Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Die Nacht vor Weihnachten und andere Erzählungen (Nikolai Gogol)

Zum Jahresabschluss etwas Besonderes. Dieses Mal geht es nicht um ein Werk oder eine Werksammlung, sondern um einen Autor: Nikolai Gogol.
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Nikolai GogolGemeinfrei

Zum Jahresabschluss etwas Besonderes: Dieses Mal geht es nicht um ein spezielles Werk oder eine bestimmte Werkesammlung, sondern um einen Autor. Nikolai Gogol (1809-1852) war gebürtiger Ukrainer und gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller russischer Sprache. In seinen Novellen schrieb er oft volkstümlich angehauchte Erzählungen, die mit fantastischen, oft schaurigen Elementen angereichert sind. Insofern habe ich mich häufig an die Werke von Ambrose Bierce erinnert gefühlt, von dem sicher auch in dieser Kolumne noch die Rede sein wird. Da Gogols Werk im Deutschen auf viele verschiedene Sammlungen verteilt ist, habe ich aus verschiedenen Geschichtenzyklen (namentlich Abende auf dem Weiler bei Dikanka und Mirgorod) einige Erzählungen ausgewählt, deren Inhalt ich hier nur mit ein paar kurzen Worten wiedergeben möchte.

Die Nacht vor Weihnachten

Der Teufel möchte sich an einem Schmied und Maler rächen und versucht diesen von seiner angebeteten Oxana fernzuhalten. Dies misslingt zwar, aber Oxana ist ohnehin zu Beginn so eingebildet, dass sie den Schmied nur zum Mann nehmen möchte, wenn er ihr die goldenen Schuhe der Zarin schenkt. Hier wittert der Teufel nun seine zweite Chance und bietet dem unglücklich Verliebten einen Handel um seine Seele an. In einer Nebenhandlung muss sich die Mutter des Schmieds, eine Hexe, mehrerer potenzieller Liebhaber erwehren, die voneinander nichts wissen und dennoch wortwörtlich in einen Sack gesteckt werden.

Der Mantel

Der Stoff dieser Geschichte ist eigentlich banal. Ein ärmlicher und engstirniger Beamter wird wegen seines alten, verschlissenen Mantels von seinen Kollegen gehänselt und lässt sich bei einem Schneider für viel Geld, das er sich zusammensparen muss, einen neuen anfertigen. Dieser wird ihm dann bei erster Gelegenheit von einem Straßendieb gestohlen. Bei der Polizei findet er keine Hilfe und stirbt kurze Zeit später. Doch damit endet die Geschichte nicht, denn sein Geist kehrt aus dem Grab zurück, um noch etwas zu erledigen.

Wij, König der Erdgeister

Ein junger Student wird eines Nachts auf dem Land von einer alten Hexe verführt, die sich auf seinen Rücken schwingt, um ihn zuschanden zu reiten. Es gelingt ihm schließlich, sie abzuwerfen und zu töten. Vor ihrem Tod verwandelt sie sich aber in ein junges, bildhübsches Mädchen. Zurück an seiner Universität wird der junge Mann dann gleich zu einem Freund seines Mentors geschickt, wo er die Totenwache für dessen Tochter halten soll. Zu seinem Schreck erkennt der Student in der jungen Frau jedoch die Hexe wieder. Neben ihrem Leichnam soll er nun drei Nächte wachen. Und bald beginnen die Gruselgeschichten, die die Bauern ihm des Tages abseits der Totenwache erzählen, hinter der nächtlichen Realität zurückzubleiben.

Memoiren eines Wahnsinnigen

Bei dieser Erzählung war ich in meinen Empfindungen gespalten. Gogol schildert hier anhand einer Innenschau des Betroffenen das Abgleiten eines Menschen in den Wahnsinn. So schrecklich der Vorgang auch ist und so beklemmend er dargestellt wird, in den immer absurderen Gedankensprüngen ist die Geschichte sogar an vielen Stellen amüsant, wobei einem das Lachen am Ende jedoch im Halse stecken bleibt.

Die Nase

Eine skurrile Geschichte, in der ein Barbier eines Morgens eine Nase in seinem frisch gebackenen Frühstücksbrötchen findet. Aus Angst, der ihm bekannte Besitzer könnte ihm Schwierigkeiten bereiten, bemüht er sich, die Nase loszuwerden, wird dabei aber von der Polizei beobachtet. Der Eigentümer der Nase hingegen entdeckt am selben Morgen ihr Fehlen. An ihrer Stelle ist die Haut völlig glatt. Als er auf der Straße jemandem begegnet, der sie zu tragen scheint, versucht er, die Zeitung und die Behörden für seine Notlage zu interessieren. Dies gestaltet sich erstaunlicherweise alles andere als einfach, zumal der Autor bis zum Schluss eine Erklärung für die seltsamen Vorgänge schuldig bleibt.

Ein wunderbarer Autor

Alle Geschichten sind in einem sehr klaren, ungekünstelten Stil geschrieben (soweit die Übersetzung aus dem russischen diesen Schluss zulässt). Meist sind die Erzähler sehr nüchtern und distanziert, brechen aber ihre Schilderungen auch mit zurückhaltender Ironie. Gogol beschreibt die Wesenszüge der Protagonisten sehr anschaulich und detailliert, wofür auch mal die Hälfte einer Geschichte herhalten muss. So ergibt sich für die Lesenden ein wunderbares Bild dieser Epoche in Russland, allerdings bleibt die eigentliche Handlung in manchen Geschichten dadurch auch verhältnismäßig kurz.

Diese Geschichten, sowie einige, die ich aus Platzgründen nicht vorstellen konnte, haben mir ausnahmslos gut gefallen. Gogol berichtet größtenteils von einer Art kleinbürgerlicher Gemütlichkeit, die die Schrecken aus Sagen und Märchen zwar verdrängt, aber nicht völlig ausgerottet hat. Dieses Nebeneinander von zivilisiertem Bürgertum und Aberglauben macht Gogols Erzählungen zu einer wunderbaren Lektüre für die dunkle Jahreszeit und einer Bereicherung für alle, die nach Poe, Bierce und Lovecraft noch nicht genug von klassischen Gruselstoffen haben.

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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