Projekte statt Lagerkoller – Märchen nach Corona
Was wird aus Rotkäppchen, wenn es seine Großmutter nicht mehr besuchen kann? Wenn man das Glück hat, nicht gerade in […]
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Was wird aus Rotkäppchen, wenn es seine Großmutter nicht mehr besuchen kann?
Wenn man das Glück hat, nicht gerade in der kritischen Infrastruktur, sei es im Einzelhandel, in der Pflege und Erziehung oder in medizinischen Bereichen zu arbeiten, dann sieht man sich vielleicht als durchschnittliche*r Studierende*r oder Schüler*in mit einer bunten Mischung aus Zukunftsängsten, finanziellen Herausforderungen und vielleicht auch etwas … Langeweile konfrontiert. Letzteres hat dabei allerdings auch positive Seiten: Die Zeit der Ausgangsbeschränkung und Quarantäne ist positiv betrachtet eine Chance, seine neu gewonnene oder umstrukturierte Freizeit mit dem altbekannten „Eines Tages mache ich das!“ tatsächlich zu füllen.
Der spielende Mensch
Nicht umsonst sprießen jetzt zahlreiche neue YouTube-Kanäle und Podcasts aus dem Boden: Wir wollen nach außen tragen und mit anderen teilen, was uns bewegt, berührt und was uns wichtig ist. Neben sozialen Wesen sind wir schließlich auch Homo ludens, der spielende Mensch. Das bedeutet wir experimentieren, wir haben einen Drang zum Neuen und wir entwickeln viele kulturelle Fähigkeiten durch das Spielen.
Märchen und Erzählen
Laut Anita Rudolf und Siegbert A. Warwitz in „Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen“ gehören auch Märchen und Erzählungen zum Spiel, genauer zum Gedankenspiel. Wie sich die Rolle des Erzählens in unserem Alltag durch Corona ändert, werden wir erst auf lange Sicht beurteilen können. Doch bereits jetzt rückt das Erzählen wieder mehr in den Vordergrund: Wenn wir unsere Liebsten nicht umarmen können, werden Gespräche mit ihnen per Videochat oder Telefon umso wichtiger.
Kindheitserinnerungen und Nostalgie
Gerade jetzt beginnt wohl eine Phase des Vermissens für viele von uns, wenn wir die Menschen, die wir lieben und wertschätzen, teilweise wochen- oder monatelang nicht sehen können. Kein Wunder also, dass unser Gehirn wild mit der Nostalgiekeule zu schwingen beginnt. Um Ostern herum ist es für einen Großteil der Deutschen üblich, an den Feiertagen, sei es aus emotionalen, familiären oder teilweise noch christlichen Gründen, Zeit mit der Familie zu verbringen. Kindheitserinnerungen kommen auf, Langeweile lebt und zack stellt sich die Frage: Wie würden sich Märchen durch den Einfluss der Covid-19-Pandemie verändern?
Rapunzel betreibt #Social Distancing und das Schneiderlein näht Masken
Märchen spiegeln stets den Zeitgeist wider. Nicht umsonst hat sich unsere Erzähltradition von den Archetypen der Geschichten, über die Brüder Grimm bis heute deutlich gewandelt. Die Prinzessin küsst beispielsweise heutzutage den Frosch, statt ihn gegen die Wand zu klatschen, wie ein wütendes Kind seinen überteuerten Laptop, dessen Eltern nicht für Fortnight bezahlen wollen. Wie würden also die bekanntesten Märchenfiguren, die Held*innen unserer Kindheit auf die Krise reagieren?
Mit dieser Frage haben der Poetry Slammer Jan Bühlbecker und ich uns im Rahmen eines Corona-Projektes beschäftigt: Ein Märchenbuch mit lauter Aquarellillustrationen und einer Schippe Humor. Ganz ehrlich? Anders als mit Witz hält man die Zeit der Unruhe und Ungewissheit doch kaum aus.
In meinem Berufsalltag zeichne und layoute ich fast täglich für Kundinnen und Kunden, umso besonderer war für mich die Abwechslung, endlich einmal die Zeit zu finden, ein persönliches Projekt zu planen, zu illustrieren und zu veröffentlichen.
Warum Märchen auch mal ein Update brauchen
Dass Aschenputtel nicht zum Ball kann, weil die Großveranstaltung abgesagt wurde und die Mutter der sieben Geißlein nun Home-Office macht und somit den ganzen Plot zerschießt, ist allerdings nur ein Teil der Veränderung der Märchen. Corona hin oder her gilt doch: Es ist 2020. Die Idylle vom Prinzen und der Prinzessin allein, von ganzen Märchenwelten, die nur von weißen und körperlich uneingeschränkten Helden besiedelt werden, ist veraltet und in der Form nur noch schwierig an neue Generationen weiterzugeben.
Darum hat das Märchenbuch in dieser Hinsicht ein kleines Update erfahren: Repräsentation spielt eine wichtige Rolle, wortwörtlich. Denn Rollenbilder werden durch Medien geprägt und diese, so hoffe ich, öffnen sich in Zukunft immer mehr den Held*innen von heute: Figuren, in denen sich alle wiederfinden können. Dementsprechend ist das Märchenbuch auch divers und inklusiv aufgebaut.
Und wenn sie nicht gestorben sind …, ist wohl gerade zu zynisch
Das Buch, nun fertig gestellt, umfasst vierzig Seiten und war echt ein Zeichenmarathon. Gleichwohl kann ich jedem nur empfehlen, der die Kapazität und Energie, je nach den Umständen der häuslichen und gesundheitlichen Situation, hat, ein Projekt zu verfolgen! Packt’s an! Einige Ideen für Beschäftigungen beschreiben wir euch natürlich auch hier.
Wenn euch die Märchenidee gefallen hat und ihr gerne mehr lesen würdet, gibt es das Buch und einige der Motive hier.
Das ganze Gerede von Märchen und phantastischen Erzählungen hat euch genug motiviert, um sich das Thema reinzuziehen, aber nicht genug, um selber aktiv zu werden? Auch nicht schlecht! Dann gönnt euch doch einfach das Heldenpicknick, den Actual-Play-Podcast von Seitenwaelzer. Lasst euch in die magische Welt des Schwarzen Auges entführen.
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Alex Schmiedel
Seit 2019 unterstütze ich das Team mit Illustrationen, Gestaltung, Artikeln und einer stets schwingenden intersektionaler Feminismus-Keule. Ursprünglich bin ich jedoch als Fan des Heldenpicknicks auf Seitenwaelzer gestoßen. Meinen Bachelor habe ich in Mediendesign in Münster absolviert und nun studiere ich Medienwissenschaft im Master in Bochum und arbeite im Bereich Mediendesign. Für Interactive Fiction, Podcasts, Animation und Musik schlägt mein Herz, ebenso wie für Aufklärung über diverse politische Themen, insbesondere Geschlechterdiversität und medizinische sowie antiableistische Gleichberechtigung.
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