Kultur und Medien / Reportage

Bonaparte und Cunningham auf dem B-Sites Festival – ein Erfahrungsbericht

B-Sites Festival mit Bonaparte und Charlie Cunningham. Im Interview mit den Veranstaltern. Ein Erfahrungsbericht von Amelie.
| Amelie Haupt |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

planbar productions Gmbh - B-sites

„Ein Open-air Konzert mit Kopfhörern – wie soll ich mir das denn vorstellen?“, habe ich mich gefragt, als ich auf der Homepage des kölner Festivals „At the B-Sites“ landete. „Egal, Bonaparte spielt, das kann nur gut werden.“ Beim Ticketkauf folgte gleich die nächste Überraschung: „Zahl so viel du willst“ sagte der Verkäufer im Ticketshop zu mir. Ich zahlte den „fairen“ Preis von 25 € und fand, dass ich für ein Tagesfestival mit fünf Bands sogar einen ziemlichen Schnapper gemacht hatte. Das Ticket in der Hand, versuchte ich mir nun vorzustellen, was mich erwarten würde. Ein Konzert mit Kopfhörern und ohne feste Eintrittspreise – ein interessantes Geschäftsmodell!

Drei Tage vor dem Festival wurden via Facebook noch ein paar Helfer*innen gesucht. Da ich ohnehin nur Bonaparte sehen wollte und ich niemanden in meinem Freundeskreis von diesem abgefahrenen „silent concert“-Konzept überzeugen konnte, meldete ich mich zum Dienst. Als es dann am Samstagvormittag, wie aus Eimern schüttete, war ich von meiner Hilfsbereitschaft eher weniger begeistert, aber ich hatte nun mal zugesagt. Doch als ich um 15 Uhr im Jugendpark am Rhein ankam, tröpfelte es nur noch einmal und es sollte für den Rest des Tages trocken bleiben. Glück gehabt!

Nun war es meine ehrenvolle Aufgabe, die Tickets am Einlass zu scannen, mich an den Freigetränken zu bedienen und mit den anderen Helfer*innen zu quatschen. Es gab noch ausreichend Tickets an der Abendkasse und nun konnte ich die Nachzügler*innen bei der schwierigen Entscheidung beobachten, wie viel sie zahlen wollten. 10 € ist der Mindestpreis, bei 25 € werden die Aufwandskosten grob gedeckt und es gibt als Dankeschön einen Turnbeutel, es kann aber auch gerne mehr oder eben weniger als 25 € gezahlt werden. „Warum lässt man die Leute zahlen, was sie wollen?“, fragte ich mich und auch Sören, einen der Veranstalter:

“Wir trauen unseren Gästen zu, dass sie selbst wissen, wie viel sie bereit sind für ein Ticket auszugeben. Uns ist wichtig, dass in Zeiten von horrenden Ticketpreisen jeder die Möglichkeit hat, auf eine Kulturveranstaltung bzw. auf Konzerte zu kommen. Wir möchten dieser Art von Musik, grob gefasst Indie-Musik, eine Bühne bieten, die für alle zugänglich ist.“

Das ist sehr löblich und altruistisch, aber kann das als Geschäftsmodell funktionieren? Schließlich muss die gesamte Technik bezahlt werden, die Miete für den Platz, die Künstler*innen und die helfenden Hände – auch wenn letztere vielleicht nur eine kleine Entschädigung oder Freigetränke bekommen. Auf der Homepage las ich den Begriff „Social Ticketing“. Vielleicht war ich durch mein BWL-Studium einfach zu desillusioniert, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass man ein so aufwendiges Festival ohne Absichten auf Gewinnerzielung veranstalten würde. Irgendwo muss doch ein Hintergedanke, ein verkaufspsychologischer Trick sitzen.

„Das ist Liebhaberei. Das ist tatsächlich Liebhaberei. Man muss dazu sagen, dass wir die Infrastruktur schon im Haus haben. Bei uns in der Wohngemeinschaft (für die Nicht-Kölner*innen: Eine Bar / ein Hostel / ein Theater beim Rudolfplatz) arbeiten rund 50 Mitarbeiter*innen, die alle engagiert dabei sind und sehr für unsere Sachen brennen. Aber ich würde nicht sagen, dass am Ender so einer Veranstaltung eine fette schwarze Zahl unterm Strich steht. Das ist tatsächlich eine Non-Profit Veranstaltung. Erst recht, wenn man die Arbeitsstunden mit einberechnet. Allerdings haben wir natürlich auch einen großen Sponsor. Mühlen Kölsch unterstützt diese Veranstaltung und macht sie damit erst möglich.“

„Eine coole Einstellung“, dachte ich mir, „aber will man als Unternehmer*in nicht doch gerne Kohle verdienen?“

„Nö. Das ist ein Festival von Musikliebhabern für Musikliebhaber. Wir finden das gut und deswegen machen wir die Silent-Konzertreihe. Auch die Leute finden das gut und kommen immer wieder. Wir nennen sie schon unsere Gemeinde. Als wir letztes Jahr das Festival absagen mussten wegen Hochwasser und alle bedröppelt im Büro saßen, teilten uns ganz viele Gäste mit, wie leid es ihnen tue, dass das Festival nicht stattfinden kann. Aber nicht für sie selbst, sondern für uns. Das war wirklich ein guter Moment. Wir bieten den Leuten was und sie fühlen sich verbunden. Wir haben auch mittlerweile Narrenfreiheit bei den Künstler*innen, die wir buchen, weil die Leute wissen, dass wir Geschmacksicherheit haben.“

Nach drei Stunden Tickets scannen wird mir vorgeschlagen, dass ich doch mal eine Pause machen sollte. Ein Vorschlag, den ich gerne annehme. Ich bekam einen Teller vom Catering mitgebracht und zog mich mit müden Beinen in einen der Backstage-Räume zurück. Ich setzte mir den Kopfhörer auf und hörte in klarsten Tönen die Musik von Honig. Kopfhörer weg: Gerede von den Leuten draußen vor der Tür. Kopfhörer drauf: Akustikgitarre und Gesang. Ich begann die Vorteile dieser Technik zu erkennen. Nach meinem Abendmahl schlenderte ich über das Gelände, schaute bei der großen Musikbühne und der kleinen Moderationsbühne vorbei. Überall, wo ich hin ging: Musik in meinen Ohren in bester Qualität. Selbst auf den Toiletten! Wie kommt man nur auf eine solch brillante Idee?

„Wir mussten mal notgedrungen ein Konzert auf unserer Terrasse statt im Theater machen. Das Problem: ständig fuhr die Straßenbahn vorbei und das hat natürlich gestört. Dabei kamen wir auf die Idee. Ich höre selbst öfters mal Musik mit Kopfhörern. Dabei kann ich viel mehr Differenzen in der Musik ausmachen. Dieser Faktor funktioniert beim Open Air nicht so richtig. Weiterhin kommt dazu, dass es gar nicht so einfach ist, Veranstaltungen in Köln zu machen. Auch der Jugendpark hier ist stark reglementiert durch die Politik, weil die Anwohner*innen sich wegen der Lautstärke beschweren, was natürlich auch deren Recht ist. Dieses Problem haben wir dadurch gelöst, dass wir eben keine PA-Anlage, also keine Beschallungsanlage haben.“

Mittlerweile ist es dunkel geworden und ich habe bei meinem Streifzug übers Gelände festgestellt, dass es keine Absperrung zum Rheinufer gibt. Verstohlen schaue ich mich um, ob mich jemand zurückpfeift, sobald ich versuche die Kopfhörer zu entführen. Aber ich mache noch ein paar andere Silhouetten mit grünen und blauen LED-Lichtpunkten im Halbdunkel aus. Es hatten also noch andere die Idee, der Musik mit Blick auf den Rhein zu lauschen. Die Lichter der Zoobrücke spiegeln sich in den seichten Wellen des Flusses und Charlie Cunningham singt mit sanfter Stimme in mein Ohr. Ich fühle mich als Protagonistin einer sehr romantischen Filmszene und genieße den Telenovela-Moment.

Der Singer-Songwriter aus England beendet seinen Auftritt und ich höre den Applaus leise über die Kopfhörer und entfernt von der Bühne kommend. Die poetische Szenerie in meinen Kopf und vor meinen Augen löst sich auf und ich klettere über die Steine zurück zum festen Untergrund. Nochmal schnell Pipi machen und dabei den Leuten von der Moderationsbühne zuhören, bevor mein ersehnter Act stattfindet: Bonaparte. Ich habe die Band schon drei Mal live gesehen und finde ihre Shows einfach großartig. Abgefahrene Kostüme, wilde Performance und krawallige Beats. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Konzerterlebnis diesmal anfühlt, wenn die Musik über Kopfhörer, statt über Boxen meine Sinnesorgane erreicht. Es ist mittlerweile 23:00 Uhr und ich bin seit acht Stunden hier auf den Beinen. Passend zu meiner Müdigkeit beginnt Tobias Jundt den Auftritt mit einem ruhigen Song vom neuem Album „THE RETURN OF STRAVINSKY WELLINGTON“. Sein neuestes Werk ist insgesamt eher ruhiger, melodischer, sanfter und stellt nun einen sanften Übergang zum vorherigen Cunningham dar. Doch so richtig BonERpartY-Stimmung will sich nicht bei mir einstellen. Ich nutze die Situation für mich und stelle mich auf eine der Treppenstufen, um mir die abgefahrenen Tanzeinlagen und bunten Verkleidungen endlich mal im Ganzen anzusehen. Mit „Anti Anti“ kommt der Wechsel zu den wilden Oldies und ich bekomme kurz Lust, mich in die Menge zu mischen. Allerding muss ich feststellen: Es gibt keinen Moshpit. Die Leute vor der Bühne zappeln zwar ein bisschen ab, aber es ist kein totaler Abriss. Bonaparte ohne Moshpit? Das ist wie Rammstein ohne Feuer oder Die Ärzte ohne Sitz-La-Ola. Ich merke, dass mir die Bassvibration im Körper, das Dröhnen in den Ohren und die schwitzigen Körper des Moshpits fehlen. Akustikgedudel oder Streichermusik kommt über die Kopfhörer hervorragend rüber, aber bei Bonaparte fehlt mir nun die lautstarke Power. Da ich aber ohnehin zu müde für eine komplette Eskalation wäre, bin ich nach einem kurzen Moment der Enttäuschung wieder im Bann der Bühnenshow. Zwei Menschen in beigen Bodysuits und mit Röhrenbildschirm auf den Köpfen stellen eine Sexszene dar zum Song „Computer in Love“. Am Ende des Konzerts sind die Tanzenden komplett nackt und mit Kunstblut und Glitzer beschmiert und ich fühle mich, wie immer nach einer Show von Bonaparte, leicht verstört.

Zu Hause lege ich mich ohne Tinnitus (!) ins Bett und mir schwirren wirre Gedanken zu sozialen Ticketpreisen, stillen Konzerten und nackten Menschen herum. Es war gewiss ein Konzert der anderen Art, aber ich hoffe, dass es von der Reihe noch mehr geben wird.

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