Kultur und Medien / Rezension

Über verpasste Chancen, Leben, Tod und Vertrauen: „Am Ende sterben wir sowieso“ von Adam Silvera

Wie wäre es, wenn man an seinem Todestag erfährt, dass man genau heute das Leben verlieren wird? Das Buch "Am Ende sterben wir sowieso" beschäftigt sich mit genau dieser Thematik.
| Benja Bauroth |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Ein buch mit dem Titel Am Ende sterben wir sowieso. Das Cover ist schwarz und blau. Im Vordergrund laufen zwei Jungs. Im Hintergrund sind die Schemen von Gebäuden zu erkennen.Benja Bauroth | seitenwaelzer.de

Fast jeden Tag werden wir mit dem Tod konfrontiert. Durch den Krieg in der Ukraine, durch Todesfälle im Bekanntenkreis oder auch durch Fiktives in Filmen oder Büchern. Der ein oder andere hat sich vielleicht schon gefragt, wie es wäre, wenn man wüsste, wann man stirbt. Wenn man sich verabschieden und noch all die Dinge erleben kann, die man sich wünscht. Würde das neue Chancen bieten? Genau dieser Thematik folgt das Buch „Am Ende sterben wir sowieso“ mit dem Originaltitel „They Both Die at the End“ von Adam Silvera, einem US-amerikanischen Jugendbuchautor mit dem Schwerpunkt LGBTQ+.

Das erste Mal habe ich das Buch auf einem Auslagetisch mit den besten Empfehlungen in einer Buchhandlung gesehen. Das Cover ist mir sofort ins Auge gesprungen und auch der Klappentext hörte sich mehr als interessant an. Doch gelesen habe ich es erst ein paar Monate später. Mir war es wichtig, dabei meine Ruhe zu haben. Es hat sich absolut gelohnt, zu warten.

Eine kurze Zusammenfassung 

„Vielleicht ist es besser, es an einem Tag richtig gemacht zu haben und glücklich gewesen zu sein, anstatt sein ganzes Leben falsch zu leben.“

Adam Silvera: They Both Die at the End (2017)

Mateo und Rufus sind zwei sich unbekannte Jungs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie leben in einer Welt, in der Todesboten Menschen anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie im Laufe des Tages sterben werden. Am 5. September wird Mateo und Rufus der Boden unter den Füßen weggezogen, als bei ihnen der Anruf ertönt. Mateo ist eine sehr in sich gekehrte Person – er entschließt sich jedoch, in seinen letzten Stunden etwas Neues zu wagen. So meldet er sich bei der App „Letzte Freunde“ an, über die man mit anderen Kontakt aufnehmen kann, um an seinem letzten Tag auf Erden Gesellschaft zu haben. Rufus ist dagegen offener und verbringt die Zeit nach dem Anruf mit seiner Pflegefamilie, bis er durch eine unglückliche Wendung alleine dasteht. Auch er entschließt sich dazu, die „Letzte Freunde“-App zu benutzen, wo er Mateo begegnet. Die beiden beschließen, den Tag zusammen zu verbringen und noch all die versäumten Möglichkeiten wahrzunehmen, wie zum Beispiel durch eine VR-Brille einen Fallschirmsprung zu erleben. Auch wenn die Angst vor dem Tod ihr Wegbegleiter ist, kommen sich die beiden näher und innerhalb eines Tages entwickeln die Fremden eine enge Verbindung. Rufus steht an Mateos Seite, um ihm unter die Arme zu greifen, wenn er sich wieder zurückziehen will. Und in Mateo findet Rufus einen grundlegend guten Menschen. Zusammen genießen sie ihren letzten Tag in vollen Zügen und sammeln vollkommen neue Erfahrungen, wie Mateo bei seinem ersten Abend in einer Disko. 

Der Rahmen

„‚Was soll ich nur ohne dich machen?‘

Diese unheilvolle Frage ist der Grund, warum ich nicht wollte, dass jemand von meinem Tod erfährt. Es gibt Fragen, die ich nicht beantworten kann. Ich kann dir nicht sagen, wie du ohne mich überleben sollst. Ich kann dir nicht sagen, wie du um mich trauern sollst. Ich kann dich nicht davon überzeugen, keine Schuldgefühle zu haben, wenn du meinen Todestag vergisst oder wenn du feststellst, dass Tage, Wochen oder Monate vergangen sind, ohne dass du an mich gedacht hast. 

Ich will einfach nur, dass du lebst.“

Adam Silvera: They Both Die at the End (2017)

Die Gestaltung des Buches liefert einen Blick in verschiedene Sichtweisen. Die Kapitel enthalten überwiegend die Perspektive der Protagonisten Mateo und Rufus, aber zwischendurch werden einzelne Abschnitte aus Sicht der Nebenfiguren erzählt. So erfährt der Leser auch von anderen Schicksalen, Gefühlen und Gedanken. Da die Nebenfiguren untereinander und mit den Protagonisten verbunden sind, kann sich der Leser ein eigenes Bild über den Ablauf der Ereignisse machen.

Die Charaktere zeichnen sich durch vielseitige Persönlichkeiten aus und werden vor Probleme gestellt, die sich auch im wahren Leben wiederfinden. Die ausführliche Beschreibung ihrer Emotionen hat mich berührt. Ich will nicht lügen – ein paar Buchstellen haben mir sogar die Tränen in die Augen getrieben. Gerade diese Vielschichtigkeit macht das Buch so interessant.

Gesellschaftskritische Ansätze

Als ich die Seiten nach und nach überflogen habe, ist mir klar geworden, dass das Buch die Realität widerspiegelt, mit all ihren Tücken, ihrer Freude und Grausamkeit. In den Zeilen schwingt eine gewisse Gesellschaftskritik mit, die sich verschieden äußert.

Ein Beispiel würde ich gerne an dieser Stelle aufgreifen. Mateo ist am Boden zerstört, als eine Todesbotin bei ihm anruft, um seinen letzten Tag anzukündigen. Die Todesbotin selbst berichtet ihn von den Umständen sehr distanziert und kühl. Mateo wird von ihr auf eine nicht menschliche Ebene gestellt, weil sie sich selbst emotional schützen möchte vor den Problemen und der Trauer der Todgeweihten. Die Aufmerksamkeit wird auf das Fehlen von intensiver menschlicher Interaktion gerichtet, ein Phänomen beziehungsweise Problem, das in der modernen Gesellschaft immer mehr Einzug findet. 

Die App „Letzte Freunde“

Die „Letzte Freunde“-App spielt innerhalb der Geschichte eine große Rolle. Sie hat nicht nur den Weg für die wundervolle Freundschaft von Rufus und Mateo geebnet, sondern sie zeigt die unterschiedlichsten und realistischsten Menschen auf – von wahrhaftig bis verlogen. Es wird erwähnt, dass es einen Massenmörder gibt, der auf dieser App unterwegs ist und sich mit Todgeweihten trifft, um sie umzubringen. Im Gegensatz dazu verkörpert Mateo einen wirklich „guten“ Menschen, wie Rufus immer wieder betont. Er sorgt sich um seine Umgebung. Mit Taten hilft er nicht nur seinen Liebsten, sondern auch Fremden. Doch genau wie jeder andere müssen auch die „guten“ Menschen sterben. Das Leben endet unweigerlich mit dem Tod. „Letzte Freunde“ bietet die wunderbare Möglichkeit, sich mit Leidensgenossen zu vernetzen und somit die Chance auf ein letztes Glück.

Über Mateos und Rufus‘ Beziehung

„‚Klingt spannend. Was hat er dann gesagt?‘

‚Dass Liebe eine Supermacht ist, die wir alle in uns tragen, aber dass es eine Supermacht ist, die ich bestimmt nicht immer beherrschen werde. Vor allem wenn ich älter bin. Manchmal wird sie außer Kontrolle geraten, aber ich soll keine Angst haben, wenn meine Macht auf jemanden fällt, mit dem ich nicht gerechnet habe.'“

Adam Silvera: They Both Die at the End (2017)

Überraschung: Ja, Mateo und Rufus sterben am Ende, so wie es der Buchtitel vorhersagt. Denn selbst wenn man weiß, an welchem Tag man stirbt, kann man nicht verhindern, dass es einen ereilt. Und genau mit diesem Wissen, dass sie nur noch diesen einen Tag haben, entwickelt sich ihre Beziehung viel schneller als gewöhnlich. Durch ihre gemeinsamen Erlebnisse und dadurch, dass sie miteinander Neues wagen, entwickelt sich eine Freundschaft. Diese Freundschaft wird zu einer romantischen Liebe und das in einem Zeitraum von weniger als einem Tag.

Über verpasste Chancen, Leben, Tod und Vertrauen 

Das Buch steckt voller überwältigender Gefühle, von Freude und Liebe zu Aufregung und Trauer. Dadurch bleibt die Geschichte durchweg spannend. Außerdem macht das Buch auf verpasste Chancen aufmerksam. Man soll nicht erst im Angesicht des Todes bereuen, dass man zu wenig Gelegenheiten ergriffen hat, sondern sein Leben nach eigenen Wünschen gestalten und auch Risiken eingehen. Das Buch zeigt, dass das Leben unweigerlich mit dem Tod zusammenhängt. Durch die Geschichte von Mateo und Rufus habe ich gelernt, dass schon ein Tag reicht, um eine Person richtig kennenzulernen. Nicht um sie in allen Facetten zu sehen, aber um eine enge Bindung aufzubauen. 

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Benja Bauroth

"Follow your dreams, they know the way" - ein Motto, das sie direkt zum Studium in Kommunikationswissenschaft nach Münster geführt hat. Durch ihre Liebe zu Büchern und Filmen reist sie durch verschiedene Mythologien, jagt Dämonen oder schwingt den Zauberstab. Doch auch ihre Abenteuerlust führt sie auf reale Reisen nach Irland oder Skandinavien. Bei Spaziergängen unter dem Sternenhimmel philosophiert sie gerne über das Leben.

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