Bildung und Karriere / Gesellschaft und Lifestyle
To do or not to do – ein Monat ohne Multitasking
Eine etwas andere Challenge
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Es ist leicht, sich jeden morgen auf dem Weg zur Arbeit die Kopfhörer ins Ohr zu stecken, die rosarote Brille aufzusetzen und sich vorsingen zu lassen, dass die Welt schön ist. Das ist sie aber nicht überall und vor allem nicht für jeden. Es fällt leicht, zur Musik der Lieblingsband den Geruch von Urin auf der Straße oder die Gestalt, die im Eingang eines Hauses schläft, auszublenden.
Ich bin auf dem Weg zur Arbeit, wie jeden Donnerstag. Doch es fühlt sich an, als würde ich zum ersten Mal durch diese Stadt gehen. Es ist laut. Obdachlose schlafen in Hauseingängen. Der Tunnel am Bahnhof riecht nach Urin. Ich werde mir zum ersten Mal der wahren Hässlichkeit des morgendlichen Stadtlebens bewusst. Denn mit der Musik, die mich sonst jeden Tag zur Arbeit begleitet, hat mich auch der betörende Schleier verlassen, der sich sonst geschmeidig über mein Bewusstsein legt.
Weder Gute-Laune-Musik, noch Du-bist-unbesiegbar-Musik schallt gegen meine Trommelfelle, während ich einem Bettler mit Hund ein 2€-Stück zustecke, weil ich das Leid einfach nicht mehr ertrage. Doch so ist sie für uns manchmal, und für viele ständig, die unangenehme Wirklichkeit.
Ich habe diesen Monat auf „Alltags-Multi-Tasking“ verzichtet. Für mich galt der selbstdefinierte Merksatz: Alle Tätigkeiten, bei denen ich nebenbei ein Buch lesen könnte, wie beispielsweise Zug- oder Busfahrten sind kein Multi-Tasking. Bei allen anderen Aktivitäten, Spülen, Kochen, Essen, oder eben zur Arbeit gehen, galt es auf Musik, Videos oder Podcasts zu verzichten.
Wann hast du dich das letzte Mal so richtig gelangweilt?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Entertainment und Ablenkung allgegenwärtig sind. Sei es nun in Wohnzimmer, auf dem Schreibtisch oder in der Hosentasche. Warum sich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigen, wenn man Netflix gucken oder Podcasts hören kann? Und genau hier liegt die wohl größte Erkenntnis des vergangenen Monats für mich: Man muss damit klarkommen, eigenen Gedanken zu haben.
Selbstreflektion statt Selbstbeschallung
Und es sind natürlich nicht immer nur schöne Gedanken. Viele von uns werden von Selbstzweifel und Zukunftsängsten begleitet. Natürlich lassen diese sich von lauter Musik und Binge-Watching verdrängen, aber ist das wirklich immer die richtige Lösung?
Ich habe mich im vergangenen Monat vielen Fragen stellen müssen, von denen ich nicht wusste, dass ich sie mir selbst noch nicht beantwortet habe. Da ich kurz vor dem Ende meines Studiums stehe, stelle ich mir beispielsweise wichtige Fragen wie: Was wird das Thema meiner Abschlussarbeit sein? Wie wird sich meine berufliche Situation nach dem Studium entwickeln? Werde ich passend eine Wohnung für den nächsten Umzug finden? Statt diese Fragen mit einem selbstbewussten „Das wird schon irgendwie“ zu beantworten, habe ich mir Gedanken um B-Pläne gemacht. Ich bin zwar der Meinung, dass man nicht jede Situation todernst nehmen sollte und oft die selbstbewusste Haltung genügt, um Probleme zu lösen, aber besonders bei Weggabelungen des Lebens sollte man sich die Zeit nehmen, unterschiedliche Szenarien zu durchdenken. Das hilft ebenfalls dabei, zu reflektieren, ob man sich gerade überhaupt auf dem richtigen Weg befindet.
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Ein bisschen Pro zum vielen Contra
Ich habe im vergangenen Monat natürlich nicht nur negative Dinge erlebt. Alltäglichkeiten wie Musik oder Podcasts lassen sich viel besser wertschätzen, wenn man sich bewusst die Zeit dafür nimmt, statt sie nur als Hintergrundrauschen zu nutzen. Ich habe mich auch weniger von meinem Handy ablenken lassen. Es war wahrscheinlich das erste Mal seit Jahren, dass ich zwei Folgen einer Serie geschaut habe, ohne zwischendurch mein blinkendes Handy zur Hand zu nehmen. Als leidenschaftlicher Hobby-Koch habe ich ohne Passiv-Beschallung vor lauter Langeweile angefangen, Rezepte zu hinterfragen und zu verbessern. Das hat zwar nicht immer glücklich geendet, aber meine Lektion habe ich trotzdem gelernt.
Selbstbetrug
Als letztes würde ich gerne über ein Thema sprechen, das mich den ganzen Monat lang begleitet hat. Denn keine der bisherigen Herausforderungen dieses Jahres ist mir so schwergefallen und war von so vielen Rückfällen geprägt wie diese. Ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt, mich zu langweilen. Beim Abendessen trotz Gesellschaft schnell mal Whatsapp oder Instagram checken; aus der Wohnung raus, Kopfhörer rein. Ich bin natürlich kein Psychologe, aber ich denke hier lässt sich schon von einer gewissen Form von Abhängigkeit sprechen. Auf dem Weg zur Arbeit, der mich am Münsteraner Bahnhof vorbeiführt, kann ich an einer Hand abzählen, wie viele Menschen meiner Generation ohne Kopfhörer, sprich ohne Ablenkung, ihren Alltag verleben. Wenn ich mir an die eigene Nase fasse, habe ich keinerlei Recht, über andere zu urteilen, besonders da Putzen ohne Musik einfach keine Laune macht.
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Patrick Schuster
Schönen guten Abend meine Damen und Herren, ich bin Patrick und mittlerweile seit ein paar Jahren im seitenwaelzer.de-Team. Ich bin aktives Mitglied unseres Spontan-Spontan-Podcasts und schreibe sonst viel im Bereich Technik und Innovation.
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