Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Der Schwarm (Frank Schätzing)

Überall tragen sich Unfälle mit Meerestieren zu. Wale greifen gezielt Boote an und Küstenorte werden von Krabbenschwärmen überflutet.
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Lance Anderson | Unsplash

Viele treue Seitenwaelzer-Fans werden es mutmaßlich bemerkt haben: Wir haben uns hier in den letzten Wochen anlässlich der enttäuschenden Serienverfilmung von Der Schwarm etwas mit dem Meer beschäftigt (zum Beispiel in Ecke Hansaring #256). In diesem Zuge erging auch die Aufforderung an mich, das im Jahr 2000 erschienene Buch zu besprechen. Ich habe es vor ein paar Jahren von einer Freundin geschenkt bekommen und darum noch gut vor Augen gehabt. Die Verfilmung, das kann ich schon einmal vorab sagen, macht sehr viel falsch. Konnte sie aber vielleicht auch nur scheitern? Ist das Buch wirklich unverfilmbar?

Die Handlung des Buches spielt an vielen Orten der Erde. Überall tragen sich seltsame Vorfälle mit Meerestieren zu. Wale greifen gezielt Boote an, Fischer verschwinden, große Tanker werden durch Muscheln manövrierunfähig und Küstenorte werden von Krabbenschwärmen überflutet. Anfangs gehen die verschiedenen Wissenschaftler noch von Zufällen aus, aber nach und nach wird ihnen klar, dass sich mehr hinter diesen Vorkommnissen verbirgt. Doch eine erste Katastrophe können sie nicht mehr abwenden. Fieberhaft müssen sie sich schließlich zusammenschließen, um eine zweite, noch größere, zu verhindern.

„An jenem Mittwoch erfüllte sich das Schicksal von Juan Narciso Ucañan, ohne dass die Welt davon Notiz nahm. In einem höheren Kontext tat sie es durchaus, nur wenige Wochen später, ohne dass jemals Ucañans Name fiel. Er war einfach einer von zu vielen. Hätte man ihn unmittelbar befragen können, was am frühen Morgen jenes Tages geschah, wären wohl Parallelen zu ganz ähnlichen Geschehnissen offenbar geworden, die sich zeitgleich rund um den Globus ereigneten. Und möglicherweise hätte die Einschätzung des Fischers, eben weil sie seiner unbedarften Weltsicht entsprang, eine Reihe komplexer Zusammenhänge enthüllt, die so erst später augenscheinlich wurden.“

Schätzing, Frank: Der Schwarm, 30. Aufl., Frankfurt am Main 2020, S. 11

Gerade der erste Teil des Buches ist ein raffiniert geschriebener Thriller. Auch wenn das Verhalten der verschiedenen Meeresorganismen anfangs sehr unglaubwürdig klingt, schafft es Schätzing, auf dem schmalen Grat des gerade noch Plausiblen zu balancieren. Auch die Auflösung später hält dem stand. Ab dem zweiten Teil wird es allerdings deutlich weniger originell. Zwar zeigt der Autor hier immer noch, dass er viel Routine im Genre des Thrillers hat, aber die nun auftretenden Figuren sind doch eher Abziehbilder und auch ihre Dialoge werden dem Ton des ersten Teils nicht mehr gerecht. Die Handlung bleibt zwar spannend, doch kippt ihr erzählerischer Ton von einem nüchtern-wissenschaftlichen zu dem eines Actionfilms. Dabei gerät der eigentlich sehr kluge Science-Fiction-Anteil etwas unter die Räder. Das Finale der Handlung ist dem der Serie aber immer noch haushoch überlegen. Im darauf folgenden letzten Teil kippt der Ton dann noch einmal und wird beinahe poetisch.

Ist das Buch bis zu dieser Stelle mit großem Aufwand noch verfilmbar, dieser letzte Teil ist es endgültig nicht mehr. Hier zeigt Schätzing eine beeindruckende Sprachkraft, die einen dazu anhält, den Teil in einem Zug durchzulesen. Überhaupt hat man im ganzen Buch stets den Eindruck, dass der Autor sein Handwerk souverän beherrscht. Trotzdem hätte er aus seiner wirklich spannenden Grundidee am Ende etwas mehr herausholen können. Dennoch ist das Buch auch in seinen schwächeren Absätzen sehr lesenswert und meiner Ansicht nach zurecht ein internationaler Erfolg geworden. Dass Schätzing mit der Verfilmung so unzufrieden ist, leuchtet mir jedenfalls absolut ein: Figuren wurden umgedeutet, wichtige Handlungselemente kaum oder gar nicht ins Drehbuch aufgenommen, dafür neue Elemente schlecht dazuerfunden. Gerade die flachen Dialoge und das beinahe sakrale Ende der Serie, mit einer Art Märtyrertod, stehen im genauen Gegensatz zu der sehr nüchtern-wissenschaftlichen Form des Romans.

Mit diesem Special verabschiedet sich Tatsächlich gelesen in die Sommerpause, es geht im September weiter mit den Werken von ein paar Nobelpreisträgern. Bis dahin wünsche ich allen Fans dieser Kolumne eine gute Zeit!

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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