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Ein komischer Vogel – Beflügelte Worte oder diskriminatorische Sprache?

Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, außer manche. Und diese manchen sind eigentlich viele. Dieser Artikel betrachtet die Verschränkung von Vogelmotiven mit diskriminatorischer Sprache mit Fokus auf Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderungen, auch Ableismus genannt. Keine Sorge, am Ende zwischter ich euch noch ein paar knorke Vorschläge für freshe, neue Vogelbeleidigungen!
| Alex Schmiedel |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

unbekannt

Du hast wohl einen Vogel!

Das oder auch “Bei dir piept’s wohl” haben wir alle bestimmt schon duzende Male gesagt oder gesagt bekommen. Doch wusstest Du, dass die sprichwörtliche Meise die Menschen zugeschrieben wird, ein diskriminierender Ausdruck ist, der Menschen mit Behinderungen, Neurodiversität oder psychischen Erkrankungen abwertet?

Jetzt mach doch keine Mätzchen!


Die Meise oder verniedlicht auch Mätzchen, so glaubte man beispielsweise im Mittelalter, nistete sich in den Köpfen von Menschen ein, die nicht der allgemeinen Normvorstellungen entsprachen. Sie wurde ein Symbol für von der Gesellschaft zu Unrecht an den Rand geschobene oder in ihrer Existenz bedrohte Menschen. Menschen, deren Urteilskraft, Eigenverantwortlichkeit, Gefühle, Gedanken und Möglichkeiten der Teilhabe systematisch unterdrückt und als ungültig verurteilt wurden.

“Okay, aber Meisen oder Mätzchen, das ist doch nicht schlimm. Dass jemand eine Meise hat oder Mätzchen macht, kann man dann noch sagen, oder? Das sind doch nur Vögel. Das ist doch eine harmlose Beleidigung.” Natürlich kann man prinzipiell alles so sagen, wie man möchte und es liegt zu großen Teilen im persönlichen Ermessen, ob Du andere Menschen mit Respekt und Würde behandeln möchtest. Keine Sorge, niemand versucht Dir Wörter zu verbieten, wenn über diskriminatorische Sprache gesprochen wird. Es wird lediglich versucht, darzustellen, inwiefern Sprachverwendung auch ein Instrument sein kann, um andere Menschen zu verletzen und nicht nur individuell, sondern auch institutionell und systematisch zu unterdrücken. Denn Sprache ist ein Element, das unseren Alltag strukturiert einordnet und unser Verständnis von Normalität prägt. Normal ist das, was uns begegnet, was wir kennen und vor allen Dingen ist es abgleitet von der Norm. Normal ist also das, was einer Norm entspricht, einer sozialen Erwartungshaltung. Dementsprechend kann es für uns alle förderlich sein, diese Normen auch manchmal zu hinterfragen, abzubauen oder durch andere zu ersetzen.

Warum dir niemand Meinungsfreiheit verbietet, Tobias

Zusammengefasst: Ja, Du kannst alles sagen. Nur weil man alles sagen kann, heißt es aber nicht, dass man es auch tun sollte. Du kannst dir auch eine Kilo-Packung raffinierten Zucker nehmen und die pur löffeln, aber das heißt nicht, dass das dir, deiner Bauchspeicheldrüse oder irgendwem guttut. Mehr noch: Es kann Schaden bringen.

Im Falle von diskriminatorischer Sprache gibt es gute Gründe, einfach darauf zu verzichten, ansonsten musst du dich eben nicht wundern, wenn andere Menschen dich auf dieses Verhalten ansprechen. Das ist dann auch meistens nicht böse gemeint und wir alle tragen internalisierte, also verinnerlichte Formen von diskriminierenden Ideen in uns. Es liegt an uns, diese weiter zu füttern oder kritisch zu beleuchten. Genauso wie man nicht mit diskriminierenden Ideen geboren wird, sondern diese im Laufe des Lebens lernt, kann man diese auch wieder verlernen oder dazulernen. Scham oder Schuld sollten nicht im Vordergrund stehen, da sie häufig Menschen davon abhalten können, sich zu verändern. Zentral ist vielmehr die positive Veränderung! Aber zurück zu Meise und Co, denn es gibt noch viel zu vögeln. Moment, was?

Eine digitale Illustration von einer Person mit einem Loch im Kopf und einem Specht, der auf der Schulter sitzt.
unbekannt Ein Specht

Ich glaub, es hackt

Doch nicht nur in Redewendungen, sondern auch in unseren Gesten findet sich dieses Muster. Das Tippen gegen den Kopf ist beispielsweise eine Geste, die man macht, wenn man einer Person “den Vogel zeigt”. Auch die Redewendung “Ich glaub, es hackt” bezieht sich auf einen im Kopf hackenden Vogel, etwa einen Specht. Egal, ob sprachlich oder gestisch: Wir wiederholen diese veralteten, ausgrenzenden Ideen und schließen damit oft unbewusst Menschen aus. Denn von Vögeln in Köpfen und Mätzchen wird nur in negativ besetzten oder beleidigenden Kontexten gesprochen.

Und wie war das mit dem Spatzenhirn?

Allerdings müssen nicht nur Meisen und Spechte herhalten: Oft heißt es auch “du Spatzenhirn” oder „du dumme Gans“. Diese Ausdrücke werden genutzt, um sich abwertend über “dumme” Handlungen, Eigenschaften oder Aussagen einer Person zu äußern. Dabei ist das Konzept von “Dummheit” ebenfalls problematisch. Wer legt fest, was dumm ist? Wieso gibt es eine harsche Zweiteilung in “schlau” und “dumm” und wozu gibt es diese? Die meisten Antworten auf solche Fragen führen zu Problemen wie der systematischen Entwertung der Bedrohung und Marginalisierung von Menschen, die nicht in herrschende Machtstrukturen passen. Auch um weiblich gelesene Personen herabzuwürdigen, gibt die Vogelwelt viel her: ob eine Mutter oder ein weiblich gelesenes Elternteil „zu“ fürsorglich („Glucke“) oder nicht fürsorglich „genug“ („Rabenmutter“, „Rabeneltern“) ist, das Repertoire ist groß. Auch „blöde Schnepfe“ oder „bunter Vogel“ sind Begriffe, die jeweils eine abwertende und diskriminatorische Konnotation haben und auch queerfeministische Themen berühren.

Abschließend noch zwei weitere Beispiele, die verdeutlichen, dass Sprache ein Mittel ist, um bestimmten Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu verwehren, indem sie mit Negativem gleichsetzt werden. Es wird Macht über sie ausgeübt und sie werden in abwertende Kategorien gesteckt. Ein historisches Beispiel hierfür ist auch die Bezeichnung “Vogelköpfe” für Menschen, die aufgrund von Mikrozephalie kleinere Köpfe haben. 

Du kommst gerade sehr kauzig rüber

Kauzige Menschen leben zurückgezogen und fallen durch ihr Verhalten auf. Auch hier können wir einerseits einen Vogel wiederfinden: Den Waldkauz und andere komische Käuze, denen du im Wald begegnest. Sidenote: „Komische Käuze“ wäre ein fantastischer Name für eine Comedyshow, wenn wir den Begriff positiv besetzen wollen. Andererseits finden wir im Motiv des kauzigen, oft alten Menschen diskriminatorische Sprache gegenüber Menschen, deren Ausdrucksweisen oder Verhalten nicht den normativen Machtstrukturen entsprechen. Das kann alles Mögliche sein, aber oft wird der Begriff unter anderem lästernd oder entwertend für neurodiverse Menschen, wie beispielsweise Menschen, die zum Autismusspektrum gehören, oder auch chronisch erkrankte Menschen, wie beispielsweise Leute, die Alzheimer haben, verwendet.

Du Tölpel!

Eine Zeichnung der Vogelart Tölpel. Bei der Illustration handelt es sich um eine digitale Malerei. Unten rechts steht Zeichenelster als Unterschrift.
unbekannt Ein Tölpel

Das ist doch nun wirklich ein harmloser Vogel und ein lustiger Name, den man jemand anderem nachrufen kann, oder? Dem ist leider nicht so. Tatsächlich wurde die Vogelart nach Menschen benannt, die als „Tölpel“ beleidigt wurden, weil ihre Gangart nicht den normativen Erwartungen entspricht. Mit der Bezeichnung „Tölpel“ werden Assoziationen von Ungeschicklichkeit, Plumpheit und Dummheit erweckt, die wiederum auf ableistische, normative Ideen zurückzuführen sind. Denk beispielsweise an Menschen mit Gleichgewichtsstörungen, Spastiken, Multipler Sklerose und Parkinson: Das sind nur einige wenige Beispiele, weshalb manchmal Teile einer Symptomatik zu Gehmustern führen können, die anders aussehen als Medien, Bildungssysteme, persönliche Umfelder und Vorbilder, die Erwartungen prägen. Es ist oft so, dass wir das, was wir unmittelbar selbst oder in unserem Umfeld erleben, für eine objektive und umfassende repräsentative Abbildung der Realität halten. Das Ganze nennt sich Ankerheuristik. Wenn wir die Auswirkung von Effekten wie diesen verringern wollen, müssen wir Sichtbarkeit und Teilhabe schaffen und Hürden abbauen – seien es wortwörtliche physische Hürden wie fehlende Rampen, Induktionsschleifen oder Leitsysteme. Doch genauso wichtig sind auch die Hürden, die man nicht physisch anfassen kann, die jedoch ebenso reale Probleme schaffen. Wir brauchen inklusivere Sprache, weniger Diskriminierung, Vorurteile und einen Abbau von verinnerlichtem Ableismus.

Ableismus
Die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Behinderungen bezeichnet man als Ableismus. Das Wort stammt aus dem Englischen und wird dort „ableism“ geschrieben. Denn Behinderung heißt im Englischen „disability“. Wichtig ist auch die Zentralisierung der Perspektive, dass Menschen durch ihr Umfeld an Teilhabe und Möglichkeiten gehindert werden. Etwa durch den Aufbau von Gebäuden, Lehrplänen, Sprache oder Veranstaltungen. Im Wort „Ableismus“ wird dementsprechend auch eine Weltsicht, die Menschen bewusst an den Rand der Gesellschaft drängt, problematisiert.

Alle Vögel sind schon da

„Alle Vögel sind schon da, alle Vögel alle.“ Das heißt: Alle, außer die, die nicht partizipieren können oder dürfen. Amsel, Drossel, Fink und stark diskriminierende Sprache hilft nur Menschen, die bereits von Machtstrukturen profitieren und diese ausbeuterisch und egoistisch vorantreiben wollen. Und das ist nur die Vogelwelt und von ihr gerade mal ein kleiner Ausschnitt. Die Beispiele zeigen:
Unsere Zeichensprache, seien es Wörter, Gesten oder Bilder sind ableistisch geprägt und es gibt noch viel zu tun!

(Zeichen-)Sprache wird als Instrument verwendet, um Menschen durch soziale Abwertung und Ausgrenzung Mitbestimmungsmöglichkeiten und Teilhabe zu nehmen.

Natürlich ist es besser, einfach Beleidigungen zu reduzieren, zumindest solche, die nach unten treten. Beleidigungen können auch ein Mittel für emotionalen Ausgleich oder Emanzipation sein. Falls ihr doch ein paar Alternativen aus dem Vogelreich haben wollt, hab ich hier einige nicht ganz so ernst gemeinte Vorschläge aus der langen Liste deutscher Vogelnamen herausgekramt:

*Mit Sternchen gekennzeichnete bieten sich übrigens besonders bei Netzfaschismus an.

Und wenn’s ein bisschen Liebe sein darf:
Du bist mein*e: …

Ein Bild der Vogelart Lanius isabellinus, auch bekannt als Isabellwürger. Das Bild ist eine Illustration im Stil einer digitalen Malerei.
unbekannt Der Isabellwürger (lanius isabellinus)

Ob man keine Beleidigungen, nicht-diskriminatorische geläufige oder etwas zu „kreative“ Ausdrücke verwendet: Es gibt viele Möglichkeiten, tobt euch aus, aber seid dabei empathisch und sensibel. Ursprünglich komme ich aus dem Ruhrgebiet, daher erlaubt mir, kurz in Mundart zu wechseln, da diese auch viele Möglichkeiten bietet: Liebe*r Kumpel, dat is‘ diskriminatorischer Firlefanz*, watt du da tus‘; hömma‘ uff damit! Ich kriech‘ echt zu viel und könnte kotzen. Da werd‘ ich glatt zum Isabellwürger.


Firlefanz“ kommt ursprünglich aus dem altfranzösischen und bezeichnet einen fröhlichen, lustigen Springtanz.

Abschließend gilt: ein Problembewusstsein zu entwickeln und entwaffnend zu sein. Ein kreativer, konstruktiver Umgang mit Sprachwandel tut niemandem weh und hilft an vielen Stellen. Oftmals tragen wir nur unbewusst zu dem Fortführen dieser Machtstrukturen bei. Durch Austausch, Vernetzung und Einfühlungsvermögen und das Ändern ausgrenzender Verhaltensweisen können wir uns und andere gemeinsam unterstützen.

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Alex Schmiedel

Seit 2019 unterstütze ich das Team mit Illustrationen, Gestaltung, Artikeln und einer stets schwingenden intersektionaler Feminismus-Keule. Ursprünglich bin ich jedoch als Fan des Heldenpicknicks auf Seitenwaelzer gestoßen. Meinen Bachelor habe ich in Mediendesign in Münster absolviert und nun studiere ich Medienwissenschaft im Master in Bochum und arbeite im Bereich Mediendesign. Für Interactive Fiction, Podcasts, Animation und Musik schlägt mein Herz, ebenso wie für Aufklärung über diverse politische Themen, insbesondere Geschlechterdiversität und medizinische sowie antiableistische Gleichberechtigung.

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