Gesellschaft und Lifestyle / Kultur und Medien

Skulptur Projekte meets Couchsurfing

Wie Kunst die Welt eröffnen kann
| Jasmin Larisch |

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Jasmin Larisch

Unsere Autorin Jasmin liebt Reisen und Kunst. In ihrem ersten „Couchsurfing-Münster-Date“ kommen beide Vorlieben beisammen. Sie reflektiert ihren Besuch beim diesjährigen Münsteraner Kunstfestival mit einer Begleitung der besonderen Art – einem Künstler aus Los Angeles, den sie über die Internetplattform traf.

In diesem Sommer realisierte ich gleich zwei Vorsätze: ich betrieb Skulptursurfing und ein Couchprojekt und war mit dem Ausmaß beider Vorhaben derartig zufrieden, dass ich jetzt immer noch grinsen muss, wenn ich daran denke, was für tolle Erfahrungen das waren. Das erste Mal erlebte ich Münster internationaler denn eh und je, und die Kunst als ultimativen Eisbrecher kennen.

Durch die Augen eines Einheimischen
Couchsurfing ist der Hammer. Das stellte ich selbst fest, als ich mir für einen Amsterdam-Trip überlegte, das Reisen und Sightseeing anders zu gestalten: „Travel through the eyes of a local!“, lautet das Motto der Internetplattform, dessen Realisierung ich durch einen perfekten Match erfuhr. Ich war mit einem guten Freund unterwegs. Unser Host war in unserem Alter, teilte dieselben Interessen, und hatte Lust darauf, Geschichten zu teilen, Zeit mit uns zu verbringen und zusammen zu kochen. Danach ging meine Lovestory mit „Couchsurfing“ weiter. So weit mein Background. Ich entschied mich, mein Münsteraner Zimmerchen sowie meine Zeit zur Verfügung zu stellen und damit Reisende aus aller Welt zu treffen. Was soll ich sagen: Mission geglückt. In diesem Sommer sollte ich über 30 Anfragen erhalten, aus allen Teilen der Erde. Hauptgrund? Na klar, zu 99 % die Münsteraner Skulptur Projekte. Ein Kunstfestival, welches ich das erste Mal in Münster wahrnahm, und dessen positiven Ruf ich zwar kannte und mich auf einen Ansturm auf unsere Westfalenmetropole einstellte, dessen Dimensionen ich jedoch erst im Durchleben dieser Zeit erfuhr. Was ist denn jetzt so besonders daran, fragte ich mich ständig? Kunst unter freiem Himmel, naja ganz nett, aber Konzept, Sinnbild und Motivation dieses Projektes waren mir noch nicht ersichtlich. Um mal über den Tellerrand zu schauen, half es mir enorm, die Perspektive zu wechseln, und jene Gedanken und Assoziationen zum Skulptur Festival mit einer Nuance Weltlichkeit zu würzen.

Münster als internationale Weltkarte
Es ist der 10. Juni 2017, an dem nicht nur die Stadt Münster die wohl höchste Dichte an asiatischen Touristen seit Langem begrüßen kann, sondern es ist der Tag, an dem auch ich voller Neugier dem lange angekündigten Spektakel entgegenblicke.
Und um damit das lange Warten über die mysteriösen Figuren, Skulpturen, Installationen und Performances, welche seit einigen Monaten schon das Stadtbild übersäten, endlich als beendet ansehen zu können. Über die Grenzen Münsters hinaus, sah ich schon Anfang des Jahres in Berlin Werbung für dieses sogenannte „Skulptur Projekt“. Die FAZ, ZEIT, Süddeutsche, der WDR. Alle benannten und betitelten das Kunstfestival in einem Atemzug mit der Documenta in Kassel. Von der wusste ich. Ich schaue mich an diesem Tag um, muss schmunzeln und verspürt Münsterliebe, als ich die Scharen von Touris mit Kamera und Karte bestückt den Tourguides folgen sehe. Münster ist, wie ich mir an diesem Tag von mehreren Quellen habe bestätigen lassen, eine Top-Adresse, was zeitgenössische Kunst angeht, und dazu haben die Skulpturen grundlegend beigetragen und den Tourismus grundlegend gefördert. Es war schon ein tolles Gefühl, hier als Gastgeberin fungieren zu dürfen.

Die grundlegenden Achsen, welche es in den Skulptur Projekten auszubalancieren gilt, sind Raum und Zeit. Seit 1977 werden internationale Künstler aus aller Welt angefragt, Kunstwerke in Münster anzufertigen, und sie gezielt in das Stadtbild zu integrieren. Obwohl es beim ersten Augenschein komplexer Kunstwerke nicht den Anschein erregt, ist jedes stets gut durchdacht und bezieht den Makrokosmos in den Mikrokosmos des Schaffenden mit ein. Der Ort spielt damit eine wichtige Rolle und führt, so ganz nebenbei, auf der Tour durch die ganze Stadt. Der Zeitkern ist geballt: immerhin sind es ganze 10 Jahre bis zu der nächsten Ausstellung, dieses Jahr wird also schon das fünfte Jubiläum gefeiert. 35 Skulpturen (im weitesten Sinne, denn Installationen, Performances und Videoprojekte waren dieses Jahr besonders dominant), sind es dieses Mal. Seit dem Jahr 2007 aktualisierten sich nicht nur die Modetrends der zeitgenössischen Kunst, sondern nebenbei auch die Gesellschaft, die Politik, die Technik und, natürlich, die Digitalisierung. Dank jener lernte ich innerhalb von zwei Monaten wohl mehr über die Faszination der Kunst kennen, als ich es als Kunststudentin je hätte schaffen können.

Zeit und Raum – kostenlos und frei zugänglich
Über Couchsurfing bekam ich wie erwähnt eine Menge Anfragen. Klar, solche wie „Ich komme aus Berlin und möchte mir die Skulpturen in Münster angucken und bräuchte noch einen Schlafplatz :)))“, waren auch dabei. Die meisten jedoch waren jene Reisende und Kunstinteressierte, die ganz gezielt von sich, von ihrer Motivation und ihrer Faszination von Münster berichteten, und sich wünschten, mehr über diese Stadt zu erfahren. Angefangen von, natürlich, Kunst- und Designstudenten, waren es neben dieser großen Gruppe die Reisenden aus aller Welt, die gerade eine Europatour einlegten, da das Jahr 2017 „das Kunstjahr Europas“ ist. Doch auch frisch gebackene Abiturienten, die eine Radtour quer durchs Land machten, und das Fahrrad-Mekka Deutschlands nicht missen wollten, fragten mich nach einem Schlafplatz. Einige wollten mir sogar Geld bieten – alle bezahlbaren Hotels und Airbnb‘s seien ausgebucht. So doof es auch klingt und umso mehr ich mich darüber ärgere: es kam letztendlich nur zu zwei Begegnungen, bei denen meine doppelte Rolle erforderlich war – Tourguide und Kunstinteressierte und wo ich meine Couch anbieten konnte. Uni, Urlaub und zeitliche Umstände verhinderten leider doch mehr Möglichkeiten, als ich es mir erhofft hätte. Macht aber nix. Diejenigen waren umso interessanter und erleuchtender, denn mir wurde klar, wie wunderbar sich die Konzepte vom Couchsurfing und der Skulptur Projekte kreuzten.

Zeit und Raum sind indessen kostenlos und frei zugänglich. Man teilt Güter, die nicht nur heutzutage als die wertvollsten gelten. Geld, Macht oder Prestige, das war irgendwie alles egal, hat man doch dieselbe geteilte Ladung Offenheit und Interesse, die mich als Host und meine „Gäste“ als Couchsurfer zusammenbrachten. Jene Begegnung, die mich am meisten geprägt hat, war die mit Gil, welcher selbst als Kunstschaffender in Los Angeles, New York und Tokyo lebt und wirkt. Wir trafen uns am LWL-Museum für Kunst und Kultur in der Innenstadt und tauschten in der für mich immer lächerlich langen Schlange vor dem Projekt „Gregor Schneiders Wohnung“ innerhalb einer Stunde Lebensgeschichten des Künstlerdaseins aus Japan und Anekdoten aus Münsters Studentenleben aus. In dieser Zeit vergaß ich nicht nur einmal, dass ich gerade mit einem vorher noch fremden Menschen zusammensitze.

Im Vorfeld schaute ich im Schnellflug über Gils Werke, und bemerkte schon dort schnell unsere geteilte Imaginations- und Interpretationsfähigkeit. So fiel die Reflexion über oben genannte Skulptur so leicht und ungezwungen aus, dass ich froh war, dieses komplexe Werk als erstes Kunstwerk gewählt zu haben. Über Geschmack lässt sich ja schließlich streiten. Und mal ehrlich, über simple Werke lässt sich nicht so gut lästern, spekulieren und assoziieren, wie über solche, die nicht gleich eine Interpretation oder anmutende Ästhetik präsentieren.

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Kunst vereint Kulturen

Über Bruch und Kontinuität
À propos Werk. Ja, ich merkte nicht nur an diesem Tag, wie unterschiedlich Kunst gefasst werden kann. Dass Ayşe Erkmen’s Wassersteg Publikumsmagnet ist, Nairy Bagharamians Betonschlange am Erbdrostenhof für uns beide nicht besonders schön und Peles Empire’s Sculpture ein wenig zu überladen von künstlerischem Enthusiasmus ist – darüber waren wir uns beide einig. Ebenso darüber, dass diese Kreuzung, durch die wir uns an diesem Tag kennenlernten, zu einer toleranteren, offeneren und freudigeren Welt beitrug. Wir sprachen über Gastfreundschaft, Kulturunterschiede und der Kraft von Kunst, wenn man sich an ihre Aussageintentionen wagt. Um meine weltliche Würze mal wieder wie Senf dazu zugeben, schlug ich im offiziellen Katalog nach, um mich der eigenen Intention und Motivation der Kuratoren der Skulptur Projekte zu nähern.

„Alle Positionen, wie auch die der Kunstvermittlung der Skulptur Projekte, lassen sich im Wunsch vereinen, mittels Kunst einen kritischen Erfahrungsraum zu schaffen, der sich nicht auf ein kunstimmanentes Verhältnis beschränkt, sondern sich auf vielfältige Art und Weise zu gesellschaftlichen, philosophischen und politischen Fragen in Beziehung setzen lässt“.

So lautet ein wunderschönes Zitat aus dem medienpädagogischen Projekt der Skulptur Projekte, welches ich direkt so unterschreibe. Eine Assoziation, die mir dazu einfällt, ist das Gespräch von Gil und mir über den LKW vor dem LWL-Museum, über den ich mich bis kurz vor unserem Treffen noch tierisch aufregte: „Wer um alles in der Welt positioniert in dieser Zeit, wo so viele Gäste in Münster sind, diesen hässlichen LKW vor dem Gebäude, der stielt doch allen die Sicht?!“.
Er gehört natürlich auch zu einem Kunstwerk mit dem Titel „Benz Bonin Burr„. Ich brachte, überzeugt und mit Sorgenfalten, direkt meine Interpretation zutage, in welcher ich den Truck als Symbol des Terrors unserer Zeit ansah und indessen das Kunstwerk als Zeichen der Solidarität und Empathie interpretierte. Ich lag künstlerisch natürlich total daneben, entfachte aber trotzdem ein weiteres, diesmal tief philosophisches Gespräch, welches erst am Ende dieses wunderbaren Tages endete. Marktbesuch, Essensvorlieben, Eisschlemmerei – mehrfaches Bedanken und tiefes Wertschätzen inklusive – rahmten ihn.

Gastfreundschaft als Schlüssel und Kunst als Eisbrecher
Dieser Text war eine Mischung aus Reportage, Rezension, Reflexion. Er ist wohl auch eine Hommage, wenn auch mit einer Prise Hype. Hype über Couchsurfing und abstrakte Kunst und natürlich auch über die Möglichkeit, wie leicht und einfach es heutzutage ist, Menschen aus aller Welt zu treffen. Und wie super das doch ist und dass damit alle Probleme gelöst werden könnten. Wobei ich mir das gut in der Uni vorstellen könnte: neue Credit-Points in den Allgemeinen Studien gibt es ab sofort, wer pro Semester einen Couchsurfer aufnimmt und neue Soft Skills in Sachen Respekt, Gastfreundschaft, Weltoffenheit und Neugier schafft. Das durchzusetzen wird vielleicht schwierig werden, dann lieber selbst Kunstsurfing betreiben!

Ich fand die Erfahrungen dieses Sommers unglaublich bereichernd, da es im Endeffekt bei Globalisierung, Mobilität und der Vermischung verschiedener Kulturen und Lebensweisen eben nicht um Parameter wie Macht und Geld gehen sollte. Vielmehr müssen Zeit und Raum zur Verfügung stehen, um die eigene „Idiorrhythmie,“ den individuellen Biorhythmus einer Person, nachvollziehen, und wenigstens akzeptieren zu können – um es mal mit den Worten des Autors Roland Barthes zu sagen. In „How to Live Together?“ geht er dieser zentralen Frage nach – ebenso wie der Künstler Koki Tanaka, ebenfalls im diesjährigen Skulptur Projekt vertreten, der mittels eines einwöchigen Workshops Menschen aus unterschiedlichen Generationen und kultureller Herkunft in eine Gemeinschaft fügen lässt. Eine, die gemeinsam kocht, singt und tanzt, und Interviews in einem Auto durchführen lässt. Schauplatz: das Parkhaus am Aegidiimarkt, ein historischer Bunker.

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How to Live together – unter diesem Link gibt es Videos.

 

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Die Tafel vor dem Eingang des Skulpturprojekts von Koki Tanaka

Damals hatte man keine Wahl – man musste zusammenleben und ausharren und herausfinden, wie man dann zusammenleben kann. Die Gespräche, die Bilder und die Emotionen werden in seinen Videos gespeichert, die mich direkt berühren. Von dieser „Skulptur“ hatte ich in der Werbung für das Festival kaum gehört, ich sah aber jene Beschriftung gegenüber an der Johannisstraße, bei der ich nie wusste, was sie zu bedeuten hat. Tagesaufgaben des Workshops standen darauf. Eine davon: „Pray to all the gods in the world“. Okay gut, ich bete dafür, dass es in den Skulptur Projekten 2027 durch die digitale Vernetzung eine Welt gibt, in der jene die Toleranz fördern, den Austausch beschleunigen, und die Völkerverständigung vorantreiben kann.

Danke Münster für 300 Tage, zu kurz waren sie für mich, doch deine Spuren verwischst du mir nicht!

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Jasmin Larisch

Hej! Ich bin Jasmin, von meinen Freunden meist 'Mini' genannt, bin 21 Jahre alt und studiere seit Herbst 2015, Soziologie und Kultur-und Sozialanthropologie (=KuSA) an der WWU. Münster hat es mir sehr angetan- Unileben, Kultur, Kunst, junge interessante Leute überall! Das Leben als Studierender ist aufregend, bunt, vielseitig und manchmal echt tricky- so hoffe ich, zusammen mit meinem Team, euch ein paar Tipps und Anstöße geben zu können. Seit 2015 bin ich deshalb als freie Autorin bei seitenwaelzer.de und habe nach wie vor viel Freude daran. Viel Spaß beim Lesen!

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