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Wake me up before you Indigo-go – Wie C. E. McKinley mit dem Buch „Indigo“ in eine Welt voller Farbe(n) eintaucht
Indigo, das ist doch dieses dunkle Blau, oder? Jeans und so. Ja ja, schon mal gehört. Doch das bei Hosen […]
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Indigo, das ist doch dieses dunkle Blau, oder? Jeans und so. Ja ja, schon mal gehört. Doch das bei Hosen beliebte Pigment ist nicht nur irgendein kräftiger, tiefer Blauton. Indigo ist auch das Grün der Blätter, aus denen die Farbe gewonnen wird. Ebenso ist es das Rot wie des (post)kolonialistischen Blutes, das auf den Plantagen, in der Produktion und der Verarbeitung vergossen worden ist. Und warum? Weil Indigo das „blaue Gold“ war.
Eine Farbe voller Farben
Catherine E. McKinley zeigt in ihrem Buch „Indigo“ die diversen Dimensionen einer Farbe auf. Kulturell, sozial und ästhetisch durchleuchtet sie das Pigment und seinen Einsatz. Die strukturelle Form entspricht hierbei einem Reisetagebuch, das teilweise etwas merkwürdig anmutet: Denn geprägt ist ihre Narration von einer regelrechten Obsession mit dem dunkelblau gefärbten Stoff. Diese Besessenheit scheint erstaunlich oder erschreckend ausgeprägt zu sein. Sie beschreibt sogar, wie sie um „jeden Willen“ die rituelle, generationsübergreifende und persönliche Trauerkleidung von Leuten, die sie willkürlich auf der Straße trifft, abkaufen und besitzen will und spricht die Leute dementsprechend auch relativ persistent darauf an.
Kulturelle Diversität von Farbsymboliken bei Beerdigungen
Was hat Trauerkleidung denn mit der Farbe zu tun? Trauerkleidung ist doch schwarz und nicht dunkelblau? … Schrieb ich mit der naheliegendsten rhetorischen Verwunderung, die jemals in einem Seitenwaelzerartikel ausbuchstabiert worden ist. Farbsymboliken schwanken kulturell bedingt stark. Schockierender Plot Twist. So ist in vielen ostasiatischen Ländern Weiß eine Farbe für Beerdigungen, in Südafrika dagegen Rot und in Teilen von Südamerika wiederum Violett. Genauso wird auch Indigo bei Beerdigungen getragen. Beispielsweise in Teilen von Afrika.
Diese Farben zum Verabschieden einer verstorbenen Person fußen hierbei unter anderem auf verschiedenen historisch hergeleiteten, durch Religionen beeinflussten, Vorstellungen zu einem etwaigen Jenseits oder Reinkarnationszyklus.
Zurück zum Buch: McKinley schafft mit ihrem Buch Interesse für den Produktionsprozess und die Abbaubedingungen von Pigmenten wie Indigo und ihren kolonialistischen Zusammenhang zu wecken. Der Stoff der Autorin bringt uns die Verwendung von Indigo in Stoffen nahe. Sie steckt mit ihrer Hyperfokussierung auf das Textil und die Färbung an.
Zwischen den Fäden lesen
Zudem öffnet sie mit dem Buch den Blick auf die semiotische Dimension von Textilien. Semiotik ist die vom Philosophen, Logiker und Mathematiker Charles S. Peirce mitbegründete und geprägte Zeichentheorie. Was bedeuten Bilder, was bedeuten Schilder, was bedeuten natürliche Zeichen wie Rauch? Zeichensysteme und unterschiedliche Zeichentypen sind ein Fokus der Semiotik. Gerade in Zeiten von Emojis, Gifs und Memes ist es entsprechend spannend, einen semiotischen Blick zu entwickeln. Zu unserem kulturellen Wortschatz Zeichenschatz gehören eben auch Textilien. Wie McKinley in ihrem Buch zeigt, haben gerade Muster von Stoffen dieses Zeichenpotenzial. So beschreibt sie, wie bestimmte Stoffe Bände über die Person sprechen, die sie trägt. Einige Stoffe stehen für Glück, für Geld, für unglückliche oder glückliche Hochzeiten, für bestimmte Familienverhältnisse oder auch Charaktereigenschaften. Auf diese interessante Dimension von Kleidung geht sie allerdings leider nur sehr kurz ein. Das liefert allerdings den Ansporn, mehr zu erfahren.
Die farbscheue Cassava-Pflanze
Spannend sind auch die Färbetechniken, mit denen diese Muster teilweise entstehen. Cassava zum Beispiel kennen wir als stärkehaltige Pflanze, die als Nahrungsmittel ähnlich wie Kartoffel, Süßkartoffel oder Tapioka verwendet wird. Allerdings ist auch die Verarbeitung von Cassava zu einer Paste ein Schlüssel im Färbeprozess. Sie ist wasserabweisend und so bleiben die Stellen des Textils, die mit der Paste bestrichen wurden, ungefärbt, wodurch kontrastreiche Muster entstehen. Auf den exakten, erweiterten Indigo-Färbeprozess geht McKinley allerdings nur marginal ein.
Mehr Fragen als Antworten
Bei all diesen zuvor beschriebenen Punkten kristallisiert sich ein Muster heraus: Das Buch liefert mehr Fragen als Antworten. Es bietet spannende Anknüpfungspunkte, verliert sich allerdings oft auch mitten in einem Gedanken. Es ist mitreißend geschrieben, stellenweise folgt es allerdings Gedankensträngen, die befremdlich auf mich persönlich wirken. Teilweise wirkt das Buch so, als würde die Verhältnismäßigkeit und der Realitätsbezug fehlen.
Stellenweise wirkt es so, als würde sie ihre Suche nach einem Stück Stoff über das Leben und Wirken anderer Menschen, auch Menschen, die ihr Empathie und Liebe entgegen bringen, stellen. Zu guter Letzt schürt es Erwartungen über Fragestellungen, auf die das Buch im Verlauf noch eingehen wird. Zumindest klingt es so. Diese Rückbezüge bleiben allerdings aus. Zu oft verlieren sich Themen im Nichts. Zudem werden Handlungsstränge vertieft und dann einfach vergessen. Der Prozess, wie es teilweise auch zu Sinneswandel von McKinley selbst in Bezug auf Handlungen und Werte kommt, wird lückenhaft oder nicht beschrieben. Insgesamt wirken Stellen aus dem Zusammenhang gerissen.
Das Buch emotionalisiert teilweise an merkwürdig erscheinenden Stellen und lässt einen roten Faden oder eine verbindende Geschichte mit einer Moral vermuten, gibt allerdings nur einen Ausblick darauf, ohne dieses Motiv weiterzuverfolgen. Am Anfang geht es halbherzig am Rande um Emanzipation und die Problematik von Rassismus und Kolonialismus. Auch dieses Motiv verliert sich zunehmend im Verlauf des Buches im Sand.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Es liest sich wie ein faszinierender und gleichzeitig irritierender Einblick in ein ganz anderes Gedankenmuster zum einen. Zum anderen ist es als Einstiegspunkt für die Beschäftigung mit Farbproduktion, Textilien und auch unterschiedlichen kulturellen Bezügen durchaus spannend und vermittelt immer wieder stellenweise plurale und spannende Eindrücke.
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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Alex Schmiedel
Seit 2019 unterstütze ich das Team mit Illustrationen, Gestaltung, Artikeln und einer stets schwingenden intersektionaler Feminismus-Keule. Ursprünglich bin ich jedoch als Fan des Heldenpicknicks auf Seitenwaelzer gestoßen. Meinen Bachelor habe ich in Mediendesign in Münster absolviert und nun studiere ich Medienwissenschaft im Master in Bochum und arbeite im Bereich Mediendesign. Für Interactive Fiction, Podcasts, Animation und Musik schlägt mein Herz, ebenso wie für Aufklärung über diverse politische Themen, insbesondere Geschlechterdiversität und medizinische sowie antiableistische Gleichberechtigung.
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