem Know-how.

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