Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Lord of the Flies (William Golding)

Während des Krieges stürzt ein Flugzeug, in dem sich hauptsächlich Kinder befinden, über einer tropischen Insel ab.
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Devin Kaselnak | Unsplash

Bislang hat sich Tatsächlich gelesen vor allem mit Texten und Erzählungen beschäftigt, die mehrere Hundert Jahre alt sind. Dem gilt es hin und wieder auch einmal Abhilfe zu schaffen und so habe ich mich einem Werk zugewandt, welches vielleicht bei einigen im Englischunterricht gelesen wurde. Solche Lektürenklassiker aus der Schulzeit waren mir schon immer suspekt. Oft habe ich solche Werke im Unterricht nur mit großem Widerwillen ertragen, geht es doch häufig um staubtrockene Texte mit noch trockeneren Themen, aus denen auch der beste Lehrer keinen anständigen Unterricht schaffen kann. Lord of the Flies von William Golding (1911-1993, Literaturnobelpreis 1983) stand bei mir damals nicht auf dem Lehrplan. Was ich nach der Lektüre sehr bedauere.

Das Buch, erschienen 1954 und seitdem mehrfach, mehr oder weniger erfolgreich, verfilmt, ist eine Art düstere Abenteuergeschichte. Während des Krieges stürzt ein Flugzeug, in dem sich hauptsächlich Kinder befinden, über einer tropischen Insel ab. Alle Erwachsenen sterben bei dieser Katastrophe, die Kinder, zwischen sechs und 12 Jahre alt, bleiben alleine zurück. Nun beginnen sie, sich zu organisieren, wählen den charismatischen Ralph zu ihrem Anführer, legen Pflichten fest, wie zum Beispiel zu jagen oder ein Signalfeuer aufrechtzuerhalten. Doch schon bald beginnen Streitigkeiten unter den Kindern. Ralphs Führungsanspruch wird infrage gestellt, denn eine Gruppe von Kindern um Jack, dem ehemaligen Anführer eines Knabenchors, will statt der nötigen Pflichten viel lieber ausschließlich Schweine jagen und zieht mit dem dadurch erbeuteten Fleisch mehr und mehr der anderen Kinder auf ihre Seite. Statt Hütten zu bauen, wollen sie in natürlichen Höhlen leben und verfallen immer mehr der Barbarei, bis es zum ersten Blutvergießen kommt.

„The first rhythm that they became used to was the slow swing from dawn to quick dusk. They accepted the pleasures of morning, the bright sun, the whelming sea and sweet air, as a time when play was good and life so full that hope was not necessary and therefore forgotten. Toward noon, as the floods of light fell more nearly to the perpendicular, the stark colors of the morning were smoothed in pearl and opalescence; and the heat – as though the impending sun’s height gave it momentum – became a blow that they ducked, running to the shade and lying there, perhaps even sleeping.“

William Golding: Lord of the Flies, London 1954, Kapitel 4

Der Roman ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass man zwar kunstvoll, aber dennoch lesbar schreiben kann. Golding nutzt eine reichhaltige Sprache und viele Symbole und Allegorien, um den Versuch der Kinder, sich die Zivilisation im Angesicht ihrer Einsamkeit zu bewahren, greifbar zu machen. Kontrastiert wird dies immer wieder mit sowohl paradiesischen als auch auch schwermütigen Naturbeschreibungen, die durchaus mit den Urängsten der Menschen spielen, gerade, wenn die Dunkelheit hereinbricht. Als das Gerücht umgeht, ein großes Tier schleiche nachts durchs Unterholz, wird ein Pfahl mit einem blutigen Schweinekopf aufgestellt, um es zu besänftigen, obwohl niemand das Tier je wirklich gesehen hat. Dieser aufgespießte Kopf wird bald von Fliegen umschwärmt, woher der Roman auch seinen Namen erhält.

Der Roman versucht der Frage auf den Grund zu gehen, inwieweit Angst, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit in der Lage sind, die anerzogene Zivilisation im Menschen wieder rückgängig zu machen. Dies geschieht auf sehr eindrückliche Weise und wer sich auf der Welt umblickt, der wird schnell feststellen, dass Golding schon damals sehr genau beobachtet hat, wie dünn der Mantel der Kultur sein kann und was geschieht, wenn man ihn zerreißt. Vielleicht ist sein Werk darum so oft rezipiert worden, dass es einen festen Platz in der Popkultur behauptet, weil es den Menschen durch die Jahrzehnte immer wieder einen Spiegel vorgehalten hat. Ein wirklich lesenswertes Buch!

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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