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Einfache Portraitstudien Teil 3: Blickwinkel -Textur und Farbe fürs Zeichnenlernen
Zeichnen lernen ist schwierig? In diesem Artikel erklärt Isa wie Form, Farbe, Licht und Texturen miteinander zusammenhängen und gibt Einblicke, wie diese in Zeichnungen dargestellt werden können.
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten
Das hier ist der dritte Teil zum Thema Portraitstudien einfach und schnell gezeichnet. Nachdem wir uns im ersten Teil mit Materialien vertraut gemacht haben, ging es im zweiten Teil darum, wie Du Deinen Blick auf Licht und Form schärfst. Der dritte Teil ist eine direkte Anknüpfung und betrachtet die Frage, wie Du deine Wahrnehmung in Bezug auf Textur und Farbe schulst und welche weitreichenden gesellschaftlichen Konflikte etwas simples wie Textur oder Farbe mit sich ziehen kann.
Textur
Betrachte deine Hand. Dir fällt bestimmt auf, dass es Formen gibt, die teilweise in Regelmäßigkeiten auftauchen. So zum Beispiel feinere Hautfalten, Härchen, Poren, Schlieren und Wirbel bei Fingerabdrücken, sich kreuzende Linien an den Gelenken und die sanften Streifen am Nagelbett. Die Formen wiederholen sich und werden als eine Einheit wahrgenommen. Diese Wiederholung einer Form nennt sich Muster und es legt sich wie eine zusätzliche Betrachtungsschicht auf alle Objekte.
Oberflächenbeschaffenheit
Die Oberflächenbeschaffenheit ist allerdings nicht nur durch Muster bestimmt, sondern auch dadurch, wie glatt oder rau, matt oder glänzend, wie faserig, fellig oder fusselig etwas ist. Ebenso relevant sind Erhebungen und Vertiefungen, die sich wiederholen, beispielsweise das Auf und Ab von Baumrinde oder die kleinen punktartigen Vertiefungen in Orangenschalen.
Abstand halten oder auch nicht
Zudem unterscheiden sich Texturen durch Richtungen und Abstände. So wirken Querstreifen breiter, während vertikale Streifen länglicher und höher wirken. Dicke Streifen wirken meist gedrungener, während dünne Streifen eine Leichtigkeit und Flüchtigkeit mit sich ziehen. Nutzt Du als darstellerisches Mittel Streifen, die einer Form folgen, wie beispielsweise die Streifen ganz links und ganz rechts im BIld, entsteht einerseits der Eindruck von Dynamik, andererseits der Eindruck einer Wölbung, Vertiefung oder ähnlichen Illusionen. Du kannst also mit gezielter Wahl eines Musters auch beeinflussen, wie räumlich deine Zeichnung wirkt. Dabei liegt es bei dir, damit zu spielen und es gezielt einzusetzen: In manchen Fällen ist ein verstärkter Räumlichkeitseindruck erwünscht, in anderen nicht. In diesem Kontext spielt das Wort „flach“ (auch oft in der englischen Version „flat“ verwendet) im Design und in Illustrationen eine Rolle. Denn flach wird in diesem Kontext als bewusste, positive konnotierte Reduktion verstanden: Man nimmt bewusst Räumlichkeit, Hierarchien, teilweise auch Detailreichtum und Schattierungen raus, um einen minimalistischen, klaren Look zu erhalten. Der krasseste Gegensatz dazu wäre wohl ein Trompe-l’œil (französisch für: Täuschung des Auges), bei dem geschickte räumliche Illusionen erschaffen werden, die so wirken sollen, als kämen die Inhalte eines Bildes der:dem Rezipient:in entgegen.
Texturbeispiel Haare
Ein weiteres Beispiel für Texturen, welches gerade bei Portraitstudien relevant wird, sind Haare: Sie können schnurgerade und glatt sein, wellig, lockig oder auch kraus. Es ist ähnlich wie mit einem Stück Draht, dass in verschieden engen Spiralformen vorliegen kann, nur leicht gebogen oder glatt ist.
Kategorisierung
Es gibt sogar extra das vielgenutze Konzept einer Tabelle für Haartypen von Andre Walker, das „Andre Walker Hair Typing System“, die die Textur von Haaren von 1a bis 4c von glatt nach kraus kategorisiert und Tipps zur jeweiligen Pflege und Behandlung gibt). Diese Kategorisierung ist aus dem Bedürfnis von BiPoc & BPocs entstanden, Haartypen besser und umfassender abzubilden und Lösungen für die Ansprüche des jeweiligen Haartyps zu finden.
Trauter Postkolonialismus?
Haartexturen sind hierbei übrigens durchaus kontrovers. In vielen Fällen gibt es in Europa, Asien und (Nord)amerika den Druck, möglichst glattes oder maximal leicht gelocktes Haar zu haben. Mit einher geht in Bezug auf Europa und Nordamerika ein kolonialistisch geprägtes Schönheitsideal. Zudem herrscht die von Rassismus geprägte Idee, dass bestimmte Haartypen professioneller wirken oder ein Zeichen von Klugheit und Vorbildlichkeit seien und das glattes Haar inhärent gepflegter sei als krauses.
Der Teufel steckt im Detail
So etwas einfaches und von Geburt an gegebenes wie die Beschaffenheit deiner Haare wird entsprechend, teils bewusst, teils unbewusst, als Ausschlusskriterium genutzt. Es dient auf mehreren Ebenen der Ausgrenzung und Abwertung: Intellektuell, beruflich, ästhetisch und in puncto gesellschaftlicher Teilhabe. Das Beispiel zeigt, wie oft alltägliche Vorurteile sich unsichtbar in unser Leben einschleichen.
Für eine Person, die diese Diskriminierung nicht erfährt, wirken diese kleinen Punkte oft nebensächlich oder teilweise lächerlich. Befasst man sich allerdings tatsächlich und ernst damit, stellt man fest, dass es ein Privileg ist, sich diese Fragen einfach nicht stellen zu müssen und dass sie alles andere als nebensächlich oder lächerlich sind. In der Summe können sie Leben prägen und den Verlauf von Karriere, Familienplanung, Bildung, Chancen, Gesundheit und auch schlichtweg Überleben beeinflussen.
Keine Haarspalterei
Auch unsere momentane Wirtschaft nutzt und repliziert diese Prinzipien und verstärkt mit der Darstellung von Menschen auf Produkten oder in Werbung in Medien unsere Ideen und Assoziationen. Neben diesem medialen Aspekt, können wir uns auch die Produkte selbst anschauen. Die meisten konventionellen Drogeriemärkte in Deutschland beispielsweise bieten Hunderte an „verschiedenen“ Haarpflegeprodukten an, die allerdings (fast) ausschließlich für glatte bis lockige Haartypen konzipiert sind und für krauses Haar nicht geeginet sind.
Oberfläche: Mehr als nur ein oberflächliches Thema
Allein schon das Wort „kraus“ zeigt unser Bias auch auf sprachlicher Ebene: Kraus wird anders als lockig oder glatt meist negativ assoziiert und in Verbindung mit Zerzaustheit, Trockenheit, Sprödheit und Ungepflegtheit gesetzt.
Textur ist also ein vielschichtiges Thema mit weitreichenden Implikationen sowohl für Illustrationen als auch Gesellschaft und Politik.
Beim Zeichnen gilt allerdings: Beobachten ist alles. Schau, welche Muster bei dem Objekt Deiner Wahl vorliegen. Betrachte das Objekt aus der Ferne und vom Nahen, bewege es in deiner Hand oder schau es dir aus verschiedenen Winkeln an. Du wirst sehen, dass die Textur Auswirkung auf die Gesamtform deines Objektes hat. Eine flauschige Textur rundet Ecken ab und lässt eine Form insgesamt weniger hart erscheinen.
Ebenso wirkt sich die Textur auf das Verhältnis von Licht und Objekt aus. Eine matte Oberfläche schluckt mehr Licht als eine glatt polierte, in der man sich spiegeln kann und in der sich Licht reflektiert.
Textur wird noch von einem weiteren Faktor beeinflusst und das ist die …
Farbe
Objekte können, beeinflusst durch ihre Form, Textur und Position beziehungsweise Winkel und Licht unterschiedlich verhandeln. Licht kann absorbiert, also aufgenommen, oder reflektiert, also zurückgeworfen werden. Licht hat Wellenform und diese kann ganz unterschiedlich sein. Bricht sich Licht also an einem Objekt, werden nur bestimmte Wellen zurückgeworfen.
Unser Auge (✨thanks, evolution✨) nimmt diese verschiedenen Teile des Wellenspektrums wahr. Die Unterschiedlichkeit drückt sich für uns in Form von Farben aus. Natürlich gibt es ebenso auch Formen von Farbenblindheit, die zu einer veränderten Farbwahrnehmung führen.
Farben werden gerne als absolutes Konzept betrachtet. Als Kinder lernen wir: Es gibt rot, gelb, blau, grün, orange, schwarz, weiß, lila, braun, rosa und so weiter. Hierbei treffen physikalische Faktoren wie Lichtbrechung mit sozialen Vorstellungen und Kategorisierungen zusammen. Farben entziehen sich oftmals im Alltag dem Konzept der Objektivität. Wie kann sichergestellt werden, dass das Blau, welches ich sehe, das selbe Blau ist, wie das, was du siehst?Unser Auge verfügt über verschiedene Rezeptortypen, damit wir Farbunterschiede wahrnehmen können. Allerdings gibt es ebenso auch veränderte Farbwahrnehmung wie beispielsweise Farbenblindheit oder partielle Farbenblindheit wie Rot-Grün-Schwächen. Je nach Lebensabschnitt ist unsere Farbwahrnehmung auch unterschiedlich ausgeprägt. Zudem kommt hinzu, dass der Begriff Farbe sowohl verwendet wird, um physikalische Abschnitte im Wellenspektrum des Lichtes zu benennen, als auch unser gesellschaftliches Farbbewusstsein.
Die Entwicklung eines Bewusstseins für Farbe ist ein kulturgeschichtlicher Prozess. Die Einteilung in verschiedene Farbnamen und Kategorien ist also historisch bedingt und unterscheidet sich teilweise sogar maßgeblich. Es gibt beispielsweise Farben, deren Differenzierung bereits länger vorliegt als andere. So hatten viele frühere Kulturen Begriffe für hell, dunkel und schließlich rot. Darauf folgte ein Begriff für blau und grün gemeinsam sowie die Ausdifferenzierung von weiß und gelb. Gelb entlehnt sich etymologisch gesehen einer Sprachwurzel für hell und glänzend, indiziert zunächst also Helligkeit und nicht Farbton. Die Differenzierung zwischen Grün und Blau ist auch etwas, was sich erst mit der Zeit entwickelt hat. Teilweise labeln wir Grün- und Blautöne immer noch unterschiedlich: Manche Farben, die wir in Deutschland eher als Grüntöne bezeichnen würden, sind in Russland eher den Blautönen zuzuordnen.
Die Art, wie wir Farben labeln ist teilweise also arbiträr. Die Ausdifferenzierung von Farbnamen ist schließlich auch an eine Frage nach der Notwendigkeit dafür gebunden. Während sich unter Winzer*innen, Weinkenner*innen und Sommeliers*ièren, die Unterteilung verschiedener Rottöne als nützlich erweist und zwischen Bordeaux und Burgunder unterschieden wird, kennen einige Inuitstämme über 30 verschiedene Nuancen von Weiß. Wenn wir die Farbe Braun betrachten, so wirft sie die Frage auf: Warum haben wir einen eigene Begriffe für Helligkeitsnuancen bestimmter Farben, für andere aber nicht? Kaum jemand spricht von Dunkelorange, denn das, was ein dunkles Orange ist, registrieren wir als Braun. Ein helles Rot? Das ist für uns Rosa.
Wogegen ein helles Blau für die meisten einfach ein Hellblau bleibt und ein dunkles Blau in den wenigstens Fällen tatsächlich als Indigo, Marine oder Petrol bezeichnet wird.
Das erlebte Konzept Farbe unterscheidet sich also funktionsbedingt.
Umso praktischer also, dass es im Bereich der Kunst, Illustration und Malerei ein einfaches System gibt, nachdem man Farben mischen kann: Man benötigt die drei Primärfarben rot, gelb und blau sowie weiß zum Aufhellen von Farben. Statt reinem Schwarz empfehle ich zum Abdunkeln der Farben dunkle Braun- oder Blautöne zu mischen und je nach Bedarf hinzuzufügen. Falls dies zu Beginn zu aufwändig ist, kann Dunkelbraun und Dunkelblau bereits vorgemischt als Stift oder Farbe hinzugenommen werden.
Was also Farbe betrifft, gilt es in Bezug auf Portraitmalerei auch das Bewusstsein zu schulen. Das bedeutet einerseits, Farbe bewusster zu betrachten, zu beginnen darüber nachzudenken und andererseits die erlernten Muster teilweise zu dekonstruieren.
Versuche ab und zu deinen Kopf auszutricksen und die Wahrnehmung von Farben wie “braun”, “schwarz”, “weiß”, “rosa” und einfaches “rot” abzuschalten. Stattdessen schau dir die Dinge genau an, denen du eine dieser Farbkategorien zuordnest.
Frag nicht, welche Farbe es dem Namen nach ist, sondern aus welchen der Grundfarben die Farbe gemischt wird und zu welchen Anteilen. Ist dieses Schwarz der Hose wirklich schwarz? Oder handelt es sich um ein sehr, sehr dunkles Blau? Und was für ein dunkles Blau ist es? Ein reines blau? Oder hat es vielleicht einen sanften Rot- oder Gelbanteil, der es etwas violetter oder grünlicher aussehen lässt?
In einem zweiten Schritt kannst Du dir auch die Frage stellen, wie hell oder dunkel die Farbe ist. Wenn Du diese Betrachtungsübung damit kombinierst, ab und zu Farben zu mischen und zu versuchen, genau die Farbanteile, die Du in dem Objekt erkennst, auch zu einer Farbe zu mischen, schult sich dein Blick und deine Fähigkeit Farbe darzustellen.
Für Portraitstudien besonders wichtig ist auch die Fähigkeit, Farbe zu mappen, also quasi eine Farbkarte zu erstellen. Betrachte Gesichter: Du wirst feststellen, dass einige Gesichter andere farbliche Untertöne haben als andere. Und selbst ein Gesicht, ist nicht überall gleich gefärbt. An einigen Stellen, ist das Gesicht rötlicher, gelblicher oder bläulicher. Das hängt beispielsweise mit der Durchblutung und der Verteilung von Knochen, Fett und Muskeln zusammen. Egal ob helle oder dunkle Haut: Untertöne spielen mit in die Hautfarbe rein.
Nimm dir die Zeitschriften von Ebene, bei denen Du schon Formen angemalt hast. Schau dir die Fotos an. Versuche Stellen zu lokalisieren, die etwas anderes gefärbt sind als der Rest des Gesichtes. Siehst Du beispielsweise etwas stärker durchblutete, rote Ohren? Siehst Du bläulich schimmernde Augenringe? Ist die Haut neben dem Mund etwas gelblicher? Oder die Oberlippe etwas bläulicher von einem Bartstoppel?
Markiere, was dir auffällt mit bunten Stiften und lerne Muster zu erkennen: Welche Regelmäßigkeiten oder Variationen kannst Du feststellen?
Hinzu kommt, dass sich mit der Lichtsituation, der Textur und der Umgebung, unsere Wahrnehmung von Objekten in Bezug auf Farbe verändert. Stell dir einen Löffel aus Metall vor. In ihm spiegelt sich die Umwelt: Fällt direktes Licht auf ihn, wirkt er heller und glänzender. Du erkennst Farbsprenkel deiner Küche und deines Oberteils wieder. Trägst Du grün, erscheint der Löffel grünlicher. Betrachtest Du ihn im Sonnenuntergang, erscheint der Löffel plötzlich orangerot.
Die Farbe von Objekten ergibt sich in Bezug auf Malerei also aus ihrem Kontext und ist unabdingbar mit Form, Licht und Textur verwoben.
Schau dir nochmal das Objekt an, das Du Dir im zweiten Teil zur Hand genommen hast: Siehst Du den Apfel oder Omas Zahnprothesen immer noch im selben Licht?
Diese vorangegangenen vier Blickwinkel (Licht, Form, Textur und Farbe) dienen als Unterstützung, um Portraitstudien richtig anzugehen. Doch wie lassen sich diese Erkenntnisse und Betrachtungsweisen handwerklich geeignet aufs Zeichen übertragen?
Die Antwort folgt im nächsten Teil, wenn es um einige Techniken des Zeichnens geht.
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Alex Schmiedel
Seit 2019 unterstütze ich das Team mit Illustrationen, Gestaltung, Artikeln und einer stets schwingenden intersektionaler Feminismus-Keule. Ursprünglich bin ich jedoch als Fan des Heldenpicknicks auf Seitenwaelzer gestoßen. Meinen Bachelor habe ich in Mediendesign in Münster absolviert und nun studiere ich Medienwissenschaft im Master in Bochum und arbeite im Bereich Mediendesign. Für Interactive Fiction, Podcasts, Animation und Musik schlägt mein Herz, ebenso wie für Aufklärung über diverse politische Themen, insbesondere Geschlechterdiversität und medizinische sowie antiableistische Gleichberechtigung.
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