Ernährung

Einmal zum Mitnehmen bitte…

Alles andere, als kalter Kaffee
| Robin Thier |

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Robin Thier

Ich sitze entspannt bei Starbucks und lasse den Blick schweifen. Die drei Herren am Tisch in der Ecke sehen so aus, als würden sie gerade ein Start-Up gründen, der Typ mit Bart, der so angestrengt auf sein MacBook einhackt, schreibt sicher gerade einen Artikel für seinen Blog.

Irgendwo brüllt ein Kleinkind. Eine Horde Studenten kommt herein und holt sich den unvermeidlichen „Coffee-to-go“. In diesem Moment wird mir klar: Starbucks hat etwas geschafft, was IKEA schon seit Jahren verspricht: Sie haben etwas Alltägliches, wie das Trinken von Kaffee, zu einem Event, ja zu einem Erlebnis gemacht. In diesem Artikel soll es um eben dieses Getränk gehen, um das rabenschwarze Genussmittel, das stets in unserer Umgebung zu finden ist, das mancherorts heruntergestürzt und woanders zelebriert wird, das überall in Deutschland und auf der Welt getrunken wird und verdammt schlecht aus den Klamotten herausgeht: Es soll um Kaffee gehen.

Man könnte meinen, wenn ich schon einen ganzen Artikel über Kaffee schreibe, bin ich sicher ein Fachmann auf dem Gebiet, ein Genießer, der sein Getränk verehrt und jeden Tag mit einer oder zwei Tassen beginnt. Wie seltsam ist es da wohl, dass ich eigentlich kein aktiver Kaffeetrinker bin, meistens Tee bevorzuge und mich erschreckend wenig mit der Materie auskenne. Aber das verschafft mir eine gewisse Objektivität für das Thema. Was das Wissen rund um die gerösteten Bohnen angeht: Mit diesem Beitrag hat sich mein Kenntnisstand sicherlich erweitert.

„Und, wie viele Liter verbrauchst du so auf dem Weg zur Uni?“
„Benzin?“
„Nee, Kaffee!“

Der Kaffee hat eine lange Tradition und eine recht abenteuerliche Geschichte. Wie konnte ein exotisches Getränk die Kultur der Deutschen durcheinanderbringen? So durcheinander, dass es sich bis heute gehalten hat? Beginnen wir ganz am Anfang: Ursprünglich stammt die Kaffeebohne aus der Region „Kaffa“ in Äthiopien. Es ranken sich viele Legenden um die Entdeckung von Kaffee, und eine davon ist besonders schön. Die Legende handelt von einem Hirten, dessen Ziegen die seltsamen Bohnen fraßen und nachts wie wild umhersprangen. Nachdem der Hirte eine der Bohnen probiert hatte, stellte er eine belebende Wirkung fest und gab sein Wissen an die anderen Hirten weiter. So konnten sie auch über Nacht wach bleiben und über die Herde wachen. Natürlich ist das nur eine Legende, aber es ist erwiesen, dass sich der Verzehr von Kaffee, wenn auch noch nicht geröstet, bereits im 9. Jahrhundert nach Christus nachweisen lässt.

Von Äthiopien gelangte er im 14. Jahrhundert durch den Sklavenhandel nach Arabien, wo er ab dem 15. Jahrhundert geröstet und getrunken wurde – dort entwickelte sich eine rege Industrie um den Verkauf und die Zubereitung von Kaffee, vor allem in der Hafenstadt Mocha (Mokka). Heute ist uns Arabien daher auch als Wiege des Kaffees, wie wir ihn kennen, bekannt. Große Verbreitung in Europa erfuhr das Getränk jedoch erst im 17. Jahrhundert durch die beliebten Kaffeehäuser in Paris, Marseille oder London. 1673 öffnete das erste deutsche Kaffeehaus in Bremen und brachte die Tradition nach Deutschland. Zunächst nur in der Oberschicht getrunken, verbreitete sich das exotische Getränk schnell überall im Land. Es gibt verschiedene Gründe für die rege Verbreitung, aber dazu beigetragen haben die damaligen Zustände: Es gab einfach kaum Alternativen. Wasser konnte man nicht trinken, es war entweder verseucht oder anderweitig ungenießbar. Stattdessen trank man Bier und Branntwein und das in Mengen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Bereits zum Frühstück gab es (leichte) Biersuppe, und Bier war in vielen Bevölkerungsschichten das einzige Getränk, welches tagein, tagaus konsumiert wurde. Ein Arbeiter trank außerdem bis zu 20 Liter Branntwein pro Woche.

Man kann sich vorstellen, dass die Menschen durch den Dauerrausch nicht gerade zu gedanklichen Höchstleistungen in der Lage waren. Der Kaffee jedoch wurde mit kochendem Wasser gemacht, abgekocht war es trinkbar, und versprach den Menschen eine belebende Wirkung ohne die Nachteile des Rausches. Aus diesem Grund wurde dem Kaffee auch der Status eines Wundermittels zugeschrieben, und einige Zeit lang war er nur in Apotheken zu erstehen und sehr teuer. Im ausgehenden 17. Jahrhundert entwickelte es sich außerdem zur Mode, nüchtern zu sein. Man wusste um die Probleme des Alkohols, und der Kaffee kam da als Ersatzgetränk nur recht. Deutschland wurde nüchtern.

Eine interessante Anekdote nebenbei: 1766 war der Handel mit Kaffee von derart großer wirtschaftlicher Bedeutung, dass Friedrich der Große ein Handelsverbot aussprach, um die Staatskasse aufzufüllen und um den Abfluss von Geldern ins Ausland zu unterbinden. Kaffee musste importiert werden, die Bierindustrie in Deutschland verkümmerte hingegen. Daher die Regel: Nur der preußische Staat durfte mit Kaffee handeln, was zu allerlei Schmuggel und illegaler Kaffeerösterei führte. Sogenannte Kaffeeschnüffler zogen umher und konfiszierten Kaffeegeschirr. Aber die Bevölkerung wurde kreativ. Man wollte Kaffee trinken, denn das Getränk hatte sich schließlich längst zu einer Tradition entwickelt. Auf der Suche nach Alternativen trank man Zichorienkaffee, ein Getränk, das aus der Wurzel der Zichorie hergestellt wurde und wohl unglaublich bitter geschmeckt haben muss. Dies hatte zur Folge, dass nun auch die ärmste Schicht den Ersatzkaffee trinken konnte und man sich natürlich zu Feierlichkeiten den „echten“ Kaffee leistete. Durch das Verbot wurden also mehr Menschen zu Kaffeetrinkern, als vorher. 1787 wurde das Verbot wieder abgeschafft.

In nur knapp 150 Jahren nahmen die Deutschen ein exotisches Getränk an und gingen sogar so weit, dass sie für den Genuss von Kaffee das Gesetz brachen. Im Norden Deutschlands, in Ostfriesland, geschah dasselbe mit Tee, der aus den Niederlanden und England herüberkam. Die Gesellschaft wurde verändert, die Menschen kauften neue Kaffeeservices, die es vorher nicht gegeben hatte – es gab ja keine Heißgetränke – und die Kaffeebesuche am Nachmittag fanden Einzug in die Routine. Ein Überbleibsel aus jener Zeit sind übrigens auch Untertassen. Ursprünglich waren sie nicht dazu gedacht, Flecken auf weißen Tischdecken zu vermeiden, sondern hatten praktische Bedeutung: Man bekam eine Tasse heißen Kaffee, der dann schlückchenweise auf die Untertrasse gegossen wurde, wo er aufgrund der großen Oberfläche schnell abkühlte. Eigentlich trank (oder besser schlürfte) man den Kaffee also von der Untertasse.

Heute läuft der gesamte Kaffeemarkt in Deutschland über nur sechs Firmen, und der Absatz ist gewaltig. 261.650 Tonnen gemahlener Filterkaffee wurden 2014 verkauft, dazu 63.450t Kaffeebohnen, 48.650t Kaffeepads, sowie 19.890t löslicher Kaffee. Jeder Deutsche trinkt im Schnitt 77.000 Tassen Kaffee in seinem Leben. Alles in allem hat es das tiefschwarze Getränk geschafft, das Leben zu prägen, wie kaum ein Lebensmittel sonst. Der morgendliche Kaffee gehört bei den meisten Menschen zur Routine und wird ab und zu fast schon religiös zelebriert. Eine eigene Mahlzeit, das Kaffeetrinken am Nachmittag, wurde zu einer Industrie, die Kuchen, Würfelzucker, Süßstoff und Kekse hervorbrachte, Cafés sind regelmäßig bis zum Bersten gefüllt und auf dem Land haben Landgasthöfe, bei denen man nachmittags Kaffeetrinken kann, eine lange Tradition.

 

Kaffeetrinken
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Morgens erstmal eine Tasse Kaffee?

 

Wie ferngesteuert trinken ganze Nationen zur selben Zeit Kaffee, es gibt ihn in unzähligen Zubereitungsformen und jeder schwört auf eine andere Art: Es gibt den schnellen Kaffee, den Milchkaffee und natürlich „To go“. Im Supermarkt wird man von einer riesigen Auswahl erschlagen, ganz zu schweigen vom Entscheidungszwang bei Starbucks. Aber was macht Kaffee so besonders? Ist er wirklich der ominöse Wachmacher, der unsere Gesellschaft vor dem Einschlafen bewahrt? Sind wir alle süchtig, oder ist das Kaffeetrinken einfach eine Lebenseinstellung?

Koffein lautet das Schlagwort. Enthalten in Cola, Kaffee und anderen Wachmachern, ist Koffein zum ganz legalen Aufputschmittel avanciert. In seiner Reinform nur ein blasses Pulver, ist es inzwischen in vielen Getränken enthalten und wird jeden Tag von Millionen Menschen konsumiert. Das Koffein hat dabei einige Effekte auf den menschlichen Körper, die von einer Anregung des zentralen Nervensystems über die Erhöhung der Herzfrequenz und der Erweiterung der Bronchien. Besonders geschätzt wird jedoch der wachmachende Einfluss des Stoffes. Vereinfacht gesagt tauschen die Zellen des Körpers im Wachzustand rege sogenannte Botenstoffe aus und verbrauchen Energie. Dabei entstehen Stoffe, die das Gehirn vor Überanstrengung schützen und sich, sobald genug davon vorhanden sind, an bestimmte Rezeptoren im Gehirn knüpfen: Man wird müde. Das Koffein ähnelt diesen Müdigkeits-Stoffen und blockiert die Rezeptoren, ohne sie zu aktivieren. Nun kann das Gehirn die Signale, dass es müde sei, nicht mehr empfangen und bleibt im Wachzustand. Jedoch werden die Botenstoffe weiter produziert und ihre Anzahl steigt. Sobald die Wirkung des Koffeins nachlässt, können diese sofort an die Rezeptoren strömen und dem Gehirn schlagartig mitteilen, müde zu sein. Daher kommt auch das berühmte „Tief“, das man einige Zeit nach dem Kaffeetrinken verspüren kann. Also eigentlich macht der Kaffee gar nicht wach, sondern er blockiert nur unser Gehirn, zu merken, dass es müde ist.

Was ist also die Lösung? Noch mehr Kaffee? Dies ist leider ein Problem, da wir für Koffein, wie eigentlich bei nahezu allen Substanzen, eine Toleranz entwickeln. Bereits nach 6 bis 15 Tagen stärkeren Koffein-Konsums entwickelt sich eine solche Toleranz und man benötigt für denselben Effekt eine deutlich größere Menge an Koffein. Na, das erinnert ja schon fast an Drogenkonsum – und ja, auch Koffein kann Entzugserscheinungen verursachen, die jedoch meistens nur von kurzer Dauer sind. Darunter fallen Kopfschmerzen, Erschöpfung, Schläfrigkeit, Depressionen sowie Konzentrationsstörungen. Um die obige Frage zu beantworten: Ja, im Grunde ist ein Großteil der Menschen süchtig nach Koffein. Und ja, Kaffee hält den Geist wach und hatte wohl historisch gesehen großen Einfluss auf die Menschheit in Industrie- und Handelsnationen. Es wurde konzentrierter gearbeitet und man konnte länger leistungsfähig bleiben. Interessanter Fakt nebenbei: Auch schwarzer Tee enthält Koffein, und in 100g trockenen Teeblättern ist mehr Koffein enthalten, als in der gleichen Menge gerösteter Kaffeebohnen. Eine Tasse Kaffee enthält zwischen 40 und 120mg Koffein, eine Tasse schwarzer Tee um die 50mg. Bei einem Glas Cola wäre man bei etwa 25mg. Übrigens sind das Koffein aus Kaffee und das Tein aus Tee chemisch identische Stoffe, sie werden aber dennoch unterschiedlich vom Körper aufgenommen, abhängig davon, an welche anderen Stoffe sie gebunden sind. So wirkt der Kaffee etwas verzögert und führt zu Nervosität, während Tee lediglich wach macht, aber nicht so aufregt.

Letztendlich ist der Kaffee ein Getränk, das in den Herzen der Menschen angekommen ist und für viele einfach zum Lebensstandard dazugehört. Der Kaffee vertreibt das Gefühl der Müdigkeit, und morgens müssen viele Menschen erst einmal eine Tasse Kaffee gegen die Koffein-Entzugserscheinungen der Nacht trinken. Somit ist der Kaffee aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, und auch ich greife (meistens auf der Arbeit) auch ab und an zu einer Tasse Kaffee. Also, wenn Ihr das nächste Mal in der Schlange steht und euch wie so viele Andere einen „Coffee to go“ holt, nur, um ihn später aus Versehen über irgendetwas  zu kippen, dann denkt vielleicht einmal daran, welch eine lange Geschichte das Getränk schon hinter sich hat, wer es alles verbieten wollte und, dass Ihr ein Stück unserer Kultur in den Händen haltet.

 

Schivelbusch, Wolfgang: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft – Eine Geschichte der Genußmittel, Fischer Taschenbuch Verlag, 1990.

 

Titelbild: Robin Thier

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Robin Thier

Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.

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