Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Die Nibelungensage

Für diesen Monat hat sich Dominik ein Werk vorgenommen, das gut in seinen vollen Terminkalender passt. Kann die Nibelungensage auch heute noch überzeugen?
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Der Nibelungenturm in Worms. Foto: Nick | Pexels

Für diesen Monat habe ich mir ein Werk vorgenommen, das gut in meinen vollen Terminkalender passt. Denn manchmal entpuppen sich Streifzüge durch klassische Texte als verblüffend kurze Spaziergänge. Die Nibelungensage (Für Klugscheißer: Nibelungen wird auf der ersten Silbe betont! Hat sich das Skandinavistik-Studium doch gelohnt.) hat mich gerade einmal einen Nachmittag gekostet.

Das hat mich doch etwas erstaunt, habe ich doch mit der Odyssee oder der Ilias geradezu ausufernde Wanderungen gemacht, um in der Metapher zu bleiben. Aber die Länge eines Wegs sagt für gewöhnlich nichts über die Qualität aus. So haben mir einige Kurzgeschichten deutlich mehr gegeben als mancher Roman. Und bei all den Wälzern, die ich bereits besprochen habe, war es auch ganz ermutigend, mal nur ein dünnes Heft in der Hand zu halten. Aber kann dieses alte Epos mit seiner reichhaltigen Rezeptionsgeschichte auch heute noch überzeugen?

Streitereien und Prügeleien

Am Königshof in Worms lebt König Gunther mit seiner Schwester Kriemhild. Letztere entschließt sich bereits in früher Jugend, den Männern zu entsagen. Doch als der Drachentöter Siegfried um ihre Hand anhält, ändert sie ihre Meinung und verbringt mit ihm glückliche Jahre. Siegfried unterstützt mithilfe seiner Tarnkappe auch Gunther dabei, die Kriegsfürstin Brunhild zu freien.

„Als Ruhe in der Königsburg eingekehrt war, wollten auch Siegfried und Kriemhild in ihr Land reisen, was die Burgundentochter sehr begrüßte. Die drei Brüder boten Siegfried als Morgengabe für Kriemhild einen Teil ihres Landes mit etlichen Burgen an, aber Siegfried verzichtete darauf. Da begehrte Kriemhild wenigstens eine starke Gefolgschaft von Rittern, die mit ihr reiten sollten. Tausend Mann wurden ihr gewährt, doch Hagen von Tronje und Ortwin von Metz lehnten es ab, ihr zu folgen: ‚Wir sind Gunthers Mannen und wollen es bleiben!‘“

Die Nibelungensage. Siegfrieds Leben und Tod/Kriemhilds Rache, Nacherzählung von Alfred Carl Groeger, 137. Hamburger Leseheft, S. 18

Doch beide Frauen geraten über die Frage nach der Macht ihrer jeweiligen Männer in Streit. Kriemhild beleidigt ihre Schwägerin schließlich derart, dass diese den Krieger Hagen von Tronje anstiftet, Siegfried zu töten. Und das, obwohl Siegfried in der Vergangenheit nichts als Treue für seinen König übrig und das Reich vor einer Invasion der Dänen und Sachsen bewahrt hatte. Der Plan gelingt und Hagen versenkt die Schätze Siegfrieds im Rhein. Kriemhild ist trotz ihrer Stellung am Hofe nicht fähig, sich zu wehren. Doch als sie von ihrem Bruder mit dem Hunnenkönig Etzel vermählt wird, scheinen ihre Rache-Fantasien gegen die Nibelungen plötzlich zum Greifen nahe…

Leider nur bedingt empfehlenswert

Dass dies ein Text aus dem 13. Jahrhundert ist, auch wenn die Überlieferung älter sein dürfte, muss man sich vor Augen führen. Dies wird besonders in der Rollenverteilung der höfischen Gesellschaft und der damit einhergehenden Handlungsmöglichkeiten der Figuren deutlich. Aus heutiger Perspektive stechen einige mögliche Lesarten besonders ins Auge: Sei es, dass aus Täuschung – egal wie sie gemeint ist – am Ende nichts Gutes entstehen kann oder dass eine Frau auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft kaum eine andere Wahl hat, als mit der höfischen Tradition zu brechen (und dafür dann den Preis zahlen muss).

Der erste Teil hat mir sehr gut gefallen. Auch, weil ihm einige romantische Szenen und ein gewisser Humor anhängen. Wie die übermenschlich starke Brunhild ihren Gemahl in der Hochzeitsnacht beispielsweise niederringt und ihn kopfüber von der Decke hängen lässt, sodass er in der nächsten Nacht noch einmal die Hilfe Siegfrieds und dessen Tarnkappe erbitten muss, ist schon amüsant.

Doch der zweite Teil über Kriemhilds Rache ist sehr zäh. Hier werden dunkle Omen aneinandergereiht und als es schlussendlich zum Kampf mit den Hunnen kommt, wird nur beschrieben, wie Wellen um Wellen von Feinden gegen die Nibelungen branden. Nur um von diesen besiegt zu werden, ehe schließlich der Blutzoll zu groß wird. Das zu lesen ist – selbst bei einem so schmalen Werk – doch ziemlich mühsam. Die Sage bleibt auch in ihrer eigenen Haltung zum Geschehen vage. Zwar wird Hagens Mord an Siegfried als Unrecht beschrieben, gleichzeitig wird aber niemand müde, Hagen als Helden zu preisen. Da, wenig verwunderlich für einen so alten Stoff, Charakterzeichnungen ebenfalls sehr oberflächlich bleiben, habe ich mich am Ende schon gefragt: „Und nun?“

Vielleicht fehlt mir der Kontext, aber wenn es um die Frage geht, ob man einen Text auch ohne (literatur-)wissenschaftliche Vorkenntnisse rezipieren kann, muss ich das für die Nibelungensage verneinen. Kann man an einem Nachmittag mal mitnehmen, aber ob das Leben wirklich ärmer ist, wenn man es nicht tut, wage ich zu bezweifeln.

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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