Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Die Islandglocke (Halldór Laxness)

Die Geschichte beginnt in Island um 1700. Der Bauer Jón Hreggviðsson wird vom Henker des dänischen Königs wegen Diebstahls ausgepeitscht.
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Adam Jang | Unsplash

Dieses Mal habe ich erneut eine Art Karteileiche herausgeholt. Als ich damals begann, Skandinavistik zu studieren, legte uns eine Dozentin dieses Buch sehr ans Herz. Aber wie es so kommt: angeschafft, vergessen, verstaubt. Jedoch habe ich nach langer Zeit mal wieder Lust auf meinen Studiumsgegenstand bekommen und da lag es nahe, mir das berühmteste Werk des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness (1902-1998, Nobelpreis 1955) endlich einmal zu Gemüte zu führen. Unter dem Originaltitel Íslandsklukkan wurde es ab 1943 in insgesamt drei Bänden veröffentlicht.

Die Geschichte beginnt in Island um 1700. Der Bauer Jón Hreggviðsson wird vom Henker des über Island herrschenden dänischen Königs wegen eines Diebstahls ausgepeitscht. Anschließend kehren beide mit einigen Männern gemeinsam ein. Nachts stolpert die ganze Gesellschaft betrunken in ein Moor. Dort wird der Henker am nächsten Morgen tot aufgefunden. Obwohl alle Anwesenden von einem Unfall ausgehen, wird Jón einige Zeit später des Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Doch Snæfríður, die Tochter des Richters, lässt ihn frei, damit er sich nach Dänemark durchschlagen kann, um dem einflussreichen Schriftgelehrten Arnas Arnaeus, den sie liebt, eine Nachricht zukommen zu lassen. So beginnt für den Bauern ein langer Weg zur Gerechtigkeit. Sein eigentlich einfacher Fall wird durch die Liebesbeziehung der beiden anderen Figuren, den damit einhergehenden Intrigen sowie das komplexe isländische Gesellschaftssystem immer wichtiger, bis sich an ihm schließlich das Schicksal Islands selbst entscheiden soll.

„Aber wenn an der Küste Islands deutsche Fischerdörfer und deutsche Marktflecken entstehen, wie lange wird es dann dauern, bis auch dort deutsche Festungen mit deutschen Festungskommandanten und Söldnern entstehen. Was wird dann aus jenem Volk, das berühmte Bücher geschrieben hat? Die Isländer würden bestenfalls die fetten Lakaien eines deutschen Vasallenstaates werden. Ein fetter Lakai ist kein großer Mann. Ein geprügelter Sklave ist ein großer Mann, denn in seiner Brust wohnt die Freiheit.“

Halldór Laxness: Die Islandglocke, 2. Aufl., Göttingen 1999

Normalerweise tauche ich in dieser Kolumne nicht zu tief in den literarischen Kontext eines Werks ein, sondern versuche zu bewerten, ob der Text auch für jemanden ohne Vorkenntnisse etwas taugt. Tatsächlich ist das in diesem Fall kaum möglich. Laxness hat sich nämlich eine sehr spezielle literarische Gattung zum Vorbild genommen: die Isländersagas. Das wird unter anderem am Stil deutlich. Sehr häufig wechselt das Tempus beispielsweise zwischen Imperfekt und Präsens, wörtliche Rede wird nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet und die Sprache arbeitet mit vielen Bildern und Andeutungen. Aber auch die Anreicherung eines historischen Stoffes (Gerichtsprozesse und einige der Figuren hat es tatsächlich gegeben) und die klare Verortung auf realen isländischen Landgütern oder in kontinentalen Städten folgt der Tradition dieses Genres.

Das macht den Text nicht wirklich einfach, zumal Laxness auch kein Wort der Erklärung über das damalige Gesellschaftssystem verliert, das natürlich einem Isländer (oder Skandinavisten) vertraut ist. Ich habe durch mein Vorwissen durchaus Freude an diesem Buch gehabt. Es hat eine angenehm stilisierte Sprache und auch hier und da, vor allem durch die Bauernschläue des Jón Hreggviðsson, einen wunderbaren Witz. Bei einer Empfehlung für Leser ohne jegliches Vorwissen bin ich jedoch vorsichtig. Ich denke, dass dieser Text auch für Leute ohne entsprechenden Hintergrund durchaus reizvoll sein kann, insbesondere, wenn man sich den historischen Sagas nähern möchte. Diese sind nämlich noch einmal schwieriger zu rezipieren und dieses Buch bietet einen sanften Einstieg in diese Literaturgattung. Wer sich also nicht scheut, beim Lesen die Zusammenhänge selbst zu erschließen oder im Vorfeld ein wenig zu recherchieren, dem sei „Die Islandglocke“ wärmstens empfohlen.

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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