Tatsächlich gelesen: Der Peloponnesische Krieg (Thukydides)
Es mag mit dem langen Lockdown zusammenhängen, dass ich neulich auf ein ziemlich dickes Buch in Bücherregal aufmerksam wurde. Mir […]
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Es mag mit dem langen Lockdown zusammenhängen, dass ich neulich auf ein ziemlich dickes Buch in Bücherregal aufmerksam wurde. Mir fiel auf, dass es dort schon sehr lange ungelesen weilte. Angeschafft hatte ich es zu Beginn meines Studiums, aber nie mehr als wenige Seiten gelesen. Also beschloss ich, dass es Zeit wurde, diesen Umstand zu ändern und begab mich damit auf eine Art Pilgerreise zu einem der einflusreichsten Texte der Geschichtswissenschaft.
Der antike Geschichtsschreiber Thukydides (* vor 354, † zwischen 399 und 396 v. Chr.) erlebte während seiner Lebenszeit den Peloponnesischen Krieg, der 431 v. Chr. begann und erst 27 Jahre später endete. Geführt wurde er zwischen dem Attischen Seebund unter der Führung von Athen und dem Peloponnesischen Bund unter Sparta, wobei letztgenannter den Krieg für sich entscheiden sollte. Noch während des Krieges begann Thukydides mit seinen Aufzeichnungen, die leider aus ungeklärten Gründen unvollständig geblieben sind und erst durch Xenophon in der Hellenika fortgesetzt wurden.
Thukydides erweist sich in seinem Werk als ein sehr methodischer Geschichtsschreiber, ein ganzes Kapitel widmet er der Erklärung seines Vorgehens. Er formuliert nicht nur den Anspruch, die Ereignisse so wiederzugeben, wie sie geschehen sind, sondern gibt auch an, er habe, wo es ihm möglich war, Berichte von beiden Seiten gehört. Auch habe er seine Quellen nach bestem Wissen geprüft. Es ist genau dieser Anspruch, der ihn von anderen Historiographen unterscheidet und der den Beginn seiner Aufzeichnungen besonders bedeutungsvoll macht. Spätere Geschichtsschreiber, vor allem römische, haben sich oft an Thukydides orientiert.
Die Ursachen des Krieges untersucht er mit großem Detailreichtum, verfolgt im weiteren Verlauf wie sich die Gesellschaft unter dem Druck des Krieges verändert, schildert Heerzüge, Schlachten und kehrt immer wieder zu langen Reden der Protagonisten des Krieges zurück.
Zunächst muss aber festgehalten werden, dass der Text sehr anspruchsvoll ist. Selbst in einer guten deutschen Übersetzung sind die Sätze sehr lang und sperrig formuliert. Hinzu kommt, dass ein großer Teil des Textes aus Verläufen von Kriegszügen besteht, die sich ohne eine Karte aus der Epoche kaum verfolgen lassen. Aber wer durchhält wird zwischen den sterbenslangweiligen Passagen auch hochinteressante finden. Mehr als einmal wird der Leser schmerzhafte Parallelen zur heutigen Zeit erkennen, wenn Thukydides beispielsweise von dem Verfall der Wahrheit und der politischen Kultur berichtet, von antidemokratischen Strömungen, welche die Demokratie in Athen zweimal stürzen, oder wenn eine Seuche als Omen gedeutet wird. Der Autor wahrt stets eine nüchterne Distanz zu dem Geschehen. Hin und wieder rückt er die Ereignisse skeptisch in ein anderes Licht, aber stets macht er seine eigenen Gedanken als solche kenntlich. Thukydides bekleidete während des Krieges das Amt eines Strategen, wurde aber nach einer bitteren Niederlage einige Jahre aus Athen verbannt. Auch dies enthält er dem Leser nicht vor, vielleicht, weil er seine rigorosen Standards auch gerade an sich selbst anlegen wollte.
Würde ich dieses Buch erneut lesen? Ich glaube nicht. Über viele Strecken habe ich mich sehr gequält. Aber bin ich froh, dass ich es gelesen habe? Unbedingt! Denn abseits des Gefühls, dass die Menschheit seit 2500 Jahren nicht viel über politische Kultur gelernt hat, habe ich doch den Eindruck, hier einen faszinierenden Einblick in eine ganz andere Zeit erhalten zu haben. Vielleicht sind es gerade die Parallelen und das Gefühl, dass es etwas gibt, was Menschen durch alle Zeiten verbindet, was diesen Text so wertvoll für jeden neuen Leser macht. Und darum kann man davon ausgehen, dass er die Zeiten auch weiterhin überdauern wird.
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Dominik Schiffer
Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.
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