Kino & Serie / Kultur und Medien / Meinung
Kleiner Film oder große Philosophie?
Filme haben einen schlechteren Ruf, als das geschriebene Wort. Aber können Filme nicht genauso tiefsinnig sein? Mark hat sich mal ein paar Filme näher angeschaut.
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Ins Kino gehen oder zuhause auf dem Sofa einen Film gucken sind Rituale. Sich berieseln zu lassen durch bewegte Bilder, kann als heiliger Akt bezeichnet werden. Der harte Tag nach Uni oder Arbeit findet mit dem Ritus des „Netflix and Chill“ seinen spirituellen Abschluss. Und wenn man es besonders edel haben will, betritt man die Heterotopie der großen Leinwand.
An das Gesehene wird ein einziger Anspruch gestellt: „Unterhalte!“ lautet der gedachte Imperativ, wenn durch Klicken auf ein Thumbnail die Sichtung eines Streifens bestätigt wird. Man will abschalten, herunterkommen, sich ablenken. Am besten begibt man sich noch in den Bereich des Multitasking, der Film wird zur bebilderten Hintergrundmusik. Selbst im Kino ist man vom stetigen Aufleuchten der Smartphones und regen Unterhaltungen nicht sicher. Die Mühe, einen Film aktiv zu schauen, macht sich kaum jemand. In unserem belebten Zeitalter erst recht nicht.
Das soll jetzt keine Aufforderung sein, nur noch schwer verdauliche Arthaus-Filme zuschauen. Ganz im Gegenteil: Auch in den vielen Blockbustern schlummert so Vieles, was man entdecken kann. Man muss nur mal versuchen, einen etwas anderen Blick darauf zu bekommen. Die Idee des Hintergrundprogramms muss nur einmal davon getragen werden. Der aktive Blick für das Detail und das Lesen zwischen den Zeilen brauchen vielleicht etwas Übung. Sie offenbaren einem aber eine ganz andere Sicht auf Filme. Zwei Stunden bewegte Bilder verwandeln sich dann so manches Mal in ein ganz eigenes philosophisches Werk.
Es gibt natürlich einige Klassiker, die gerne als die „philosophischen Filme“ herhalten müssen: „Matrix“ geht der Frage nach, was eigentlich real ist und „Fight Club“ setzt sich kritisch mit dem Kapitalismus auseinander. So ungefähr liest man es immer. Geht aber auch umgekehrt: Auch „Fight Club“ spielt mit der Frage nach dem Realen und Matrix können wir auch als Analogie über die politische Verblendung einer Konsumgesellschaft betrachten.
Aber es gibt da noch viel mehr, als nur diese paar Klassiker. Jeder Film, der sich um den Kampf von Gut und Böse dreht, schafft auch ein Konzept davon, was eigentlich das Gute und was das Böse darstellt. Welche Taten und Eigenschaften machen Gut und Böse aus? Filme liefern immer unterschiedliche Antworten darauf, vom disneyesken Zirkelschluss „Böse ist, wer gegen die Guten ist“ bis hin zur völligen Auflösung dieser Ideen vom Guten und vom Bösen, die mit dem finsteren Nihilismus der Kriegsfilme „Apocalypse now“ und „Full Metal Jacket“ einhergeht.
Auch die oft verpönten Liebesfilme sind meistens interessante Werke von ganz eigener Philosophie. Jeder dieser Filme beantwortet die Frage neu, was eigentlich Liebe ist, eine Frage, die auch viele Menschen im Alltag plagt. Aber gerade dies sind die eigentlich ganz großen Fragen.
Natürlich erkennt man diese vielen Aussagen und hintergründigen Themen nicht auf den ersten Blick. Es erfordert diesen aktiven Blick auf die Filme, die man guckt. Betrachtet man sie nur als Bewegtbilder für das Hintergrundrauschen, dürfte sich das kaum erschließen. Ein Buch zu lesen kann man als ganz ähnliches Vorgehen betrachten. Und ein Stück weit gleicht ein Film auch einem guten Essen: Muss man erst mal sacken lassen.
Lies auch: Noch so’n Coming-Out-Drama? Filmreview zu Love, Simon
Wer sich aber einmal wirklich auf Filme einlässt, bekommt wirklich neue Weltbilder geboten – neue Anschauungen über die verschiedensten Themen. So kann der Gang ins Kino plötzlich zu etwas werden, bei dem man selbst erst die Erkenntnis erlangt, welche Perspektive auf die Dinge man eigentlich einnehmen kann. Alleine im Genre der Superheldenfilme gibt es so viele Konzeptionen von Gut und Böse. In den neueren Marvel-Filmen bleibt dieses Bild disneyesk-zirkulär, „The dark Knight“ macht es sich aber schon gar nicht mehr so einfach. Hier dreht es sich nicht mehr um den Kampf Gut gegen Böse, sondern auch um die gegenseitige Abhängigkeit. Eine Stufe weiter zweifelt „Watchmen“ den Dualismus von Gut und Böse gleich ganz an.
Und so ist es eben nicht nur mit den Fragen nach Gut oder Böse. Es lassen sich so viele Themen in den banalsten Filmen erkennen, wenn man nur danach sucht. „Independence Day“ stellt die These auf, dass es erst eine Katastrophe braucht, damit die Menschen ihren Zusammenhalt finden. Spielbergs „Krieg der Welten“ ist dazu der Gegenentwurf: Vor dem Kampf ums Überleben zeigt sich erst das wahre, egoistische Wesen des Menschen, Stanley Kubrick zeigt in seinen Filmen ständig diese Sicht. Der Komödienklassiker „Das Leben des Brian“ ist voll von einer Religionskritik, die sich in theoretischer Form auch bei Feuerbach und Marx findet. „Der Exorzist“ hingegen behauptet, dass Religion notwendig ist, er zweifelt jeglichen Kurs abseits von katholischem Konservatismus an. Und wer sich die Kindheit zerstören will, kann ja mal gucken, welches politische System „Der König der Löwen“ eigentlich propagiert.
Hier ist natürlich kein der Platz, all diese Filme im Detail zu analysieren. Darum soll es hier aber auch gar nicht gehen. Es ist vielmehr ein kleines Plädoyer dafür, selbst einmal den etwas philosophischen Blick auf Filme zu werfen. Filme sind nicht nur die plumpe Unterhaltung, sondern eine hohe Kunst voll verborgenem Gehalt, der erkannt werden will. In ihnen verbergen sich die verschiedensten sowie interessantesten Perspektiven auf die Welt und die Menschen. Wer also den Horizont etwas erweitern will, muss nicht unbedingt schwerwiegende theoretische Bücher lesen, die sowieso kein Mensch versteht – auch ins Kino gehen und sich einmal voll drauf einzulassen ist da eine brauchbare Maßnahme.
Wer sich gerne näher mit etwas anderen Perspektiven auf das Kino befassen will, kann z.B. hier fündig werden:
„Wisecrack“ machen Videoessays auf YouTube. Alles auf die lockere Art. Wer sich von dem nicht funktionierenden Humor nicht abschrecken lässt, findet hier durchaus interessante Perspektiven auf die Philosophie populärer Filme. Betreibt auch mehrere Podcasts.
Wolfgang M. Schmitt kennt man vielleicht schon als regelmäßigen Gast bei den Rocket Beans und Massengeschmack-TV. Auf seinem eigenen Kanal gibt es Filmkritiken, welche die eigentliche Ideologie der Filme durchblicken. Häufiger Blick liegt auf aktuellen geisteswissenschaftlichen Werken wie auch auf Klassikern. Aber Vorsicht: Auch Filme mit vielen Fans kommen hier nicht mit Garantie gut weg.
Die Bücher von Georg Seeßlen begreifen den Film als politisches Medium. Seine Kritiken erfassen unter der Oberfläche von Filmen stets eine politische Dimension. Auf filmzentrale.de lassen sich viele seiner Essays und Kritiken nachlesen.
Der Philosoph Slavoj Žižek ist auch Cineast. Kaum einer seiner Vorträge bleibt ohne Bezug auf Filme. In den Dokumentationen „The Pervert’s Guide to Cinema“ und „The Pervert’s Guide to Ideology“ beleuchtet er verschiedene Filme mit Freud, Marx, Hegel und Lacan. Nebenbei bieten sie viel von Žižeks Humor. Allerdings kein einfacher Stoff, das hier erfordert philosophische Vorkenntnis.
Lies auch: Unsere 4 Empfehlungen von Filmen über die deutsche Geschichte
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Mark II
Tatsächlich gelesen: In 300 Buchseiten um die Welt oder die Sache mit dem Mut
Im Wandel (Teil 2): Wie die Literatur Frauenbilder widerspiegelt
Im Wandel (Teil 1): Frauenbilder der westlichen Welt
Tatsächlich gelesen: Fünf Freunde oder das Phänomen der Nostalgie (Enid Blyton)
Tags: BuchFilmFilmeKinoLesenMatrixnachdenkenPhilosophiephilosophischRealitätThoerientiefsinigUnterricht