Kino & Serie / Kultur und Medien
Könnte ein Film ein Gemälde sein – Daniels Tops: „The Equalizer“
In einer fantastischen Kombination aus Schauspielkunst, Optik und Sound sorgt Denzel Washington für Gerechtigkeit.
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten
Einleitung
Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Es gibt vielfältige Formen von Kunst, welche sich teilweise vermischen. Könnte ein Film ein Gemälde sein, so würde ich sofort The Equalizer wählen. Viele gezeigte Bilder lassen sich 1 zu 1 einrahmen und etliche Zitate direkt daneben präsentieren.
2014 war wahrlich kein gutes Jahr für das organisierte Verbrechen in Filmen. In The Return of the First Avenger schlägt Captain America der Hydra ihren Kopf ab, wenn John Wick die Jagd eröffnet hat man schon verloren und Iko Uwais zerlegt eine ganze Stadt in The Raid 2 – dieses grenz-geniale Blutbad erhält aber noch gesondert seine gebührende Ehre.
Auch Denzel Washington greift zu einigen brutalen Methoden, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. Unter der Regie von Antoine Fuqua säubert er als Robert McCall die Straßen Bostons von kriminellem Unrat. Ein Seitenwechsel also, denn 2001 war Washington in Fuquas Training Day noch als korrupter Drogen-Cop Alonzo Harris zu sehen und gewann dafür einen Oscar als „Bester Hauptdarsteller“.
The Equalizer & Ich
Meine eigene Geschichte mit The Equalizer ist durchaus etwas Besonderes, denn damals im Kino war ich wenig begeistert. In Erwartung eines knackigen Action-Thrillers á la 96 Hours – Taken hatten meine Kollegen und ich angesichts des gemäßigten Erzähltempos fast schon Langeweile. Immerhin lässt jene erste Action-Szene aus dem Trailer mehr als zwanzig Minuten auf sich warten! Oh, du mein unwissendes Vergangenheits-Ich.
Ziemlich genau ein Jahr später kauft sich einer meiner „Besten“ eine große Leinwand sowie einen leistungsfähigen Beamer. Über Soundsysteme verfügt das neue „spontane Heimkino“ bereits in ausreichender Menge. Zur Premiere gibt es The Equalizer zu sehen und erneut überzeugt uns der Streifen nicht.
Wer um Regen betet, muss auch den Matsch verkraften.
Allerdings reizt mich dieser Film irgendwie und so starte ich einige Zeit später eine weitere Sichtung – dieses Mal jedoch alleine. Und nun gefällt mir der Streifen, The Equalizer wird für ok befunden. Jenes ok steigert sich in ziemlich cool, jenes ziemlich cool in richtig stark… Stand heute gehört The Equalizer zu meinen persönlichen Top 10.
Geschmäcker ändern sich, weswegen jeder Film mehrere Chancen verdient und so korrigiert sich meine Erstwertung – wie etwa in meinen Reviews – nach einiger Zeit eigentlich von selbst. So extrem wie bei The Equalizer war es aber noch nie! Und nun kommen wir dazu, warum mir dieser Streifen mittlerweile so gut gefällt…
Geschichte & Charaktere
The Equalizer basiert auf der gleichnamigen 80er-Jahre-Serie. Das Konzept ist dabei so simpel wie effektiv: Robert McCall hilft all denen, die es selbst nicht können. Als Ex-CIA-Spezialist verfügt er über die nötigen Fähigkeiten, um den Bösen mächtig einzuheizen.
Robert McCall ist ausgestiegen. Wer seinen eigenen Tod vortäuscht, der wünscht sich ein Leben unter dem Radar. Seine neue Arbeit in einem Baumarkt gefällt ihm gut, er ist beliebt bei seinen Kollegen und zudem ein Mentor für jüngere Menschen. Allerdings kann McCall nachts nicht schlafen, da seine Vergangenheit ihn einholt. Deswegen besucht er stets ein Diner, trinkt seinen Tee und liest jene 100 Bücher, die jeder gelesen haben sollte.
Wenn irgendwann jemandem etwas Unaussprechliches angetan wird, jemandem den Du kaum kennst, tust Du etwas dagegen, weil Du es kannst.
Im Diner lernt McCall die junge Prostituierte Alina kennen. Aus Russland gelockt mit dem Traum Sängerin zu werden, wird sie nun von Männern benutzt und misshandelt. Als seine neue Freundin von ihrem Zuhälter auf das Übelste zusammengeschlagen wird, erwacht der Equalizer aus seiner Starre. Sein finanzielles Angebot wird von den Mafiosi ebenso belächelt wie seine warnenden Worte. Das Böse hatte seine Wahl – nun ist es Zeit zu handeln!
Denzel Washington zeigt uns einen in sich gekehrten Mann, der seinen eigenen Frieden sucht und welchen der Verlust seiner geliebten Frau arg getroffen hat. Ihre Güte versucht er weiterzugeben, wenn er seinem Kollegen bei dessen Prüfung hilft oder ein offenes Ohr für eine junge Prostituierte hat. Besonders interessant sind einige autistische Züge McCalls, der seine Taschentücher stets exakt faltet oder Besteck perfekt auf dem Tisch platziert. Jener ausgeprägte Sinn für Ordnung ist es auch, der den Equalizer aktiviert. McCall kann nicht tatenlos zusehen, wenn Unrecht geschieht.
Ändere deine Welt.
Im Gegensatz zu etlichen anderen Rächern genießt der Equalizer seine Taten aber nicht, sondern ist sich der Bürde seiner Aufgabe bewusst. McCall schaut oftmals in die Ferne, wirkt nachdenklich und zeigt offenes Bedauern. Und er bietet jedem eine Wahl: Die Sache gerade biegen oder als korrupter Cop in den Medien auftauchen, aufhören oder weitermachen, leben oder sterben?
Trotzdem zögert McCall zunächst, als Alina seine Hilfe sucht. Sie ist das Sinnbild einer Gesellschaft, welche ihre Schwachen einfach ignoriert. Und genau das merkt Robert. Aufgrund ihrer einfühlsamen Art schafft es Chloë Grace Moretz eine Verbindung zu diesem Mann aufzubauen, der eigentlich jede Form von Nähe vermeidet. Und genau deshalb ist jener so getroffen, als diese unschuldige Seele von den Bösen in den Abgrund gestoßen wird. Alleine wird es Alina nicht schaffen und es ist Roberts Bestimmung ihr zu helfen.
Er lebt in einer Welt, in der es keine Ritter mehr gibt.
McCall tötet jedoch keine kleinen Zuhälter, sondern das Ostküsten-Zentrum eines russischen Oligarchen. Und dieser schickt seinen besten Mann, um das Problem zu lösen. Weder die Muskeln noch seine Tattoos machen Teddy erst richtig bedrohlich, sondern seine Aura. Sobald Martin Csokas anfängt, ruhig und betont seine Befehle zu geben, läuft es einem eiskalt den Rücken runter! Gefühle sind für ihn nur Schwächen, er agiert logisch und handelt präzise. Seine erste Botschaft gehört zu den intensivsten Eskalationen, die ich je gesehen habe. Zunächst erklärt er seinem Gesprächspartner nüchtern den Sachverhalt, nur um danach wie aus dem Nichts auf ihn einzudreschen. Vollkommen von Sinnen und begleitet von manischen Schreien tritt und schlägt er sein wehrloses Ziel zu Brei – die Bestie ist angekommen!
Was sehen Sie, wenn Sie mich ansehen?
„Die zwei wichtigsten Tage deines Lebens sind der Tag, an dem Du geboren wirst und der Tag, an dem du herausfindest, warum.“ – Mark Twain
The Equalizer lebt von seiner einzigartigen Kombination aus Optik und Sound, seiner aussagekräftigen Geschichte und seinen packenden Schauspielern. Letztere präsentieren sich besonders stark in den fantastischen Dialogen über das Leben, den Tod und den Sinn des Ganzen.
Manchmal treffen wir die falsche Entscheidung und landen beim richtigen Ergebnis.
Seinem Arbeitskollegen gibt Robert als Freund sowie Mentor wichtige Botschaften über das Leben mit auf den Weg und ermutigt ihn zu Fortschritt, nicht Perfektion. Das erste Zusammentreffen mit Teddy spürt McCall bereits, während dieser noch einige Stufen zu dessen Wohnung hinaufsteigt. Beide erkennen die Maske des Anderen sofort, agieren betont hilfsbereit und deuten doch messerscharf an, welche Gefahr sie darstellen. Grandiose Gespräche sowie Zitate gibt es definitiv genug, besonders zu erwähnen sind allerdings noch zwei herausragende Szenen.
Das gefühlvolle Gespräch zwischen Alina und Robert berührt mich jedes Mal aufs Neue. Sie sucht eine beruhigende Stimme, bevor es – die Prostitution – wieder losgeht. Und er öffnet sich einer fremden Person, erzählt von seiner verstorbenen Frau und zeigt Emotionen, die er sonst stets verbirgt. Was Alina ihm an Empathie und Feinfühligkeit entgegenbringt, gibt Robert ihr als Mut und Zuspruch zurück. Aber es sind nicht nur die Worte, welche solch eine Wirkung haben. Es sind auch die Gestik und Mimik, wenn Robert der unsicheren Alina mit einer Handbewegung einen Platz anbietet, wenn seine Augen leicht vor Trauer glänzen und er haucht, dass sein Herz gebrochen sei. Es ist Alinas Blick, der tief in seine Seele gleitet.
Du wirkst aber nicht traurig, sondern eher … verloren.
Zum Dialog mit Teddy im Restaurant taucht McCall einfach auf, denn der Equalizer findet stets einen Weg. Den eiskalten Teddy verwundert dies keineswegs – er hat McCall längst als Gefahr eingestuft. Trotzdem macht er McCall klar, dass dieser nur ein Auftrag für ihn ist. Etwas zum Wegschmeißen, wie ein Schraubverschluss. Seine Sentimentalität sei seine Schwäche, meint Teddy zu McCall. Dieser könne in Teddy nichts sehen, denn er verfüge nicht über Gefühle dieser Art – er ist eiskalt.
McCall wiederum erzählt Teddy eine russische Legende, welche ein Synonym für dessen Leben sein könnte. Es ist die Geschichte eines Jungen aus der Hölle auf Erden, der seine Chance auf Rettung freiwillig ablehnt. Beiden ist klar, dass es zu keiner Einigung kommen wird, weswegen McCall auch Teddy vor eine Wahl stellt: Der Equalizer kann immer weitermachen. Stein für Stein, Dollar für Dollar, Leiche für Leiche. Seiner verstorbenen Frau hatte er versprochen, niemals wieder dieser Mensch zu sein.
Aber für Sie mache ich eine Ausnahme!
Gegen Ende stellt McCall dieselbe Frage wie Teddy: Was sehen Sie, wenn Sie mich ansehen? Und es bedarf keiner Antwort – sein Gesicht genügt. Wir sehen einen Mann, dessen unbedingter Wille alles und jeden vernichten wird, der anderen Leid zufügt.
Inszenierung
The Equalizer gehört bei Weitem zu den optisch kreativsten und anmutigsten Streifen, welche ich je gesehen habe. Wer es schafft, einem einfachen Plastikvorhang eine nachdenkliche und mysteriöse Aura zu verleihen, der ist ein Meister seines Fachs! Feinste Details verleihen dem Werk eine exzellente Balance zwischen atmosphärischem Realismus und künstlerischer Coolness. Wie auch wir wird McCall von der Sonne geblendet, wenn er aus seinem schattigen Baumarkt tritt – ein geniales Mittel, um seine Figur alltäglich und menschlich erscheinen zu lassen. Umgekehrt wirkt es einfach nur episch, wenn dieser spezielle Mann lässig vor eine Explosion davonläuft. Läuft, nicht rennt.
Zudem versteht es The Equalizer wie kaum ein anderer Streifen, wann und wie Slow-Motion das gewisse Etwas hervorzaubert. Jene Explosion etwa ist perfekt auf den Sound sowie Score geschnitten und wechselt mehrmals das Tempo. Ebenso beeindruckend ist das frische Element der „Watch-Time“: Analysiert McCall eine Situation, zoomt die Kamera langsam in sein Auge und zeigt uns dann seine Sicht der Dinge. Runtergeframt und mit einem einzigartigen Farbfilter werden Feinde entdeckt, Waffen erkannt und Aktionen vorbereitet.
Man sieht es in den Augen.
Generell stehen Augen im Fokus – als Ansichten eines Charakters und als optisches Symbol. Während des Finales etwa wird der Showdown von einigen extremen Nahaufnahmen begleitet: So sehen wir in McCalls Iris die Reflektion eines knienden Gegners, der vor seinem Ende steht. Dementsprechend passt sich auch die Farbgebung des Films an, wenn helle Töne dunkleren weichen. Oftmals sind Personen nur als Schemen oder Schatten zu erkennen – die Vergeltung kommt mysteriös und gefährlich. Schwarz gekleidet in strömendem Regen. Unbarmherzig!
Bevor es jedoch zur Eskalation kommt, baut The Equalizer seine Spannung schrittweise auf. Der Soundtrack trägt dazu einen enormen Teil bei und gehört – Stunden des Nachdenkens später – auf meinen eigenen Platz #1. Einerseits schafft er eine nachdenkliche, verletzliche Stimmung und andererseits transportiert der Score von Harry Gregson-Williams jene Coolness und den absoluten Willen, welche McCall auszeichnen. Wenn sich das Gitarrenriff steigert und steigert, um am Ende eine unaufhaltsame Energie zu entfalten – Wahnsinn! Lassen einige Tracks einen die Suche nach dem Sinn anstreben, geben andere einem das Gefühl von Unbesiegbarkeit. Also unbedingt reinhören!
Selbstjustiz & Gewalt
Was Robert McCall tut, kann man getrost als Selbstjustiz bezeichnen. Aber was Recht ist, ist nicht immer gerecht. Und was Unrecht ist, muss nicht sofort ungerecht sein. Was The Equalizer von anderen Vertreten des Rachegenres unterscheidet, ist jene erwähnte Wahl. Bedarf es erst eines Angriffs, um Notwehr geltend zu machen? Und ist ein Handeln nicht notwendig, wenn das System versagt?
Ballern Action-Helden wie John Rambo oder John Wick gerne mit Knarren herum, benutzt der Equalizer kein einziges Mal eine Handfeuerwaffe – zumindest keine eigene. Dies sorgt dafür, dass er bei Tötungen brutalere Methoden anwendet. Denn McCall tötet nur, wenn er unbedingt muss. Zieht der Russe ein Messer, greift McCall zum Korkenzieher. Benutzt der Böse ein Gewehr, verwendet McCall eine Nagelpistole. Das intensive Finale erinnert an eine Art Kevin – Allein zu Haus in einer Baumarkt-Edition. Und hier gibt es Stacheldraht, Heckenscheren und weitere gefährliche Gerätschaften! Unsere Altersfreigabe ab 16 Jahren ist angesichts einer heftigen Gewaltspitze und aufgrund der Thematik auf jeden Fall ziemlich gütig.
Zusammenfassung
Insgesamt ist The Equalizer für das „normale“ Publikum ein spannender Action-Thriller mit einem starken Denzel Washington und einiger cooler Action. Doch wie es sein Hauptdarsteller selbst sagt – der Streifen geht deutlich tiefer.
Jede Menge feine Dialoge zeichnen die Charaktere und vermitteln Botschaften über das Leben sowie den Umgang miteinander. Abseits seiner Moral bietet das Werk eine der interessantesten und mysteriösesten Figuren des Rachegenres namens Robert McCall und gleichzeitig einen der gefährlichsten Gegner – Teddy. Die Schauspieler agieren dabei auf allerhöchstem Niveau! Zudem entwickelt Antoine Fuqua einen einzigartigen Stil, dessen Kombination von Wort, Optik und Sound eine wahre Wonne ist. Cineastisch ist der Streifen definitiv ein Exemplar für Kreativität und Können. Am Ende stellt sich nur eine Frage:
Wer bist Du?
The Equalizer.
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