Der Wert der Vernetzung
Wie viel ist uns das Internet wert?
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Internet. Das Internet ist für uns zu etwas Alltäglichen geworden und ein Leben ohne die ständige Vernetzung ist für die meisten kaum mehr vorstellbar. Man bekommt nichts mehr mit von der Welt, wenn man für wenige Tage kein Internet hat, weil der Router ausgefallen oder der neue Tarif noch in Bearbeitung ist und man nur mit dem Smartphone ins Netz gehen kann – Halt! In diesem Artikel soll es um eine Welt, um Menschen gehen, die gar keinen Zugriff auf das Internet haben, so wie in der seltsamen Zeit unserer Eltern und Großeltern. Solche Menschen gibt es in der Tat. Während sie in Deutschland oder vergleichbaren Industrieländern digitale Einsiedler sind, stellen sie in Schwellen- und Entwicklungsländern die Mehrheit der Bevölkerung dar.
Das Stichwort lautet ständige Vernetzung. Zu Hause im W-Lan ist man sowieso immer erreichbar und über mobiles Internet auch sonst überall. Die Funklöcher in Deutschland schrumpfen und Orte, an denen man vom Netz abgeschnitten ist, gibt es kaum noch. Mal eben kurz die Mails checken, bei WhatsApp mit Freunden sprechen, Infos einholen oder den nächsten Bus heraussuchen, von Onlinekäufen einmal ganz abgesehen. Wir bewegen uns mit einer schlafwandlerischen Sicherheit durch das Netz und vergessen darüber manchmal, was uns das kostet.
Ich spreche hier natürlich nicht von den monatlich 25€ an den Anbieter oder die 7€-Flatrate für das Handy. Ich spreche davon, wie wir uns von Firmen, Diensten und Anbietern abhängig machen. Viele Male im Monat geben wir irgendwo unsere Mailadressen, Wohnorte oder andere Daten ein, wir überlassen großen Konzernen unseren Aufenthaltsort, unsere Vorlieben und lassen zu, dass diese für Werbung verkauft werden. All das geschieht ebenfalls so selbstverständlich, dass wir es kaum mitbekommen und uns höchstens darüber wundern, dass Facebook uns Werbung für etwas zeigt, was wir uns gestern bei Amazon angeschaut haben. Wir leben mit diesen Einschränkungen und schenken den Kritikern höchstens ein halbes Ohr, während wir uns die Messenger-App von Facebook herunterladen und ihr Zugriff auf alle Kontakte erlauben.
Aber was ist das schon für ein Preis? Sollten wir nicht glücklich sein, dass uns etwas so praktisches für das Internet für so wenig Geld angeboten wird, etwas, das wir scheinbar so sehr brauchen, dass es seit 2013 als Grundrecht angesehen wird, so wie der Zugang zu Bildung oder die Meinungsfreiheit? Indien zum Beispiel ist ein Land, in dem das Internet bei Weitem nicht so verbreitet ist. Zwar gibt es in den Großstädten und der Oberschicht genau den Zugang, den wir auch haben, aber in ländlichen Gegenden oder kleineren Städten sind Internetcafés, bei uns Relikte der Vergangenheit, die einzige Möglichkeit – und das auch nur, weil die indische Regierung diese im Zuge einer Digitalisierungskampagne unterstützt.
Facebook bot Hilfe an. Mit dem Projekt „Free Basics“ wollte der Konzern bestimmte Apps und Webseiten kostenlos zur Verfügung stellen und den Menschen zu ermöglichen, selbst über ihr Mobiltelefon zu surfen. Doch die indische Regierung brachte das Projekt zum Erliegen, dabei klang es doch nach einer guten Möglichkeit, das Internet schnell und günstig jedermann zugänglich zu machen. Der Grund war die sogenannte Netzneutralität.
Der Begriff wurde 2002 von einem amerikanischen Juristen und Programmierer geprägt und bezeichnet die Idee, alle Daten und Übertragungen im Internet gleichzubehandeln. Die Anbieter sollen alle Daten, unabhängig vom Sender und Empfänger, der Art der Daten oder ihrer Anwendung auf dieselbe Weise zu behandeln. Die Folge von Facebooks „Free Basics“ wäre es gewesen, dass der Konzern, der ja bekanntlich gerne bestimmt, was seine Nutzer sehen und was nicht, die Inhalte des indischen Internets, zumindest für die Millionen kostenlosen Nutzer bestimmt hätte. Ein klarer Verstoß gegen die Netzneutralität.
War es dennoch ein kluger Schachzug der indischen Regierung, dies zu verbieten? Auf jeden Fall. Hätte sie es erlaubt, dann hätte sie Facebook quasi die Macht über eine der wichtigsten Ressourcen überlassen und zugelassen, dass der Konzern der Bevölkerung nur eigene Inhalte zeigt, die Facebook für richtig hält. Der Nutzer soll aber frei entscheiden dürfen. Damit kommen wir wieder zurück zu uns. Wir haben schließlich die Freiheit, ob wir uns über Facebook mit Freunden vernetzen, oder einem anderen sozialen Netzwerk, ob wir die Google-Suchmaschine nutzen oder wo wir unsere Videos ansehen. Jetzt wird dem geneigten Leser vielleicht auffallen, dass es auch in Deutschland keine echten Alternativen gibt. Natürlich könnten wir auf anderen Seiten, als YouTube, Videos schauen, es gibt ja die anderen: Vimeo, Clipfish, MyVideo. Aber man bedenke: YouTube hat über eine Milliarde Nutzer, etwa ein Drittel der Internetnutzer überhaupt. Vimeo kann nur 170 Millionen Nutzer verzeichnen. Und natürlich geht man dahin, wo am meisten los ist, da man dort einfach mehr findet. Noch stärker ist das Beispiel bei Facebook und den angeschlossenen Dienst WhatsApp. 2012 waren es bei Facebook bereits 955 Millionen Nutzer, bei WhatsApp knapp 800 Millionen mit über 20 Milliarden Nachrichten, die pro Tag verschickt werden.
Bei solchen schwindelerregenden Zahlen könnte man meinen, dass unser Internet von Google, die ja sogar auf jedem Android-Telefon sind, oder Facebook beherrscht wird. Dies führt auch stetig zu Streitigkeiten mit Regierungen überall auf der Welt, zuletzt wurde Facebook zu einem Bußgeld von 100.000€ verurteilt, da die AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen) die Urheberrechte der Nutzer an ihren Fotos zu sehr einschränkten. Aber, und das ist der große Unterschied, noch haben wir theoretisch die Möglichkeit, uns für oder gegen einen Dienst zu entscheiden – ob das jemand macht, wenn alle Freunde und Familienmitglieder bei Facebook angemeldet sind, ist eine andere Frage.
Was ist Euch der Luxus des Internet wert? Würdet ihr für kostenloses Internet von Facebook bestimmen lassen, welche Seiten ihr besuchen könnt und welche nicht? Lasst uns einen Kommentar da.
Quellen
http://www.rp-online.de/wirtschaft/bundesgerichtshof-sieht-internet-als-grundrecht-an-aid-1.3147483
http://www.zeit.de/2016/10/internet-indien-smartphones-korruption-netzneutralitaet
https://de.wikipedia.org/wiki/Netzneutralit%C3%A4t
https://www.youtube.com/yt/press/de/statistics.html
https://de.wikipedia.org/wiki/WhatsApp
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/facebook-100-000-euro-ordnungsgeld-wegen-agb-trickserei-a-1079900.html
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Robin Thier
Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.
Korallen, Klimawandel und Klimaangst
Nach der Schule in die weite Welt – aber nur bis zum Tellerrand
Home Sweet Home – ein Plädoyer fürs Alleinwohnen
Einen Scheiß muss ich … oder doch?
Tags: FacebookgoogleGrundrechtHerrscherHilfeIndienInternetKonzernekostenlosNetzneutralitätNutzerpreisRegierungVernetzungweb