Gesellschaft und Lifestyle / Meinung

Weihnachtsmarkt – ein Hassposting

Warum ich Weihnachtsmärkte wie die Pest hasse und trotzdem jedes Jahr mindesten drölf Mal dort bin
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Bild vom Weihnachtsmarkt im dunkelnDaniil Silantev | Unsplash

Ach komm, das ist doch mega schön da. – Aber wir sind alle da! – Ist doch mal was Anderes, als in die Kneipe gehen. – Lass uns nur mal kurz (!) drüber bummeln …

Alle Jahre wieder kommen Familie, Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen auf die ach so tolle Idee, auf den örtlichen Weihnachtsmarkt zu gehen und einen Glühwein zu trinken oder Weihnachtsgeschenke zu shoppen. Und jedes Jahr mache ich den gleichen Fehler und lasse mich von irgendwelchen Leuten breitschlagen, auch noch mitzukommen.

Dabei ist mir schon seit Jahren klar, dass ich diesen “gemütlichen” Abend gestresst und genervt verlassen werde. Warum?

Menschen…

Zum einen sind da die Menschenmengen: Leute, die sich scheinbar gern aneinander reiben und ohne jede Rücksicht aufeinander zwischen den Buden hin und her mäandern. Auf dem Wacken finde ich so was gut, da springe ich sogar gern gegen Menschen, aber zu “Last Christmas” mag sich einfach keine richtige Stimmung einstellen. Ehe man sich versieht, hat man die eigene Bratwurst an der Jacke und den Glühwein des Hintermannes im Nacken, obwohl man sich nur im Schneckentempo fortbewegt hat.

Lies hier, welcher Schlag von Menschen eher zu Michael passt: Festivalguide – How to Wacken

Und wenn dann mal eine von den bedauernswerten Gestalten in einer der Buden irgendetwas Interessantes anzubieten hat, stehen da gleich zig Leute vor. Nicht um die schönen Arbeiten zu bewundern, nein, die Leute bewundern maximal ihren Glühwein und haben mit der Bude nichts zu tun. Hier ist nur zufällig die Schlange für die nächste Ladung warmen Hirntodes.

Getränke…

Das Glühweintrinken ist im Allgemeinen noch so eine Unsitte. Ja, ein warmes Getränk bei dem Wetter ist was Schönes und auch dem Alkohol kann man sich gern zuwenden. Aber muss es der allerletzte Rotwein sein, der schon unten im Regal beim Discounter versauern würde? Muss man diesen Wein dann noch mit Zucker und Gewürzen so lange verschlimmbessern, bis er schmeckt wie ein Tee aus Zimtsternen? Ich sage euch eins: es gibt nichts Schlimmeres als Glühwein-Kater.

Das scheinen die Menschen, die den Glühwein getrunken haben, auch zu wissen. Sie verhalten sich jedenfalls, als sei morgen Weltuntergang. Familienväter werden zu pöbelnden Hooligans, wenn man ihnen und ihrer Glühweinladung für die anderen Erziehungsberechtigten auf Freigang nicht schnell genug Platz macht. Mädelsgruppen werden zu hysterischen, lauten, kreischenden Gruppen von Harpyien, die sich vor alles und jeden drängen, nur um den nächsten Schuss… in ihre Gewürzsuppe zu bekommen. Weihnachtsmarkt wirkt scheinbar wie der Straßenverkehr auf Menschen: er kehrt das Ekligste aus ihrem Inneren nach außen.

Geschenkartikel…

Wenn man das, was in diesen Buden so angeboten wird, überhaupt so nennen kann. Von unfähigen Händen in mühseliger Kindergarten-Arbeit zusammengefummelte Strohsterne, die nicht einmal den Transport nach Hause überleben. Plätzchen aus Schulküchen, die schmecken, als hätte man den Dreck vom ganzen Jahr hinterm Ofen hervorgeholt und aufgebacken. Dazu Weihnachtstinnef der kitschigsten Sorte, mit Kunstschnee und leuchtendem Weihnachtsmann – Wer kauft sowas?

Ich persönlich kann sagen, dass ich bisher ein einziges Geschenk auf einem Weihnachtsmarkt gekauft habe: ich war 12, ideenlos und fand ein Männchen, das jemand aus Schrauben zusammengeschweißt hatte, irgendwie geil. Das Ding steht heute noch bei meinen Eltern im Regal und fängt Staub, weil sich keiner traut, ein Geschenk wegzuwerfen.

Verkehr…

Selbst wenn man es schafft, sich weitestgehend dem Trubel zwischen den “süßen” Holzbuden zu entziehen, betrifft einen der Weihnachtsmarkt ständig. In meiner Wahlheimat Münster wurden ganze Buslinien umgelegt, um die Holzbuden auch ja an jeder Ecke aufstellen zu können. Mit dem Fahrrad durch die Innenstadt? Keine Chance. Dort wo kein glühweingefüllter Versicherungskaufmann steht, wird gerade eine Busladung Niederländer abgelassen, um der wunderbaren deutschen Tradition zu frönen, sich in der Kälte volllaufen zu lassen. Und als sei das alles noch nicht genug, schlängeln sich Gruppen von angetrunkenen Rentnern schon mittags auf der Suche nach ihren – umgeleiteten – Bussen über MEINEN Radweg. Danke Weihnachtsmarkt.

Und alle Jahre wieder stehe ich dann mitten zwischen Harpyien und Freigängern, zwischen Rentnern und Niederländern, mit einer Bratwurst auf der Jacke und meinem dritten werdenden Glühwein-Kater in der Hand und freue mich, die ganzen Freunde und Bekannten wiederzusehen, die man nun mal nur einmal im Jahr auf dem Weihnachtsmarkt trifft.

Lies hier: 10 fantastischen Fakten über Weihnachten

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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Michael Cremann

Ist meist dort zu finden wo die laute Musik für andere klingt wie ein Autounfall. Wirbt Geld für den Guten Zweck ein oder gibt Führungen durch Münsters Ruine Nummer eins. Dazu wird noch getanzt und wenn dann noch Zeit ist, Geschichte und Archäologie studiert.

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