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„The Raid 2“ – Daniels Tops – Brachial berauschendes Blutbad
Undercover und mit dem Rücken zur Wand zieht Iko Uwais eine atemberaubende Blutspur quer durch Jakarta.
Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten
WARNUNG
Diese Review enthält Bilder und Beschreibungen brutaler Gewalt aus
The Raid 2.
Einleitung
Der Mann kniet auf dem Boden. Vor seinem Grab, welches gerade auf dem Feldweg entstanden ist. Sein Mörder gestattet ihm einige flehende Worte, bevor die Schrotflinte Gehirnmasse und Blut verteilt. Das Krachen ist noch zu hören – Schnitt, Stille: The Raid 2.
2011 verzückt der blutige The Raid aus Indonesien Action-Fans weltweit. Aus einem minimalen Budget zaubert das unbekannte Regie-Talent Gareth Huw Evans ein Meisterwerk intensivster Kampfkunst und Gewalt. Auch Hauptdarsteller Iko Uwais ist damals noch ein unbeschriebenes Blatt – heute gehört er zu DEN Action-Stars überhaupt.
2014 setzt The Raid 2 neue Maßstäbe des Action-Kinos. Aber eigentlich hätte diese Fortsetzung bereits der erste Teil sein sollen. Eigentlich wollte Gareth Evans zunächst eine Dokumentation über die Kampfkunst Pencak Silat drehen, daraus wurde 2009 allerdings sein erster Spielfilm Merantau. Weil es für sein nächstes großes Projekt noch keine Sponsoren gab, entstand der Vorgänger quasi als Promo-Kracher.
Eine bittere Erkenntnis
The Raid 2 setzt dort an, wo sein Vorgänger aufgehört hat. Jener macht seiner Tagline „1 minute of romance, 99 minutes of carnage“ alle Ehre, was das brutale Gekloppe im Hochhaus so genial macht. Seine Fortsetzung ändert den Ton und ist ein vielschichtiger Crime-Thriller mit Action der absoluten Extraklasse.
Jakarta – Indonesiens Hauptstadt – versinkt in einem Moloch aus Kriminalität und Korruption. Deswegen erhält Polizist Rama den Auftrag, sich in das organisierte Verbrechen einzuschleusen und dreckige Uniformen zu überführen. Allerdings nicht ganz freiwillig, denn als Zeuge der Verbrechen im Vorgänger wünschen viele Leute seinen Tod – selbst aus den eigenen Reihen. Und das gefährdet Ramas Familie. Dort steht also unser Krieger, eine Pistole auf seine Brust gesetzt – und folgt seinen Befehlen.
It´s Not Over Yet.
2 ½ Stunden kämpft sich Iko Uwais quer durch Jakarta. Manchmal mit Köpfchen, oftmals nur mit bloßen Fäusten. Von allen Seiten umzingelt, keine Freunde zur Hand. Zweckgemeinschaften fallen einem zeitig in den Rücken. Auf sich alleine gestellt muss Rama überleben – und daher alles töten, was ihm im Weg steht.
Solch eine Laufzeit ist für einen Action-Streifen mehr als außergewöhnlich. Aber The Raid 2 schafft es, neben einer Menge fantastischer Kämpfe auch eine packende Geschichte zu erzählen. Es geht um zwei kriminelle Parteien, die eine Stadt beherrschen und seit über zehn Jahren den Frieden wahren. Es geht um eine dritte Seite, welche mit aller Gewalt ein Stück vom Kuchen haben möchte. Es geht um ein kaputtes System sowie ranghohe Persönlichkeiten, die durch und durch verdorben sind.
Wir sind alle nur Teil eines verdammt großen Spinnennetzes.
Während einem das Blut durch die Adern rast, bedarf es mehrerer Sichtungen, um alle Verbindungen und Details zu entdecken, wer denn jetzt mit wem wo was plant. Jederzeit besteht die Gefahr, dass Rama als verdeckter Ermittler auffliegt. Seien es Wanzen, die ohne sein Wissen in seiner Kleidung verbaut sind, korrupte Cops oder einfach der pure Zufall – man steht im wahrsten Sinne des Wortes vor seinem finalen Grab.
Rama. Undercover namens Yuda. Iko Uwais ist ein Meister des Silat, einer traditionellen Kampfkunst des indonesisch-malaiischen Archipels. Was der Mann an Physis und Energie anbietet – Wahnsinn! Was The Raid 2 allerdings auszeichnet, ist die Motivation seines Protagonisten. Aus Angst um seine Familie und sein Leben muss er sich auf ein böses Spiel einlassen. Jenes kostet ihn nicht nur den Glauben an seine Prinzipien, sondern auch Jahre seines Lebens. Am Ende kommt Rama zu der einen wichtigen, der entscheidenden Erkenntnis: Jeder hat Dreck am Stecken!
Rama steht alleine im Regen. Gute Polizisten werden verraten, böse Kriminelle werden belohnt. Das System ist kaputt und verwendet ihn nur als Marionette – es ist keineswegs geplant, ihm jemals sein Leben zurückzugeben. Jede Handlung, jede weitere Eskalation der Gewalt, basiert auf dieser bitteren Tatsache. Nur er selbst kann sein Schicksal ändern, getrieben von Verzweiflung. Rama hat das Blutvergießen nicht begonnen, aber er wird es beenden. Weil er es muss!
Hammer-Girl, Baseball Bat Man & Co.
Jeder Action-Held hat seine Gegner. Neben einer Menge namenloser Schergen gibt es den einen Oberbösewicht sowie oftmals dessen Sidekick. Aufgrund seiner Laufzeit von 2 ½ Stunden hat The Raid 2 gleich eine ganze Hand voll ernstzunehmender Gegner. So erscheint Bangun aufgrund seiner besonnen Art durchaus sympathisch, aber das kriminelle Oberhaupt lässt jeden entsorgen, der seine Grenzen nicht kennt. Sein Sohn Uco steht im Schatten seines Vaters, allerdings stellt sein unbeherrschter Wille nach Macht eine unkalkulierbare Gefahr dar.
Sie sind jetzt in meiner Welt.
Die Goto-Familie ist jene zweite Macht in Jakarta, welche bisher den Frieden wahrt. Und Bejo möchte die ganze Stadt übernehmen. Viele Leute und noch mehr Interessen. Sprechen wir also besser über Menschen mit simplen Jobs – wahrhaftige Todesengel:
- Hammer-Girl trägt stets Sonnenbrille und ist taubstumm. Oftmals dienen Frauen nur als zu rettende holde Maid für den Action-Helden. Daher ist es schön, dass hier eine Dame mit Klauenhämmern einen ganzen Zug zum Bluttransporter machen darf.
- Baseball Bat Man schickt seine Gegner mit metallischem Klacken oder einem gezielten Ball ins Jenseits. Normalerweise sind Baseballschläger in Action-Streifen ein stumpfes Werkzeug, hier gerät das brutale Schlagen zur ästhetischen Kunst.
- The Assassin bevorzugt seine Karambit Messer, um seine Gegner in blutige Fetzen zu schneiden. Seine finale Konfrontation mit Rama dauert über S I E B E N Minuten – und gehört zu den besten Fights aller Zeiten.
Schön ist zudem der Auftritt von Mad Dog aus The Raid. Sein Auftragsmörder heißt zwar hier Prakoso, aber weil der Mann so gut kämpft, durfte er einfach noch einmal auftreten. Nachdem er auf der Straße quasi nebenbei einen Auftrag erledigt, greift er in seiner Action-Sequenz alles, was gerade zur Hand ist. Und das endet in einem Club aus Leichen.
Blutiger, brutaler Realismus
In den USA werden nur selten Filme beanstandet, welche von der MPA (Motion Picture Association) geprüft werden. Wenn sind es höchstens Werke mit sehr expliziter Sexualität oder extrem verstörende Streifen. Den Sektor Action trifft es fast nie, Gewalt stellt in Amerika kaum Probleme dar. Erwischt hat es in den letzten Jahren nur Universal Soldier: Day of Reckoning – und wer den uncut gesehen hat, der weiß warum – sowie The Raid und The Raid 2. An den massiven Gewaltakten störte sich die amerikanische Freigabebehörde dann doch. In Deutschland gab es zumindest für die Fortsetzung ungekürzt eine FSK 18 – verwunderlich, aber ebenso erfreulich.
Überall in der Stadt häufen sich die Leichen.
Sterben bei den Avengers eine Unmenge Menschen, findet dies wenig graphisch statt. Ballert John Wick den Bösen blutig die Rübe weg, haben sich viele Zuschauer mittlerweile daran gewöhnt. Wenn aber jemandem über eine gefühlte Ewigkeit das Gesicht auf einer Herdplatte verbrannt wird, man es brutzeln hört und Rama angewidert wegschaut, bis die Schreie verstummen und das Opfer im Todeskampf nur noch zittert, dann läuft es selbst Hartgesottenen eiskalt den Rücken herunter.
Was The Raid 2 so brutal und verstörend macht, ist der Hang zum Realismus. Geht es um Leben und Tod, gibt es keine Regeln mehr. Dann greift man eben zur abgebrochenen Flasche und rammt sie dem Feind so lange in den Hals, bis er keine Gefahr mehr darstellt. Für einen Großteil des ans zahme Mainstream-Kino gewöhnten Publikums ist diese enorme Härte einfach zu viel. Während einer gemeinsamen Sichtung etwa wurden einige meiner erwachsenen Kollegen immer stiller und schockierter. Dieses Schlachtfest steigt auf einem Gewalt-Level ein, welches viele Streifen nicht einmal ansatzweise beim Climax erreichen.
Atemberaubender Krieg
So sehr The Raid 2 als Werk zu empfehlen ist, man muss mit ausufernder Gewalt und verstörender Härte rechnen – und sie auch vertragen. Wer das kann, wird bei den handgemachten Wunden und besonders den kreativen Fights mit der Zunge schnalzen. Von Choreographien möchte ich kaum sprechen, denn Konfrontationen sind stets ein Kampf auf Leben und Tod.
Jede massive Action-Sequenz kündigt sich mit einer Nahaufnahme an – einem fokussierten Detail. So stellt eine kleine Schraube, welche nach und nach aus ihrer Position geschlagen wird, den Startschuss dar. Landet sie mit einem – gut hörbaren – Klacken auf dem Boden, fliegt wenige Sekunden später die Tür auf und der erste brutale Kampf beginnt.
So etwas wie einen sauberen Krieg gibt es nicht.
Regisseur Gareth Evans zeigt uns Gewalt in all ihrer Schonungslosigkeit – aber irgendwie auch Schönheit und Faszination. Alleine im Gefängnis werden nebenbei Köpfe zertreten, Kiefer zerteilt oder einfach so die Innereien zerstochen. Sowas passiert eben, wenn Feinde einander vernichten wollen. Generell ist die einer One-Take ähnelnde Sequenz im Schlamm des Hofes eine DER besten Action-Szenen aller Zeiten. Erst als die Spannung auf dem Höhepunkt ist, bricht das pure Chaos los und der Matsch färbt sich blutrot. Was folgt sind Minuten, in denen man sich vor Fäusten duckt, Messern ausweicht und einfach nur am Leben bleiben möchte.
In The Raid 2 wird alles zur Waffe umfunktioniert. Hier strukturieren Hämmer gewaltsam Menschen um, Spitzhacken treffen Köpfe und wenn gerade nichts zur Hand ist, dann schlägt man dem Gegner den Schädel eben so lange auf den Boden, bis nur noch Brei übrigbleibt. Hier tut selbst das Zuschauen schon weh! Wenn ein Großteil der Geschichte erzählt ist, kann man bei den letzten 60 Minuten fast nur noch von Aktion und Reaktion sprechen. Es ist eine Stunde quasi nonstop Action – die totale Eskalation!
Sie enden alle am gleichen Ort, im gleichen tiefen Gewässer.
Die Kamera fängt alle abwechslungsreichen Kämpfe – trotz all der Hektik – gekonnt und dynamisch ein. Während der grandiosen Verfolgungsjagd etwa kämpft Rama auf engstem Raum – dem Rücksitz eines Autos, um genau zu sein. Und die Kamera folgt der Szenerie von Fahrzeug zu Fahrzeug – komplett verrückt, total beeindruckend! Dabei hält Gareth Evans eine Einstellung bis zum absoluten Maximum und versaut das Talent seiner Kampfkünstler nicht mit Schnitten oder Gewackel.
Im Gegensatz zum Vorgänger nutzt The Raid 2 jede Gelegenheit, Weite zu erzeugen. Zu Beginn gibt es eine lange Aufnahme eines Feldwegs, Aussichten von Wolkenkratzern und Charaktere treffen sich an einem See – wo man angelt und Leichen entsorgt. Diese optische Distanz sorgt für die nötige Ruhe, bevor es im Sturm wieder sehr nah dran Menschen zerlegt. Auch die Musik passt sich diesem Schema gekonnt an.
Takt der Gewalt
Bricht das Chaos los, kündigen Trommeln das drohende Unheil schon dumpf grollend an, bevor sie der Gewalt quasi einen Takt vorgeben. Oftmals wirkt es so, als ob jene simplen und sich wiederholenden Töne als eine Art Metronom funktionieren. Sie pushen die Krieger und das Adrenalin, ohne zu aufdringlich zu sein. Im Kontrast dazu steht klassische Musik, welche ruhige Momente untermalt. Bekommen wir etwas Zeit zum Durchatmen, spielt vielfach ein Klavier. Gönnt uns der Film eine Pause, lässt uns auch der Score ein wenig den Puls senken. Danke dafür!
Das Sound Design von The Raid 2 ist besonders fein. Wie zu erwarten krachen Knochen, spritzt Blut und schreien Menschen – was alles noch intensiver macht. Es sind aber die kleinen Szenen, welche Charaktere erst menschlich machen. So telefoniert Rama nach Jahren mit seiner Frau. Sobald er wählt, verschwimmt die laute Musik im Hintergrund und wir besinnen uns auf das Wesentliche. Rama möchte gar nicht mit seinem jungen Sohn sprechen, sondern ihm einfach nur beim Spielen zuhören. Jene unbedarften, fröhlichen Geräusche eines Kindes geben dem Vater Kraft – und berühren mich jedes Mal erneut. Es sind nur wenige Sekunden, aber für sie lohnt es sich zu kämpfen.
Zusammenfassung
The Raid 2 fordert den Zuschauer. Seien es die Laufzeit, extreme Gewalt oder eine komplexe Geschichte. Aufgrund seiner famosen Fights und atemberaubenden Inszenierung gehört dieser Kracher definitiv zu den besten Action-Streifen aller Zeiten. Und als Gesamtkunstwerk mit seinem Realismus, nahbaren Charakteren sowie seiner Spannung pumpt der Film das Adrenalin nur so durch die Adern. Deswegen gehört dieses brachial berauschende Blutbad zu meinen ganz persönlichen Tops.
Wenn du raus willst, musst du sie fertigmachen. Aber alle!
Dort steht er nun, unser Krieger. Das Ende von 2 ½ Stunden absoluter Eskalation. Rama atmet schwer, Blut tropft von seinem Gesicht. Vor ihm steht eine neue Horde von Gegnern. Den Dialog können wir nur erahnen, denn sanft beruhigend untermalt ein Klavierstück – Nine Inch Nails von 13 Ghosts – die Szenerie. The Raid 2 endet mit einer Entscheidung. Und das Ende ist wie der Beginn eine Botschaft.
Ich bin raus!
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Eine Review aus der Reihe „Daniels Tops“: The Raid 2.
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… schreibt vor allem über Filme. Arbeitet in der „Presse und Kommunikation“ und unterstützt daher mit entsprechendem Know-how.
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