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Ein Wort zu viel – sind Spoiler wirklich so böse?

Man ist immer auf der Hut vor Informationen, die einem das Ende der Lieblingsserie verraten könnten und man sieht Spoilerwarnungen an jeder Ecke. Höchste Zeit, das Phänomen „Spoiler“ genauer unter die Lupe zu nehmen.
| Robin Thier |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Patrick Tomasso | Unsplash

Man ist immer auf der Hut vor Informationen, die einem das Ende der Lieblingsserie verraten könnten und man sieht Spoilerwarnungen an jeder Ecke. Höchste Zeit, das Phänomen „Spoiler“ genauer unter die Lupe zu nehmen.

Dumbledore stirbt! Bitte entschuldigt diesen abrupten Einstieg und den massiven Spoiler aus dem Harry-Potter-Universum, aber ich möchte heute über genau dieses Thema sprechen: über Spoiler. Dabei sind keine kunstvollen Fahrzeugaufbauten gemeint, sondern Spoiler im popkulturellen Sinn. In den letzten Jahren wurde der Begriff allgemein gebräuchlich für das Verraten von Handlungselementen aus Spielfilmen, Serien, Theaterstücken, Romanen und eigentlich jeder Form von Unterhaltung. Die Vorwegnahme von Plot-Details ist in hohem Maße gesellschaftlich verpönt, da man seinen Mitmenschen durch das Verraten solcher Details das Sehvergnügen beziehungsweise den Spaß am Konsum dieser Unterhaltungsmedien nehme. Der Begriff „Spoiler“ ist hingegen noch nicht alt und stammt von dem englischen Wort „to spoil“, was übersetzt „verderben“ bedeutet.

Twitter-Statistik
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Zwar nicht repräsentativ, aber unter unseren Twitter-Followern gibt es eine Mehrheit, denen Spoiler gleichgültig sind.

Woher kommt der „Spoiler“?

Dass es als unhöflich gilt, eine Handlung oder einen wichtigen Plot-Point einer Geschichte zu verraten, ist keine moderne Entwicklung. Schon lange wurde davor gewarnt in Theaterstücken oder Kinofilmen seinen Mitschauenden die bevorstehenden Ereignisse zu verraten, da sich die Zuschauer am liebsten selbst ein Bild machen möchten, ohne das Ende einer Handlung im Vorfeld zu kennen. In Zeiten, in denen das Theater oder das Kino neben Büchern die einzigen Möglichkeiten des Medienkonsums darstellten, war das Thema aber noch nicht besonders wichtig: Man konnte den Film schließlich erst sehen, wenn er im Kino lief und dann gingen viele Menschen in einem ähnlichen Zeitraum dorthin. Das hat sich gravierend mit dem Internet und dem nichtlinearen Fernsehen geändert. Aufgrund der großen Auswahl und der Möglichkeit, neue Inhalte im Internet direkt nach ihrem Erscheinen anzusehen, kommt es zu immer stärkeren Wissensunterschieden. Auf der einen Seite gibt es Fans einer Serie, die neue Episoden bereits nach ihrem Erscheinen auf Englisch ansehen und dann gibt es jene, die auf eine Übersetzung ins Deutsche warten. Eine Gruppe hat natürlich einen enormen Wissensvorsprung über die Entwicklung der Geschichte. Zudem sind wir stetig von Informationen umgeben und in Blogs, sozialen Netzwerken, Podcasts oder sonstigen Quellen schnappt man schnell mal Details zu einem Film auf, die man so genau gar nicht wissen wollte, da man anders an eine Geschichte herangeht, wenn man noch nicht viel darüber weiß. Spoilerwarnungen sind in den Online-Medien inzwischen an der Tagesordnung und fester Bestandteil vieler Kritiken, Kommentare, Foren und Videos. Der Zuschauer kann dann einfach die Lektüre abbrechen oder im Video vorspulen, bis der schändliche Spoiler vorüber ist. Und damit kommen wir nun zur eigentlichen Frage des Artikels: Sind Spoiler wirklich schädlich für das Sehvergnügen?

Die gravierende Ablehnung von Spoilern und die Tatsache, dass viele Menschen kein Detail einer noch nicht erlebten Geschichte wissen möchten, legt dies nahe. Man könnte also annehmen, dass eine Geschichte weniger spannend ist, wenn man bereits das Ende kennt und weiß, wer der Mörder im Krimi ist, oder ob die Romanze ein Happy End hat. Eine zumindest im Teil andere Meinung vertreten die Wissenschaftler Jonathan Leavitt und Nicholas Christenfeld der University of California in San Diego. Die beiden Psychologen führten zum Thema „Spoiler“ eine Studie durch und die Überschrift ihrer Veröffentlichung verrät bereits das Ergebnis: „Story Spoilers don’t spoil stories.“, also „Story-Spoiler verderben keine Geschichten“. Könnte unsere „Angst“ vor Spoilern völlig unbegründet sein?

Machen Spoiler eine Geschichte besser?

Leavitt und Christenfeld sind an ihre Studie mit der Hypothese herangegangen, dass eine Geschichte für den Leser weniger spannend sei, wenn dieser bereits Teile des Handlungsverlaufes oder sogar die gesamte Handlung kenne. Also bildeten sie mehrere Versuchsgruppen und ließen die Probanden jeweils Kurzgeschichten verschiedener Genres, von Comedy bis Mystery lesen und anschließend bewerten. Die Probanden kannten die Geschichte vorher natürlich nicht. Dieselben Geschichten wurden dann jeweils in drei Formen präsentiert: Einmal ohne jede Veränderung, einmal wurde das Ende in der Einleitung der Geschichte angedeutet und einmal wurde der Geschichte ein Prolog vorweggestellt, in dem eine komplette Zusammenfassung der Geschichte stand. Das Ergebnis überrascht nun ein wenig: In allen Fällen wurden die „gespoilten“ Geschichten von den Leserinnen und Lesern als spannender eingestuft. Auch empfanden die Personen die abgewandelten Anfänge der Geschichte, die ja das Ende vorwegnahmen, nicht irritierend. Aber wie genau kann man diesen Umstand erklären?

Die Kenntnis vom Ende einer Geschichte bringt den Leser oder Zuschauer in die Lage, die Position eines allwissenden Erzählers einzunehmen. Der Rezipient weiß an dieser Stelle, dass der Charakter seinem Verderben entgegenschwimmt und nichts dagegen tun kann. Oder er weiß, dass der Mörder die ganze Zeit der Partner des ermittelnden Polizisten ist. In diesen Fällen tut sich eine spannende Konstruktion auf. Jeder kennt die typische Spannungs- und Verlaufskurve einer Geschichte, die langsam beginnt und dann immer spannender wird, bevor wir mit einem guten oder schlechten Ende belohnt werden. Aber innerhalb dieser großen Spannungskurve kommt es zu vielen Mikrohandlungen und -entscheidungen, die jeweils Spannung erzeugen können. Bleiben wir beim Beispiel eines Kriminalromans. Natürlich geht es im Großen und Ganzen darum, herauszufinden, wer das Verbrechen begangen hat. Aber jede Entscheidung, vor der unser Ermittler steht, hat das Potenzial Spannung zu erzeugen. Wenn wir wissen, wer der Mörder ist, gibt es zwar am Ende der Ermittlungen keine große Überraschung aber dafür fiebern wir die ganze Zeit über mit, ob der Mörder, der so nah ist, sich nicht irgendwie verrät. Oder ob der Ermittler auf das eine Indiz aufmerksam wird, das wir natürlich sofort mit dem Mörder in Verbindung bringen würden, da wir genau wissen, wer es ist. So kann ein Spoiler durchaus eine höhere Spannung erzeugen, als Nichtwissen. Dieses führt höchstens zu dem Überraschungseffekt oder Twist, wenn sich die gesamte Perspektive des Rezipienten durch das Auftauchen neuer Details verschiebt. Eine Serie, die extremen Gebrauch von einem allwissenden Erzähler macht, der einem sogar den Ausgang verschiedener Episoden im Vorfeld erzählt, ist die neue Netflix-Serie „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ und hier funktioniert das Konzept wunderbar.

Spannungskurve
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Die Spannungskurve einer generischen Geschichte

Was wir uns für den nächsten Serienabend merken können

Um ein weiteres Beispiel aus meiner eigenen Umgebung zu nennen: Als vor wenigen Jahren die Harry-Potter-Reihe noch nicht abgeschlossen war und der sechste Teil auf Englisch erschienen war, hatte ich durch Zufall bereits erfahren, dass die Figur des Dumbledore den Band nicht überleben würde. So war, als ich das Buch schließlich gelesen habe, jede Szene, in welcher der Zauberer in Gefahr gerät und in der ein uninformierter Leser sich noch denkt, dass man einen so wichtigen Charakter nicht einfach sterben lässt, die pure Spannung für mich.

Die Urheber der Studie geben zu bedenken, dass die positive Wirkung von Spoilern nicht grundsätzlich für jede Geschichte gleich ist. Jeder Mensch geht anders an Fiktionales heran und einige würden die vielen kleinen Spannungskurven vielleicht einfach überlesen und wären am Ende enttäuscht, dass sie den Ausgang der Geschichte schon kannten. Andere hingegen können sich mit der Kenntnis des Endes besser auf die Geschichte und all ihre kleinen Details und Ausprägungen fokussieren. Aus diesem Grund darf man ab und zu durchaus den Mut haben, sich etwas über den Verlauf eines Filmes, einer Serie oder eines Buches erzählen zu lassen, denn vielleicht habt ihr am Ende noch mehr Spaß daran.

Wie steht ihr zu Spoilern und könnt ihr euch vorstellen, dass sie eine Geschichte besser machen? Lasst einen Kommentar da!

Quellen

Leavitt, J. D., & Christenfeld, N. J. S. (2011). Story spoilers don’t spoil stories. Psychological science, 22(9), 1152–1154. doi:10.1177/0956797611417007

https://de.wikipedia.org/wiki/Spoiler_(Medien)

Grafik: Spannungskurve; Verändert nach https://mediahsba.blogspot.de/2013/07/lineare-medien-der-spannungsbogen.html

http://www.netzpiloten.de/klappe-halten-spoiler-vorfreude/

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Robin Thier

Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.

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