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„You know me, I’m Sad Happy”: Ein Einblick in das neue Circa Waves Album

In ihrem neuen Doppelalbum Sad Happy beweisen die Circa Waves erneut, wie wandlungsfähig sie sind, ohne dabei ihren eigenen Sound komplett zu verlieren. Das Album beschäftigt sich damit, wie junge Erwachsenen mit ihren Gefühlen fertig werden. Von Identitätskrisen, Herzschmerz und der Angst vor dem Älterwerden.
| Laura Klöppinger |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Laura Klöppinger

„I remember T-Shirt weather. I remember some days we were singing our lungs out in the backseat together and the seatbelts were burning our fingers in the T-Shirt weather. I remember sleeping till the early afternoon.” (T-Shirt Weather, Young Chasers 2014)

Wenn man eine Band schon lange Zeit hört, so ist es immer spannend, ihre Entwicklung in den letzten Jahren mitzuerleben. So haben die Circa Waves vor sechs Jahren mit fröhlich unbeschwertem Indie-Pop angefangen, mit dem sie Englands Festivalbühnen beschallten. Die Botschaft: Seht her, wir sind jung, sorglos und frei! Ihr erstes Album Young Chasers war voll mit vor guter Laune sprudelnder Sommer-Songs wie T-Shirt Weather oder Best Years, stets begleitet von lebendigen Gitarrenriffs. So festival- und roadtriptauglich die Songs auch waren, es fehlte der Band damals noch das gewisse Etwas, das sie aus der Masse englischer Indie Bands herausstechen ließ.

Eine Band im Wandel

Die vier Jungs aus Liverpool schienen dies auch zu bemerken. Die gewohnte Leichtigkeit nahm im zweiten Album Different Creatures bereits ab. Die sonst so beschwingten Gitarrenriffs wurden knarziger, der Stil rockiger. Der Blickwinkel richtete sich vom eigenen Gefühlsleben weg und erstmals auf politische Themen. In ihrem Titelsong Different Creatures kritisierten sie etwa die Flüchtlingspolitik Großbritanniens. Das dritte Album What It’s Like Over There (2019) war besonders auf musikalischer Ebene experimentell, und driftete fast schon wieder zu sehr in Richtung Mainstream ab.

Dieses Jahr dann die Überraschung: Frontsänger Kieran Shudall muss während der letzten Tour intensiv am Songtextschreiben gewesen sein, denn nur ein Jahr (!) nach Erscheinen des letzten Albums kündigte sich bereits die nächste Platte an. In ihrem neuen Doppelalbum Sad Happy setzt die Band sich erstaunlich reflektiv mit dem inneren Gefühlstumult junger Erwachsener auseinander und spricht viele Probleme unserer auf Leistung und Glanz gepolten Gesellschaft an. Ein Wechsel von „Wir sind jung, sorglos und frei!“ zu „Wir sind vielleicht jung und frei aber nicht sorglos.“ Damit beweist die Band nicht nur erneut ihre Wandlungsfähigkeit, sondern auch ein Bewusstsein über existierende gesellschaftliche Zwänge. Ein Porträt von Ängsten und Zweifeln junger Erwachsener.

Gegensatz von Musik und Text

Sad Happy teilt sich in zwei Albumteile auf. Der erste Teil Happy ist bereits im Januar erschienen, der zweite Teil Sad kam dann im März hinterher. Dem Album kann man allerdings, wie vielen Musikalben, keinen schwarz-weiß Stempel aufdrücken – auch wenn die Namen der Albumteile dies vielleicht andeuten. Der erste Teil ist nicht durch und durch glücklich und der zweite auch nicht durch und durch traurig. Der Kontrast von Sad Happy spiegelt sich vor allem im Gegensatz von Text und Musik wieder. So kann man sich von den teils an Young Chasers erinnernden Indiebeats täuschen lassen. Es geht nicht lediglich darum, Freude und Trauer zu kontrastieren. Die Band versucht mehr zu beschreiben, wie diese Gefühle ineinander übergehen können und vor allem, wie wir uns mit dem eigenen Gefühlstumult auseinandersetzen. Musikalisch greift die Band dabei wieder einiges aus letzteren Alben auf, bleibt jedoch experimentierfreudig. Auch Einflüsse von anderen Indierock Bands wie den Arctic Monkeys oder Vampire Weekend sind zu erkennen.

Vergangene Liebe und Flucht aus dem Alltag

Der erste Albumteil Happy thematisiert Naivität und Leichtsinn junger Erwachsener und blickt auf eine gescheiterte Beziehung zurück. So singt Frontsänger Kieran Shudall in Call your Name von einer vergangenen Liebe, an dessen schöne Tage er sich krampfhaft versucht zurückzuerinnern: „I can’t believe I’m not 23, I can’t retrieve this broken dream.“ Das Lied ist ein dynamischer Rocksong mit galoppierendem Schlagzeug, in dem sich Shudall die Seele aus dem Leib singt. Der Song wurde beim Hören des Albums sofort mein Favorit, da das Stück auf der Musikebene so sehr an die unbesorgte Young Chasers-Zeit erinnert, aber mit einem nachdenklichen Text, der die Gefühle und Erinnerungen reflektiert, die noch lange Zeit später existieren.

Songs wie Move to San Francisco oder Jacqueline erinnern ebenfalls an den aufmunternden Sound, den wir noch vom ersten Album kennen. Jacqueline ist ein aufbauender Song, der uns daran erinnert, dass es – egal wie schlecht es uns im Moment gehen mag – wieder bergauf gehen wird. Dabei liegt es meist in unserer Hand, wie schnell wir uns wieder aufraffen. Damit ist der Song wohl auch der optimistischste des Albums. Er hat eine unglaubliche Dynamik und sprüht nur so von Energie – ein Track, der im Sommer garantiert noch auf vielen Festivals gespielt wird. Move to San Francisco handelt vom Ausbruch aus dem tristen Alltag, wenn einem mal wieder die Decke auf den Kopf fällt. Er thematisiert den Trugschluss, dass wir woanders immer glücklicher wären und die Annahme, dass ein Neuanfang in einem anderen Land die Lösung für unsere Probleme sei.

„I think that we should move to San Francisco
That’s where the happy people go
You say you wanna go to San Francisco
But I, I just don’t know
. (Move to San Francisco, Sad Happy)

Zerbrechlichkeit und Zukunftsängste

Sad ist eine Mischung aus Identitätskrise, Herzschmerz und der Angst vor dem Altern. Der erste Song Sad Happy lässt beide Albumteile gekonnt ineinanderfließen. Die Endmelodie des letzten Songs Love you more von Happy ist gleichzeitig die Leit- und Anfangsmelodie des ersten Tracks von Sad. Dies zeigt, dass Gefühle wie Glück und Trauer oft ineinander übergehen können. Es ist ein rhythmischer Pop-Song mit unbeschwertem Bass und verträumten Synthesizer. Auch hier täuscht jedoch die Musik. Kieran singt nämlich davon, nicht zu wissen, wer er ist und dem Gefühl, Glück und Trauer gleichzeitig zu empfinden. Er wartet auf den Zustand, in dem er wieder positive Gefühle haben kann und tanzt solange mit „geschlossenen Augen“. Sänger Shudall klingt hier unglaublich zerbrechlich, als müsse er sich für seine Gefühle rechtfertigen. Es ist einer dieser Songs, bei denen man nicht weiß, ob man tanzen oder weinen will – oder gleich beides gleichzeitig.

„But you can’t see my heart’s made out of concrete. You know me, I’m sad happy“. (Sad Happy, Sad Happy)

Hadern mit sich selbst

Sympathy kommt allein mit akustischer Gitarre und Kierans sanfter Stimme aus. Es geht darum, wie wir anderen Menschen unser Glück vortäuschen, wenn es uns in Wahrheit miserabel geht. Wir sehen Posts von Menschen, die breit in die Kamera grinsen und denken, wir müssten uns genauso fühlen, sonst sei etwas falsch mit uns. Denn wer will schon Schwäche zeigen? In Battered and Bruised nimmt die zuvor sanfte und zerbrechliche Stimme einen nahezu aggressiven und wütenden Ton an. Kieran schmettert sich seinen Herzschmerz aus dem Leib. Die düstere Bridge im Stil der Arctic Monkeys verleiht dem Song einen noch düsteren und abgründigeren Ton.

„It took a long, long time for the sun to rise
And I’ve seen my scars reflect in your eyes
And I’m feelin‘ broke, I’m feelin‘ I’ve been used
My love, my heart is battered and bruised”
(Battered and Bruised, Sad Happy)

Auseinandersetzung mit dem Tod

Hope there’s a Heaven klingt wie eine nostalgische Rockbalade aus den 80ern. Es geht darum, wie wir mit dem Tod eines geliebten Menschen umgehen und unsere Trauer verarbeiten. Birthday Cake singt von der Angst vor dem Altern und erinnert an unsere Sterblichkeit: „Oh, I feel like we’re growing old, faster than what we were told – Who will care when we go?“ Es ist einer dieser Songs, den man im Hintergrund laufen lässt, wenn man sich Bilder aus seiner Kindheit ansieht und an die alten Zeiten zurückdenkt. So schön Geburtstagsfeiern auch sein können, so erinnern sie uns gleichzeitig daran, dass wir dem Tod noch ein Jahr näher gerückt sind. Dass wir in der Welt versuchen, ein Zeichen zu setzen und dabei gleichzeitig wissen, dass es eines Tages vielleicht keine Bedeutung haben wird. Die Band scheint es mit Sad wirklich darauf abgezielt zu haben, dass wir uns zuhause schluchzend über den Fußboden rollen.

„And oh, I feel like we’re growing old
Faster than what we were told
And who cares when we go?”
(Birthday Cake, Sad Happy)

Auch junge Menschen haben Hang zur Nostalgie

Die Circa Waves zeigen, wie unterschiedlich junge Menschen mit ihren Gefühlen fertig werden. Mal ist es Verleumdung, mal Wut oder das Bedürfnis nach Rechtfertigung. Dabei zeigt sich aber vor allem eines: Wir müssen nicht immer glücklich sein. Nur weil wir jung sind, heißt es nicht, dass wir nicht auch Angst vor der Zukunft und dem Tod haben. Man darf auch Hang zur Nostalgie haben und muss dafür nicht 70 Jahre alt sein. Wir können unser Leben genießen, ohne dabei permanent glücklich zu sein. So viele glückliche Hochphasen es geben mag, Glück und Trauer existieren nun mal nur nebeneinander. Wir sind alle menschlich und keine Maschinen und müssen daher auch niemandem unser Glück vorspielen. Die Jungs aus Liverpool haben mal wieder gezeigt, wie wandlungsfähig und gleichzeitig reflektiert sie sind. Den Wandel von einer Festivalsommer-Band zu einer anerkannten Indie-Rock-Band haben sie allemal geschafft und das ohne jemals komplett ihren alten Sound zu verlieren.

Wie geht es weiter?

Im Herbst geht die Band zunächst in Großbritannien auf Tour. Zu internationalen Auftritten haben sie sich zwar noch nicht geäußert, jedoch wird sie beim deutschen Immergut Festival in Neustrelitz auftreten, das auf September verschoben wurde. Solange können wir dennoch ihr neues Album rauf und runter hören und uns dabei vielleicht mit unseren eigenen Unsicherheiten, Ängsten und Zweifeln auseinandersetzen.

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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… liebt die englische Sprache und Kultur, weshalb sie sich auch für das Anglistik (und Germanistik) Studium entschieden hat. Wenn sie nicht gerade liest oder Musik macht, diskutiert sie gerne über Doctor Who oder die neusten Indie-Rock Alben.

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