Gesellschaft und Lifestyle / Kultur und Medien / Meinung

Monats-Challenge: Smartphone-Detox

Aufs Smartphone verzichten? Undenkbar! Oder etwa doch nicht? Jasmin hatte sich vorgenommen, ihre Smartphonenutzung einen Monat lang bewusst einzuschränken. Lies hier, was daraus geworden ist:
| Jasmin Larisch |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

rawpixel.com | Pexels

Das Smartphone ist für viele aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Warum auch – es erleichtert zu einem erheblichen Teil Kommunikation, Reisen, Informationsgewinnung und Unterhaltung. Damit kann es aber auch schnell zur Ablenkung, zum Lückenfüller und zur kleinen Neurose werden. In ihrer nächsten Monats-Challenge hat unsere Autorin Jasmin probiert, ihren Smartphone-Konsum bewusst einzuschränken.

Ich war nie eine Person, die viel am Handy oder stetig online war. Snapchat oder Jodel lud ich mir gar nicht erst herunter – Zeitverschwendung und unnötige Ablenkung. Doch habe ich früh gemerkt, dass ich den Reflex entwickelt habe, zum Handy zu greifen, „um erst einmal runterzukommen“, wie viele abends erst einmal den Fernseher anschalten. Nach der Vorlesung, nach der Arbeit, nach einem langen Tag. Alles nichts Verkehrtes. Dennoch beobachtete ich seit einiger Zeit Folgendes:

Es ist 7:00 Uhr früh. Der Wecker klingelt, die Snooze Funktion wird angeschaltet, ich drehe mich noch einmal um und greife beim nächsten Klingeln automatisch zum Smartphone, öffne WhatsApp, dann die Tagesschau-App. Der Tag begann digital, wenn auch nur die ersten 10-15 Minuten.
Nein, so kann es nicht weitergehen. Ich wollte diesen automatischen Kreislauf durchbrechen. Einer, der sich bei vielen entwickelt hat, ohne, dass man ihn bemerkt hätte. Denn das Smartphone fungiert, psychologisch gesehen, als der ultimativen Lückenfüller und als schnelle Befriedigung von essentiellen Bedürfnissen: Kontakt, Gemeinschaft, Bestätigung, Rückmeldung. Ein Prozess, der sich wie ein Plattfuß schleichend entwickelt.

Entkopplung eines Mini-Computers

Ein erster Schritt zum „Smartphone Detox“ kann es sein, die vielfältigen Funktionen, die es mit sich bringt, zu entkoppeln: Wecker wieder analog stellen oder wenigstens das Handy weit genug weglegen, um aufstehen zu müssen, Kalender wieder handschriftlich führen und sich bei jedem automatisch-in-der-Bahn-zum-Handy-Greifen erst einmal bewusst sein. Gut, das hatte ich schon in mein Leben integriert: Armbanduhr, Kalender, Notizbuch und Notfallkontaktnummern im Portemonnaie habe ich immer dabei.
Der zweite Schritt war essentieller: Ich lud mir eine App herunter, die auswertet, wie lange ich wo am Smartphone unterwegs war. „Quality Time“ zeigt mir nach jedem Tag meine Nutzungsstatistik an, außerdem erlaubt sie Erinnerungen und Warnungen, wenn du dein persönliches Höchstziel erreicht und dein Handy zu oft entsperrt hast. Oder du stellst dir eigene „Pausenzeiten“ ein, in der von dir ausgewählte Apps erst nach einer Sperrzeit von einer Minute erreichbar sind – in dieser Zeit überlegt man sich zweimal, ob man gerade wirklich mit Intention zum Handy greift.
Dies half mir enorm. Ich war trotzdem erschrocken: Am Anfang der App-Nutzung lag mein Smartphone-Konsum teilweise bei über 2 ½ Stunden, nach einem typischen „Hangover“-Sonntag sogar bei 3-4 Stunden. Was sagt mir das?

Quantität muss nicht der Übeltäter sein
Erst einmal, dass ich mit dem Smartphone Dinge wie Fernsehen, Laptop und Co. ersetzte. Denn: Die bloße quantitative Zahl an sich muss nichts aussagen: Ich schaue auch die ZDF Mediathek auf dem Handy oder lese DIE ZEIT Artikel. Doch wenn man Instagram, Facebook, Jodel und Co. dabei hat, kann man sich schnell ablenken lassen. Das zeigt die Entsperrungs-Statistik an:

Laut medienwissenschaftlicher Studien schauen wir im Durchschnitt alle 18 Minuten auf unser Smartphone. Dies untersucht zum Beispiel das Projekt „Menthal“, welches gleichzeitig eine App ist und damit Studien zum Smartphone-Konsum erstellt.

Wie ich schmerzhaft in den ersten Tagen der Challenge feststellen musste, stimmt das wirklich. Auch an Tagen, die einen hohen Freizeitanteil hatten, an denen ich arbeiten war oder in der Uni, schien sich der Reflex zu entladen, fast geistesabwesend etwas zu googlen, zu scrollen, zu tippen. Ich war mir nicht bewusst, für wie viel dieser kleine Mini-Computer doch in meinem Leben fungiert und in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Aber was für Konsequenzen – gute wie schlechte – daraus folgen, darüber wollte ich mir selber ein Bild machen. Besonders, als ich in der Mitte des Monats folgende Szene in der Bahn beobachtete:

Eine Schulklasse, etwa 6. Klasse, stieg nach einem Ausflug in den Zug. Ein Junge erzählt seiner Kameradin, dass ihm vorhin sein Smartphone kaputt gegangen sei. Ärgerlich, aber bestimmt bekäme er bald ein neues. Wie wäre er denn sonst auch für seine Freunde erreichbar, fragt er sich?
„Ja, kannst du denn dann einige Tage ohne auskommen?“, fragt jene Kameradin zurück. Ein Satz, der mir zu denken gab. Denn stetige Abhängigkeit kann schließlich auch zur Fessel werden, zur Entmachtung, oder?
Könnte ich das, könnte ich in diesem Monat nicht auch komplett mal ohne Smartphone? Zum jetzigen Zeitpunkt, um ehrlich zu sein, nein, nicht ganz. Nein, ich finde es praktisch, Mails am Smartphone checken zu können, im Zug die Zeit nutzen zu können, um Sprachnachrichten anzuhören, bei der Arbeit vor einem Interview noch kurz etwas googeln zu können.

Offline ist der neue Luxus

Das lernte ich auch während und schließlich nach meinem Monat, in dem ich mir das Ziel setzte, nicht nur bewusster auf die Nutzung zu achten, sondern sie auf möglichst 2 Stunden zu reduzieren. Wow, zwei Stunden, das klingt viel. Doch wie erwähnt – Quantität sagt nicht alles. Morgenmagazin und Tagesschau nehmen bei mir schon 30-45 Minuten ein. Telefonate werden in der App ebenfalls erfasst, Spotify jedoch nicht, wenn es alleine läuft.
Was zählt, ist die Qualität und jene „Quality Time“, die ich durch mein Detox erreicht habe, womit man vielleicht der nächsten Generation mitgeben kann, dass sich das wahre Leben nicht online abspielt.

30 Tage lang täglich meditieren. Jasmin hat sich der Challenge gestellt und erklärt, warum das auch dir im Studium und im Job helfen kann.

Meine Gedanken über Handynutzung und -konsum teilte ich dann früh mit Familie und Bekannte, um sie zu bitten: Wenn etwas Wichtiges ist, ruft mich an oder schreibt mir eine SMS. Natürlich schaue ich mehrmals täglich auf WhatsApp, möchte es aber nicht voraussetzen und vor allem nicht die Sorge haben, wirklich Wichtiges zu verpassen, da ich tatsächlich viel unterwegs bin und sich ein Festnetzanschluss zu diesem Zeitpunkt in der 2-er WG nicht lohnen würde.

So setzte ich schnell diese Regeln fest: Mein Handy ist immer auf laut gestellt, es sei denn ich bin in der Uni/Bib, Arbeiten oder habe Freizeit, während der ich nicht gestört werden möchte. Außerdem ist mein Internet ausgeschaltet.
So bin ich für wichtige Sachen erreichbar und werde nicht bei jeder WhatsApp-Nachricht, jeder Mail und jedem Update gestört. Das gab mir bewusstere Zeitslots, bei denen ich weiß: Ich habe jetzt 15 Minuten Zeit und Lust, Freunden zu antworten, zu surfen, zu lesen.

Selbstwirksamkeit als Schlüsselbegriff

Ich finde es nun, nach einem Monat, viel angenehmer zum Smartphone zu greifen, wenn die Intention klarer ist.
Ein weiterer Pluspunkt ist die höhere Verlässlichkeit und das Vertrauen in puncto menschliche Beziehungen. Klar ist es praktisch, wenn man eben schreiben kann, dass man zu einer Verabredung später kommt. Wenn ich mich mit jemanden verabrede, warte ich auf diese Person – auch wenn es 5 oder 10 Minuten sind. Auch, wenn ich eine neue Person kennenlerne oder eine neue Beziehung habe, ist es (und bleibt es womöglich) schön, sich süße Smileys, Videos und Facebook Links zu teilen.

Doch digitale Erprobung von Nähe und Intimität sollte man nicht überschätzen – es ist zu einem Großteil eben eine Parallelwelt.

Bei fortschreitender Digitalisierung lohnt es sich, auch mal analog zu gehen. „Analog ist wieder Trend“, zeigt auch dieser Artikel – als Gegenbewegung? Wahrscheinlich als Ausgleich gegen den Wandel, als Selbstwirksamkeit vom Kratzen eines Füllers auf Papier, der Termine notiert und dem erloschenem Gefühl, nicht ständig etwas zu verpassen.
Aus Challenge oder Vorsatz wurde nun neue Lebenseinstellung und mein Tag beginnt rascher, offline, fokussierter und bewusster. Mini-Computer dabei hin oder her. I like.

Neben dem Surfen schnell noch was auf WhatApp schreiben – in unserem Podcast geht es um das Thema Multitasking im Alltag. Jetzt reinhören.

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

Unterstützen

Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.



Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:

Jasmin Larisch

Hej! Ich bin Jasmin, von meinen Freunden meist 'Mini' genannt, bin 21 Jahre alt und studiere seit Herbst 2015, Soziologie und Kultur-und Sozialanthropologie (=KuSA) an der WWU. Münster hat es mir sehr angetan- Unileben, Kultur, Kunst, junge interessante Leute überall! Das Leben als Studierender ist aufregend, bunt, vielseitig und manchmal echt tricky- so hoffe ich, zusammen mit meinem Team, euch ein paar Tipps und Anstöße geben zu können. Seit 2015 bin ich deshalb als freie Autorin bei seitenwaelzer.de und habe nach wie vor viel Freude daran. Viel Spaß beim Lesen!

Sandra Hein | seitenwaelzer.de

Tatsächlich gelesen: Paddington Bear (Michael Bond)

Bild zeigt Luca auf der BühneDavid Hinkel

„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview

Inga Nelges | seitenwaelzer.de

Vom männlichen und weiblichen Blick – Ein Gang durch die „Nudes“-Ausstellung des LWL-Museums in Münster

Daniel Öberg | Unsplash

Korallen, Klimawandel und Klimaangst

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies, mit der Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden. Hier gibt's weitere Infos.