Rezension: Roll Inclusive – Diversity und Repräsentation im Rollenspiel
Mit 17 Aufsätzen von 11 Autor*innen versucht dieser Sammelband Diskriminierung und Barrieren im Rollenspiel zu begegnen.
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Roll Inclusive, herausgegeben von Aşkın-Hayat Doğan, Frank Reiss und Judith Vogt (2019)
Wie mache ich meine Pen and Paper-Runde eigentlich barrierefrei? Wie gehe ich mit Rassismus in Fantasy-Settings um? Und wie schaffe ich es, meine Geschichten interessanter zu machen, indem ich diskriminierenden Klischees aus dem Weg gehe?
Das Leben als Meister*in ist kein leichtes. Man schuftet den lieben langen Tag in den Plot-Minen, sitzt nachts am Reißbrett, um die Architektur ganzer Universen zu planen und darf sich dann auch noch mit der Personalabteilung auseinandersetzen, um möglichst abwechslungsreiche Nicht-Spieler*innen-Charaktere zu engagieren. Und jetzt soll ich mich hier auch noch um Diversity und Anti-Diskriminierung kümmern!
Was zum Namenlosen ist eine X-Card?!
Der Sammelband Roll Inclusive versucht die Bereitschaft genau dafür zu fördern. Mehr noch: Er will einem sogar Teile der traditionellen Rollenspiel-„Arbeit“ erleichtern. Wenn Oliver Baeck in seinem Aufsatz „Liebesgrüße von der Lebkuchenperson“ beispielsweise davon schreibt, dass Spieler*innen- und Nicht-Spieler*innen-Charaktere „keine wandelnden Klischees sein sollten“, schreibt der Jurist und Autor für Das schwarze Auge das aus einem Blick für möglichst spannendes Erzählen heraus. Für ihn geht es bei Überlegungen zur Darstellung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt „um eine Bereicherung des Charakterspiels durch eine weitere Nuance der Figur“. Ähnlich locker ermuntern auch die anderen Essays dazu, sich mit ihren jeweiligen Themen zu beschäftigen. Das Spektrum reicht hier von Exkursen in internationale, eher theoretische Diskurse um Kolonialismus, geht über praxisnahe Hinweise zur Darstellung von psychischen Erkrankungen im Rollenspiel bis hin zu einem Unterkapitel über Safety Tools, also ganz konkrete Methoden, mit denen man die Wahrscheinlichkeit verringern kann, dass sich Menschen am Spieltisch unwohl fühlen. Dazu gehört beispielsweise die X-Card aus der Zwischenüberschrift. Außerdem finden sich vier spielbare Nano-Games im Buch.
Ein kritischer Erfolg für Anti-Diskriminierung
Ein dermaßen weiter Rundumschlag ist keine leichte Aufgabe, zumal die behandelten Themen im deutschsprachigen Raum bisher noch nicht ausreichend diskutiert sind und bei manchen Spieler*innen und Meister*innen eher auf Ablehnung stoßen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zielgruppe des Bandes unfassbar heterogen ist. Es sind Spieler*innen und Meister*innen, aber auch Autor*innen und Verlage angesprochen. Die Essays richten sich gleichzeitig an Menschen, die keine Ahnung von den Problemen blinder Menschen am Spieltisch, aber tiefes Verständnis aktueller Anti-Rassismus-Diskurse haben und umgekehrt. Dass dieser Job auf 336 Seiten dann doch ziemlich gut gelingt, grenzt eigentlich an ein Wunder. Möglich wird das, indem immer wieder Grundlagen der Antidiskriminierungsarbeit, aber auch psychologische und historische Aspekte thematisiert werden. Außerdem gibt es ein ausführliches Glossar, in dem sich Begriffe und Abkürzungen, wie „Heteronormativität„, aber auch „LARP“ nachschlagen lassen.
Zugegeben: Manche Unterkapitel habe ich nicht ganz so aufmerksam gelesen. Das lag aber nicht daran, dass die Texte langweilig geschrieben sind, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass ich mich schon ein paar Jahre mit Sexismus, Rassismus oder den Themen der Behindertenrechtsbewegung befasse. Ich bin also einfach nicht die Zielgruppe für Texte, die beispielsweise den Unterschied zwischen geschlechtlicher und sexueller Identität erklären. Trotzdem ist es gut, dass man diese Passagen in Roll Inclusive findet, denn durch sie werden Hürden abgebaut. Leser*innen, die mit Diversity und Repräsentation der unterschiedlichen diskriminierten Gruppen noch wenig oder keine Erfahrung haben, müssen sich nicht vor Überforderung fürchten. Es ist kein Awareness-Workshop notwendig, um die Abschnitte zu verstehen, die sich dann weiter hinten im Text beispielsweise mit Transfeindlichkeit im Rollenspiel befassen.
Guter Rat kostet 10,99 €
Roll Inclusive ist schon ein paar Jahre alt. Der Sammelband mit Essays von elf Autor*innen mit verschiedenen Backgrounds ist im Jahr 2019 von Aşkın-Hayat Doğan, Frank Reiss und Judith Vogt herausgegeben worden. Unter den Autor*innen finden sich in der Rollenspiel-Szene bekannte Namen, wie eben Judith und Christian Vogt, die für Fate und Das schwarze Auge schreiben, aber unter anderem mit Eis & Dampf und Aces in Space auch eigene Spiele auf den Markt gebracht haben. Auch die queere anarcho-kommunistische Gamedesignerin Avery Alder dürfte für Fans von Dream Askew oder Monsterhearts keine Unbekannte sein.
Es sind aber auch rollenspielaffine Fachleute aus den Bereichen Psychologie, Geschichte, Anti-Diskriminierungsarbeit oder Illustration unter den Autor*innen. Viele von ihnen sind Expert*innen mit eigener Diskriminierungserfahrung. Bei Themen, die das Autor*innen-Team nicht aus persönlicher Betroffenheit heraus abdecken konnte, haben sie sich entsprechende Hilfe gesucht. So zum Beispiel im Fall des sehbehinderten André Skora, der von den Herausgeber*innen zu Rollenspiel-Charakteren mit Behinderung interviewt wurde.
Die personelle und thematische Breite von Roll Inclusive ist beeindruckend, führt allerdings dazu, dass einige Details mehrfach erklärt werden und der Band insgesamt etwas fragmentiert wirkt. Jeder Essay für sich ist allerdings ausnahmslos gut und das Gesamtpaket aus 17 Aufsätzen gibt es so nicht noch einmal.
Der Band ist 2019 bei Feder & Schwert als Paperback erschienen. Nach der Insolvenz des Verlags ist Roll Inclusive leider nicht als physisches Buch in eine zweite Auflage gegangen. Eine PDF-Fassung lässt sich aber beim Uhrwerk-Verlag für 10,99 € herunterladen.
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