Gesellschaft und Lifestyle / Kultur und Medien / Wissenschaft und Technik

Vorsicht Weihnachten: 10 Last-Minute-Adventskalenderideen und eine Kritik an der Priorisierung christlicher Feiertage

Es ist höchste Zeit! Es ist Ende November und ein Adventskalender muss her? Hier sind 10 verschiedene kreative Ideen für Kalender.
| Alex Schmiedel |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Man sieht eine Kartoffel. Sie ist in der Mitte des Bildes platziert und von einem roten Schleifchen gekrönt. Daneben liegen ein Tannenzapfen, Tannengrün und rote Beeren. Im Hintergrund stehen zwei gezeichnete Bilder: Ein Igel, der Kuchen bäckt und eine rote Zipfelmütze trägt und ein Hirsch in einem roten Ohrensessel.unbekannt

Der Kartoffelkalender, erstes Türchen

Nicht alle feiern Weihnachten und noch weniger Menschen tun dies im Zentrum von Religion. Dennoch ist der Winter hier in Deutschland gedanklich eng verbunden mit der Weihnachtszeit. Dementsprechend freuen sich viele auf die perfekte Nordmanntanne, die Glühweinkeimschleuder auf dem idyllischen Kleinstadtweihnachtsmarkt oder Rolf Zukofskis und Smashing Hits.

Ob es nun das Last Christmas mit Corona oder ein Phänomen ist, was unseren Alltag auch in den nächsten Jahren prägt – eins steht fest: Als Gesellschaft mussten wir dieses Jahr sozial, finanziell, emotional und im Hinblick auf Tests (ha) einige Abstriche vermerken.

Auch gilt: Es trifft nicht alle Menschen gleich hart. Gedacht sei beispielsweise an Risikogruppen, systemrelevante Berufe, die Gastronomie, Kulturschaffende, Opfer häuslicher Gewalt und auch Schüler*innen. Die verschiedenen Lebenssitutionen bergen alle ihre Herausforderungen.

Mach dich mal locker

In Anbetracht dessen erscheint die punktuelle Lockerung der Verhaltensregeln bezüglich Corona in der Weihnachtszeit fast schon etwas absurd. Solche Aussetzungen von Regelungen existierten nicht für Jom Kippur und andere jüdische Feiertage sowie die muslimischen Feiertage. Trotz der Idee eines säkularisierten Staates, der Religion und Staat voneinander trennt, gilt dennoch: Hey, Leute, Sonderregelungen für Weihnachten.

Gleichzeitig ist es auch verständlich, dass Christ*innen die Geburt Jesu feiern wollen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Folge hat diese allerdings höchstwahrscheinlich gar nicht am 24. Dezember, sondern im Sommer stattgefunden. Genauer am 17.Juni. An dem Tag ist auch ein Sternenphänomen zu datieren, welches vermutlich der berühmt berüchtigte – folgende Worte stellt ihr euch bitte in schönster Unterstufenchormanier vor – „Stern über Betlehem“ ist.

Ein Heidenspaß

Dass unser heutiges Weihnachtsfest kulturell betrachtet nunmehr ein Konglomerat aus paganistischen und christlichen Riten sowie dem Fest des Kapitalismus ist, ist auch nicht gerade eine neue Erkenntnis.

Kurze Erinnerung: Vor 400 Jahren hatte die Kirche versucht, dem heidnischen Feiern der Wintersonnenwende (Jul) ein Ende zu setzen. Wie gut das geklappt hat? Fragt mal in Schweden nach, da sagt man immer noch „god Jul„, gutes Julfest, zu „Frohe Weihnachten„. Tatsächlich entspringt der Ursprung des Feierns am 24.–26.12. genau dieser politischen Entscheidung. Die Hoffnung war es, so durch Annäherung „Ungläubige“, die lieber ihren eigenen Riten und Religionen nachgegangen sind, zum Christentum bekehren zu können.

Nestlé wünscht frohe Weihnachten und eine besinnliche Privatisierung von Wasser

Und heute? Heute setzen viele Kinder Weihnachten mit dem Kommen des Weihnachtsmannes gleich. Coca Cola freut sich. Vage ist er an St. Nikolaus, jaja, den Mann mit den Stiefeln, Strümpfen und Naschereien, angelehnt.
Dennoch ist die Firma von Coca Cola, also Nestlé, für die Erfindung des pausbäckigen, rauschebärtigen Mannes im rot-weißen Anzug verantwortlich.

Insgesamt treffen Einflüsse diverser Riten, Zeiten und Interessensgruppen an Weihnachten aufeinander und verschmelzen sich zu Frankensteins Fest.

‚Tis the Season to Wear Swimsuits

Das Datum der Feier ist de facto also arbiträr, beziehungsweise nach machtpolitischen Ideen gewählt. Was also hindert uns daran, es in den – infektionsrisikoärmeren – Juni zu verlegen? Außer natürlich die wirtschaftlichen Interessen, die sich aus einer kapitalitischen Aufladung des religiösen Ritus und der kulturellen Tradition ergeben haben. Schade.

Glühwein im Sommer? Zimtsterne und Dominosteine? Zipfelmützen und unrealistische Lieder über Schnee? Es kann doch nicht ohne gehen, oder?
Australien macht vor, wie sommerliches Weihnachten aussehen kann. Daher, und jetzt kommen wir endlich zu den 10 Last Minute Adventskalenderideen, folgende Idee:

1. Sommer, Sonne, Weihnachtsstimmung

Die erste Idee funktioniert nur, wenn ihr der zubeschenkenden Personen einen ungefähr genauso langatmigen Monolog über Weihnachten im Sommer haltet, wie die Präambel dieses Artikels. In Vorbereitung auf die Weihnachtsrevolution schenkst Du einfach eine erfrischende Abkühlung zu den sommerlichen Temperaturen. Dank Klimawandel und 23 Grad im Dezember hält das Konzept auch unserer herkömmlichen Adventszeit stand. Hierzu benötigt ihr eine Gefriertruhe und etwas Wasser. Zack, feddich: Hinter jedem Türchen steckt ein Eiswürfel.

Zum Dahinschmelzen

Wer das Konzept von einem stumpfen Witz in die Eventuell-Sogar-Tatsächlich-Ganz-Ok-Zone pushen möchte, kann einfach in jeden Eiswürfel etwas Sirup, Saft oder Gewürz reingeben und ein Ratespiel daraus machen. Am Ende gibt es dann einen (alkoholfreien) Cocktail oder ein Gericht, welches die verschiedenen Geschmackssorten, seien es nun Zimt, Orange oder Nelken zu einem winterlichen Gericht vereint.

2. Das hat ein Kompliment verdient

Eine Alternative zum 1-Euro-Schokokalender von Netto? – Ein Komplimentkalender. Persönlich, verbindend und kostengünstig. Obendrauf benötigt diese Variante kein Händchen fürs Basteln. „Du bist nett“ trifft da allerdings vermutlich eher weniger ins Schwarze, daher: Je differenzierter und durchdachter, desto besser. Vielleicht hat die zu beschenkende Person ja einige Eigenschaften, die Du besonders an ihr schätzt.

Wenn’s ein wenig alberner sein darf: 24 schlechte, kreative Anmachsprüche. Damit fällt man mit jedem Türchen mit der Tür ins Haus. Hey, Süße*r, bist Du ein Adventskalender? Denn ich denke immer zu Beginn, dass ich mehr Freude an dir haben werde, als dann eigentlich der Fall ist. Moment. Workshop that.

3. Hark Hear the Bells

Bei Medien gilt: Sie sterben nicht aus, sondern verlagern lediglich ihre Funktion und Nutzung. So sehen wir beispielsweise, dass Schallplattenspieler ein Retro-Comeback feiern und auch die 80er gerade wieder in der Popkultur auflodern. Wie wäre es also, wenn wir für diesen Adventskalender ganz tief in die Nostalgiekiste greifen und ein Mixtape machen? 24 Tage, 24 Songs. Ob das nun die Form einer CD, Kassette, YouTube- oder Spotifyplaylist annimmt, ist hierbei erstmal zweitrangig. Pluspunkte, wenn es nicht mit „All I want for Christmas“ von Mariah Carey endet.

4. Kartoffelkalender

24 Tage. 24 Kartoffeln.
Das wars. Das ist das ganze Konzept.
Okay, nicht ganz. Hier gibt es noch zwei mögliche Ergänzungen:

Möglichkeit 1: Es sind 23 Kartoffeln und eine aus Marzipankartoffeln modellierte, mit Kakao bestäubte, richtige Marzinpankartoffel, die willkürlich (oder am 6.12.) in den Kalender geschmuggelt wurde.

Möglichkeit 2: Es sind tatsächlich 24 Kartoffeln, aber sie gehen damit einher, dass Du im Laufe der Zeit 24 verschiedene geile Kartoffelgerichte kochst und den*die Beschenkte*n damit überraschst.

5. Ein Tee Adventskalender

Der hier ist simpel, aber: Falls Du und die zubeschenkende Person beide gerne Tee mögt, kommt hier eine schlichte Idee: Du nimmst dir einfach 23 Teebeutel und eine Tasse.

Ein Kalender ist einfach mit einem Schuhkarton, Unterteilungen in 24 Felder aus Pappe, einem Cuttermesser und einem Stift zum Nummerieren gemacht.

Wenn du etwas Vielfalt in die Sorten bringen möchtest, probiere einfach Zitronen- und Orangenschalen, Ingwer, Chili, Birne oder Apfel zu trocknen und als Türchen dazuzugeben.

6. Sockenkalender

Es ist nicht so, wie du denkst. Diese Idee funktioniert nur, wenn ihr gemeinsam im selben Haushalt lebt. Statt Socken für den Kalender zu kaufen, nimmst Du einfach jeweils eine Socke von 24 Paaren und packst sie in den Kalender. Mit jedem Türchen gibt’s die Erleichterung, heute doch nicht barfuß oder mit buntgemischten Socken rauszugehen. Zugegeben, die Idee ist nur empfehlenswert, wenn ihr vier Jahre alt seid und oder die Welt brennen sehen wollt.

7. Postkartenkalender

Schreibt doch euren Nächsten jeden Tag eine Postkarte. Über die verschiedenen Motive werden sie sich sicher freuen, besonders, wenn sie etwas mit ihren Hobbys, Wertverständnissen oder Interessen zu tun haben. Und wenn ihr sehr motiviert seid, könnt ihr sie sogar selberzeichnen.

Wenn ihr lieber selbstgemalte Karten kaufen möchtet: Hier gibt es beispielsweise Karten, die die ganze Coronasituation mit etwas Humor nehmen, indem sie sie auf Märchen wie Rotkäppchen und die Bremer Stadtmusikanten übertragen. Ich habe die Karten selbstgezeichnet und mit Jan Bühlbecker zusamme konzipiert und bewerbe sie hier im Nebensatz schamlos. Aber etwas noch schamloseres wäre der:

8. Leere-Versprechungen-Kalender

Hinter jedem Türchen steckt eine Enttäuschung. Hierfür gibt es wiederum drei fantastische Varianten:

Der*die „Minimalist*in“
Ihr bastelt einen Kalender. Ihr befüllt ihn nicht. Gähnende Leere.

Der*die „Pessimist*in“
Jeden Tag gibt es einen hübsch zusammengerollten Zettel mit Schleifchen. Darauf steht? Ein trauriger Fakt über das Weltgeschehen, den Klimawandel und Rechtsruck der Gesellschaft pro Tag.

Der*die „Optimist*in“
Auf jedem Zettel steht ein Gutschein! Ob für den Haushalt, liebe Kleinigkeiten oder Unternehmungen. Der Clou: Zu 90 % werden die Gutscheine nie eingelöst, vergessen oder immer auf Morgen verschoben.

9. Jetzt lassen wir es krachen

Das ist ja wie Karneval, Silvester und Geburtstag vereint! Nur was für echte Partylöwen. Du nimmst dir einen Locher und locherst etwas buntes Papier. Dann verschenkt du einen winzigen Papierkreis pro Tag. Nach 24 Tagen kommt ordentlich was zusammen. Hoch das Konfetti, Helau!

10. Ein Kalender von Herzen

Am Ende gilt: Wenn ihr einen Adventskalender verschenkt, ist es eine Geste der Wertschätzung und Liebe. Ob ihr ihn nun einem Kind, Verwandten oder innerhalb einer Beziehung oder Freundschaft verschenkt. Den einen perfekten, schnellen Kalender gibt es nicht. Also macht euch keinen Kopf und Druck wegen sowas. In unserer Generation sieht man häufig Leute, die damit fast schon über Bord gehen und extrem viel Aufwand darein stecken. Nicht jeder hat dafür Zeit, Kraft oder Geld. Und wenn ihr dennoch einen machen wollt, soll diese Liste zeigen: Es geht auch mit Humor und ohne Druck.

Ihr schreibt gerne? Macht einen Gedichte oder 30-Wort-Kurzgeschichten-Kalender.

Ihr liebt Bücher? Macht einen Kalender, der 24 schöne Passagen oder Zitate enthält.

Ihr musiziert? Dann schenkt jeden Tag eine Zeile oder ein paar Takte eines Lieds und am Ende kommt ein tolles Geschenk bei rum.

Wenn ihr gerne zeichnet, könnt ihr 24 Puzzleteile verschenken, die am Ende eure ganze Zeichnung ergeben oder 24 schnelle Kritzeleien.

Die Person ist ein echter Zocker? Gerade ist Sale bei Steam und es gibt auch viele kostenfreie Spiele.

Brettspiele? Ein Spiel – jede Komponente auf die Tage verteilt.

Die Person hört Podcasts? Wie wäre es mit 24 Empfehlungen.

Die Person zeichnet gerne? 24 Stifte könnten ein schönes Geschenk sein.

So viele Möglichkeiten für verschiedenste Personen.

Das wichtigste: Niemand sollte sich wegen des populärer werdenden Trends, Adventskalender für Partner*innen und Freunde, unter Druck gesetzt fühlen. Das ist alles Geschmackssache. Wie die Kartoffelrezepte. Wenn euch das Kalenderfieber aber doch gepackt hat: Frohes Basteln und viel Spaß.
Wenn ihr noch Ideen für Kalender habt, schreibt sie gerne in die Kommentare.

Unterstützen

Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.



Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:

Alex Schmiedel

Seit 2019 unterstütze ich das Team mit Illustrationen, Gestaltung, Artikeln und einer stets schwingenden intersektionaler Feminismus-Keule. Ursprünglich bin ich jedoch als Fan des Heldenpicknicks auf Seitenwaelzer gestoßen. Meinen Bachelor habe ich in Mediendesign in Münster absolviert und nun studiere ich Medienwissenschaft im Master in Bochum und arbeite im Bereich Mediendesign. Für Interactive Fiction, Podcasts, Animation und Musik schlägt mein Herz, ebenso wie für Aufklärung über diverse politische Themen, insbesondere Geschlechterdiversität und medizinische sowie antiableistische Gleichberechtigung.

Sandra Hein | seitenwaelzer.de

Tatsächlich gelesen: Paddington Bear (Michael Bond)

Bild zeigt Luca auf der BühneDavid Hinkel

„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview

Inga Nelges | seitenwaelzer.de

Vom männlichen und weiblichen Blick – Ein Gang durch die „Nudes“-Ausstellung des LWL-Museums in Münster

Daniel Öberg | Unsplash

Korallen, Klimawandel und Klimaangst

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies, mit der Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden. Hier gibt's weitere Infos.