Abi - und dann? / Studium

Ein-mal-eins der Archäologie. Der Versuch eines Überblicks über das Fach und seine Spezialgebiete

Wenn man mich als Studentin der Klassischen (!) Archäologie fragt, wie heiß es denn auf der letzten Grabung in Ägypten […]
| Sandra Hein |

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Calin Stan / Unsplash

Wenn man mich als Studentin der Klassischen (!) Archäologie fragt, wie heiß es denn auf der letzten Grabung in Ägypten war und wie viele Mumien wir aus dem Sand gehoben hätten, folgt meinerseits oft – sorry, Leute! – ein entrüsteter Aufschrei. Obwohl ich „Archäologie“ nun bereits einige Semester studiere, kenne ich mich nämlich mit dem Alten Ägypten nun überhaupt nicht aus. Für all die Personen, die nun gar nichts mehr verstehen – im Folgenden ein Überblick über die Vielfalt archäologischer Disziplinen in Deutschland.

„Archäologie“ – Was ist das überhaupt? Eine Definition

Archäologie, abgeleitet aus dem Altgriechischen ἀρχαῖος archaios und ‚alt‘ und λόγος lógos ‚Lehre‘ ist zu dt. wörtlich die „Lehre von den Altertümern“. Es handelt sich hierbei um eine Wissenschaft, die die kulturelle Entwicklung der Menschheit erforscht. In Abgrenzung zur Geschichte, die anhand von Schriftzeugnissen die Historie betrachtet, fokussiert sich die Archäologie dagegen hauptsächlich auf die materiellen Hinterlassenschaften der menschlichen Evolution z.B. in Form von Architektur, Handwerk oder Kunstobjekten. Der Beginn der menschlichen Kultur und damit der zu untersuchenden Zeitraumes wird auf etwa 2,5 (neuere Forschung spricht auch von 3,3) Millionen Jahren v. Chr. mit dem Eintreten der menschlichen Kultur angesetzt.

“Archäologie ist für mich keine bloße Quelle zum Illustrieren von schriftlichen Zeugnissen, sondern eine unabhängige Quelle für historische Informationen, mit nicht weniger Wert oder Wichtigkeit, manchmal eher mehr Wichtigkeit als schriftliche Quellen.”

Michael I. Rostovtzeff

Entstehung der Disziplin – oder: Warum ist die Kunde des Altertums überhaupt wichtig?

Den Beginn der „Kunde des Altertums“ markieren zu wollen, ist schwierig. Ein Interesse an der Erforschung der Menschheitsgeschichte und seines Ursprungs ist heute ebenso aktuell wie bereits in der Antike. Den Zeugnissen, in erster Linie sichtbaren Denkmälern, nahm man sich aber erst recht spät an. Verkürzt lässt sich die Entstehung des Fachs mit der parallelen Entstehung des Humanismus erklären. Diese ab dem 15. Jahrhundert aufkommende und einige Jahrhunderte nachwirkende Strömung stürzte sich durch ihr Ziel „eine klassisch-antike Gelehrsamkeit“ erschaffen zu wollen mit Neugierde auf Ruinen allerorts in Europa, insbesondere solche in Italien; speziell in Rom. Man – oder eher besser solche, die es sich leisten konnten – begann die Welt reiselustig nach Kunstschätzen zu erkunden und diese oftmals zu sammeln – heute würde man besser sagen: Sie verschleppten sie in ihre Heimat als Prestigeobjekte. Daraus folgte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung: Objekte wurden katalogisiert und in Enzyklopädien veröffentlicht, man zeichnete die noch erhaltenen antiken Bauten ab…kurz: man begann (antike) Ruinen als wertvolle Denkmäler wahrzunehmen, sie zu bewahren und zu erfassen. Zu nennen sei hier Raffael Bernard de Montfaucon (Anfang des 18.Jhs.), Verfasser des lange Zeit gültigen Standardwerks „L’antiquité expliquée et représentée en figures“, einer Enzyklopädie der Kunstgegenstände des Mittelmeerraumes. Aber auch Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), der durch sein Werk „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerei“ nicht nur den Klassizismus als neue Stilrichtung angestoßen, sondern damit zugleich die Archäologie als Wissenschaft begründet hat, sei zu erwähnen.

“Discover how to visit the past and bring yesterday’s stories into our lives today.”

Gillian Hovell, ‚Visiting the Past‘

„Gott schuf die Menschen im Oktober 4004 v.Chr.“ oder etwa doch nicht?!

Lange Zeit setzte die Bibel als Säule des von Gott gegebenen Wissens Maßstäbe – nun wurde sie mit dem Aufkommen des Interesses an antiker Kultur nach und nach buchstäblich gegen andere Säulen ausgetauscht. 1655 wurde durch die Präadamiten-Hypothese – dem Zuordnen von steinzeitlichen Funden zu Menschen – die vor Adam gelebt haben sollten, sogar die auf der Bibel zu begründende These James Usshers die Menschen seien um 4004 v.Chr. erschaffen worden, in Frage gestellt. Danach gab es kein Halten mehr: Man wollte mehr über den Menschen und seine Prähistorie wissen und das Fach der Archäologie begann sich zu etablieren. Aufgrund der nun immer weniger überschaubaren Jahrtausende und geographischen Regionen kristallisierten sich verschiedene Gebiete der Archäologie basierend auf einer Einteilung in Epochen (Archäologie der Ur- und Frühgeschichte), Regionen (Klassische Archäologie sowie Themengebiete (Unterwasserarchäologie) heraus.

„Scherben bringen Glück – aber nur dem Archäologen“ – Aber welchen Archäolog*innen genau?

In Deutschland wird die Archäologie unter dem Dachverband des global agierenden Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) gebündelt.
Dieses wurde 1829 ursprünglich als europäische Gelehrtengesellschaft von einem Freundeskreis an Wissenschaftlern, Künstlern und Diplomaten in Rom gegründet. Sie ist heute Anstalt des öffentlichen Rechts Deutschlands und führt Ausgrabungen und Forschungen im Bereich aller Archäologien durch.
Man kann hierzulande als Student zwischen einem Studium der Vor- und Frühgeschichte , der Klassischen Archäologie, der Vorderasiatischen Archäologie, der Christlichen Archäologie sowie der Ägyptologie wählen.

Bei Ersterer wird v.a. die früheste Menschheitsgeschichte, besser bekannt unter dem Namen Prähistorie, Stein- oder Eisenzeit, untersucht. Da es in diesem Fall keine schriftlichen Quellen gibt, wird rein aus den bei Grabungen gefundenen Gegenständen (Knochen, Pfeilspitzen, Pfostenlöcher, Schmuck…) unter zu Hilfenahme der geologischen Prospektionen (u.a. geologischen Untersuchungen und Feldbegehungen) heraus gedeutet. Oft vergessen wird bei der Vor- und Frühgeschichte, dass sie sich aber auch über den genannten Zeitabschnitt hinaus mit allen Bereichen außerhalb des römischen Einflusses in Europa beschäftigt d.h. den archäologischen Erkenntnissen über das Leben im frühen Mittelalter oder der Welt der Wikiniger in Skandinavien.
In der klassischen Archäologie beschäftigt man sich eingehend mit dem zeitlichen und geographischen Raum des Römischen Reichs und Griechenlands. Man untersucht antike Tempel, Amphitheater oder z.B. das alltägliche Leben der Einwohner Pompejis.
Wenn man sich jedoch immer schon einmal weiter in den ‚Nahen Osten‘ wagen wollte, sollte man sich mit den Sumerern oder Babyloniern (ja, die aus der Bibel!) im Studium der Vorderasiatischen Archäologie beschäftigen. Achtung: Gerade bei dieser Subkategorie sowie dem Studium der Ägyptologie wird ein besonderer Fokus auf das Erlernen der jeweiligen Sprachen gelegt: Akkadisch, Sumerisch, Mittelägyptisch… In der Ägyptologie beschäftigt man sich dann dem Namen nach mit dem Nildelta, dem ägyptischen Reich und seinen Pharaonen.

Solltest du, werte Leserin oder werter Leser, jetzt einen Zustand des annähernden Verständnis für diese ganzen Unterarten aufgebaut haben: Lass dir gesagt sein, dass es noch viel komplizierter werden kann… Denn in den letzten Jahren ist das Interesse am sogenannten ‚brotlosen‘ Studium der Archäologie dermaßen gesunken, dass an vielen Orten Deutschlands die Studiengänge vermehrt kombiniert und zusammengelegt werden. Dies hat den Vorteil, dass man wesentlich interdisziplinärer lernen kann – die antiken Völker hatten durch den Handel untereinander ja ohnehin Berührungspunkte – es wäre also unsinnig, diese künstliche Einteilung beizubehalten. Auf der anderen Seite bleibt bei einem Studiengang wie AKÄV (Antike Kulturen Ägyptens und Vorderasiens), wie er z.B. in Münster angeboten wird, wenig Zeit für die jeweiligen einzelnen Disziplinen (Vorderasiatische Archäologie, Koptologie, Ägyptologie, Altorientalistik).
Es bleibt abzuwarten, wie sich das Interesse an den Hinterlassenschaften der Menschheit entwickelt und mit welchen Methoden, die uns durch den technologischen Fortschritt immer mehr bereitstehen, man in 20, 30, 100 Jahren arbeiten wird.

Zum Abschluss ein paar geliehene Worte um jeden nun eventuell skeptischen Leser restlos vom Fach der Archäologie zu überzeugen:

“Every archaeologist knows in his heart why he digs. He digs, in pity and humility, that the dead may live again, that what is past may not be forever lost, that something may be salvaged from the wreck of ages.”

Geoffrey Bibby, The Testimony of the Spade

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Sandra Hein

Liebt und lebt ihr Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie samt all seinen Klischees. Dazu gehört selbstverständlich Frida Kahlo und Vincent van Gogh als seine besten Freunde zu betrachten und sich in Pompeji ohne Stadtplan problemlos zurechtzufinden ;) Als kleiner Bücherdrache ernährt sie sich hauptsächlich von Abenteuern aus den Jules-Verne-Romanen oder alten schwarz-Weiß-Krimis und möchte als neue olympischen Sportart einen Besuchs-Marathon durch alle europäischen Museen vorschlagen. Sollte der Traumjob Kuratorin nicht in Erfüllung gehen, sieht sie sich als Geist in einem schottischen Castle. Freund*innen munkeln, dass sie wahrscheinlich mehr schwarzen Ostfriesentee als Blut im Körper besitzt…

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