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Wer bist du, wenn du nicht mehr du sein kannst? – Eine Podcastempfehlung

The Amelia Project ist ein englischsprachiger Fictional Podcast im Dark Comedygenre. Er ist entsprechend stellenweise etwas düster und spielt mit dem Obskuren. Eine Empfehlung...
| Alex Schmiedel |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

The Amelia Project, Artwork von Anders Pedersen

The Amelia Project ist ein englischsprachiger Fictional Podcast im Dark-Comedy-Genre. Er ist entsprechend stellenweise etwas düster und spielt mit dem Obskuren. Denn The Amelia Project handelt von einer verdeckt agierenden Agentur, die Menschen verschwinden … und wieder auftauchen lässt: Unterschiedlichste Klient:innen kommen in den Geschichten zum Amelia Projekt und stellen ihre Fälle vor. Die Agentur soll ihnen helfen, ihren eigenen Tod vorzutäuschen, und das meist auf spektakuläre Art. Die persönlichen Hintergründe der Charaktere werden dabei geschickt und immersiv mit dem Pläneschmieden verbunden. So arbeitet die Agentur in der Geschichte beispielsweise mit einem skrupellosen Chirurgen zusammen, der aus einem ursprünglichen Gesicht ein ganz anderes macht. Hierbei begleitet der Podcast lediglich diese Planungsphase: Was soll die vorgetäuschte Todesursache sein, welche (exklusiven und explosiven) Hilfsmittel werden benötigt, wie verläuft der Fluchtweg oder das Verstecken und welche neue Identität wird der:die Klient:in annehmen?

Die vorgetäuschten Tode sind nämlich nur der Anfang, denn stets stellt sich daraufhin die Frage, wie die Figuren im Anschluss ihr Leben weiterführen können. Sie nehmen neue Identitäten an, verändern ihr Aussehen, wechseln ihren Beruf und wählen neue Interessen. Doch die Agentur ist sehr selektiv: Die Fälle sind kostspielig, entsprechend steht auch stets die Frage im Raum: Was oder wie viel können die Klient:innen im Gegenzug bieten? Mit Geld allein ist es nicht getan: Der „Interviewer“ (Alan Burgon), der Hauptcharakter des Podcasts, der die Gespräche mit den potenziellen Klient:innen führt, ist wählerisch und eigen. Bei einem Tässchen Kakao hört er sich die Fälle an, doch möchte er nichts von einfachen und auserzählten Geschichten hören. Der hundertste Banküberfall? Die drölfte zerbrochene Ehe? Nein danke, sagt er, und schickt die Leute weg. Als beispielsweise eine Künstliche Intelligenz, welche mit Humor ihren eigenen Tod vortäuschen möchte oder ein Kultleiter, der seiner Gemeinde versprochen hat, sich mit einer Kanone in eine Parallelwelt zu schießen, vorbeischauen – da ist er plötzlich ganz Ohr.

unbekannt Quelle: Der Amelia Project, Artwork von Anders Pedersen

The Amelia Project ist ein kurzlebiger, narrativer Podcast mit interessanter Struktur: Im Wechsel gibt es stets eine kurze zwei bis dreiminütige Prologfolge, in der Alvina Wright (Julia C. Thorne), welche für die Vermittlung und die Hintergrundrecherche von potenzieller Kundschaft zuständig ist, den Interviewer über einen neuen möglichen Fall informiert – meist bei einem Heißgetränk. Im Anschluss folgen circa 15 bis 25 Minuten lange Episoden, in denen die Rezipierenden den Dialog des Interviewers und des:der Klient:in hört. Das Team schreibt zudem auf ihrer Webseite, dass die vollständige Transkription der Folgen noch im Prozess ist, allerdings voranschreitet und bereits einige Folgen transkribiert worden sind.

Besonders spannend ist der Podcast, weil er außerdem grundlegende Fragen der Erkenntnistheorie und Ethik aufgreift und in leichter Form thematisiert. Es handelt sich hierbei meist um ein implizites Anreißen der Themen und Problematiken, und es werden jeweils einige grundlegende philosophische Kernargumente in die jeweilige Story eingebaut.

The Amelia Project ist eines von vielen interessanten Projekten, hinter denen Imploding Fictions steckt. Bei Imploding Fictions handelt es sich um eine internationale Theatergruppe und das zeigt sich nicht nur in den Produktionsbedingungen des Podcasts, sondern auch an der Art, wie mit Sprache, Semiotik und kulturellen Kontexten innerhalb der Narration umgegangen wird. Besonders sticht der Podcast durch die hohe Produktionsqualität und die professionellen Sprecher:innen hervor – und durch den Humor der Show. Wer schon immer eine ulkige Fusion von Monty Python und BBCs Sherlock mit einer Prise Wooden Overcoats hören wollte, ist hier genau richtig.

Abschließend lässt sich der mehrfach ausgezeichnete Podcast, unter der Regie von Philip Thorne und Øystein Ulsberg Brager wärmstens empfehlen – insbesondere wenn ihr kurz vor dem Schlafen wachliegt, über alternative Realitäten nachdenkt, und euch fragt: Was wäre wenn?

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Alex Schmiedel

Seit 2019 unterstütze ich das Team mit Illustrationen, Gestaltung, Artikeln und einer stets schwingenden intersektionaler Feminismus-Keule. Ursprünglich bin ich jedoch als Fan des Heldenpicknicks auf Seitenwaelzer gestoßen. Meinen Bachelor habe ich in Mediendesign in Münster absolviert und nun studiere ich Medienwissenschaft im Master in Bochum und arbeite im Bereich Mediendesign. Für Interactive Fiction, Podcasts, Animation und Musik schlägt mein Herz, ebenso wie für Aufklärung über diverse politische Themen, insbesondere Geschlechterdiversität und medizinische sowie antiableistische Gleichberechtigung.

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