Kultur und Medien / Rezension

Tiefkühltruhentod im Hochsommer: „Mein Lieblingstier heißt Winter“ – Ferdinand Schmalz

Es ist eine skurrile Geschichte von der eigenen Todessehnsucht: Der Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht, der nicht nur die „Schlichtheit in Person“, […]
| Laura Klöppinger |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Polina Tankilevitch | Pexels

Es ist eine skurrile Geschichte von der eigenen Todessehnsucht: Der Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht, der nicht nur die „Schlichtheit in Person“, sondern auch „Klimawandelleugner“ ist, bekommt einen kuriosen Auftrag: Sein krebskranker Stammkunde, Herr Schauer, der stets nur Schlichts Rehragout kauft, will sich von ihm in einer Tiefkühltruhe einfrieren lassen. Als er zum vereinbarten Treffpunkt nicht auftaucht, begibt sich Schlicht auf die Suche nach dem verschwundenen Mann. Dabei begegnen ihm äußerst merkwürdige Figuren, die alle auf kuriose Weise mit dem Verschwinden zusammenhängen. Schmalz‘ Roman ist nicht nur ein Spiel mit unseren Erwartungen, sondern auch ein Spiel mit der Sprache: experimentell, kreativ und philosophisch.

Ohne Umschweife teilt Doktor Schauer ihm nun mit, dass er sich heute noch das Leben nehmen wird. Dass er drei Schlaftabletten schlucken wird, um sich dann in den Eisschrank reinzulegen. Weil das Erfrieren bei langsam schwindenden Bewusstsein doch die angenehmste Weise sei zu sterben.

Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter (2021)

Mein Lieblingstier heißt Winter war zunächst eine Kurzgeschichte, die Schmalz drei Jahre später zum Roman ausschrieb. Auf komische und makabre Weise setzt sich der Gewinner des Bachmann Preises 2017 mit dem Tod auseinander, sodass sich einem an vielen Stellen die Nackenhaare sträuben: Wer mag es schon zu lesen, wie es ist, lebendig begraben zu werden oder gar lebendig auf dem Seziertisch zu landen?

Spürt jetzt, dass er ganz nackt, dass er auf etwas Kaltem aus Metall grad liegt. […] Und hört jetzt er, der Schlicht, hört ein Geräusch, das ihm bekannt. Ein Knarzen, das durch lange Gänge näher rückt. Gummi auf Linoleumböden. Das ist der Tulp. Immer lauter wird das Knarzen, bis der Tulp da am Seziertisch steht, auf dem der Schlicht liegt aufgebahrt.

Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter (2021)

Typen für die Bühne

Es wundert nicht, dass Schmalz normalerweise Theaterstücke schreibt, so wirken seine Figuren für die Bühne bestimmt. Charaktere wie einen Nazichristbaumschmuck-Sammler oder einen Ingenieur, der sich in seiner eigenen Wohnung einmauert: Es wäre hoch amüsant, diese im Theater zu sehen. Der allwissende Erzähler führt typenhafte Charaktere mit Namen wie „Schauer“ oder „Bitter“ ein, – so banal – sie könnten der*die Nachbar*in von nebenan sein. Ebenso typenhaft wie die Namen im Roman ist sein eigener. Ferdinand Schmalz heißt in Wahrheit Matthias Schweiger.

Sprache als Experiment

Genauso wirr wie die Handlung ist die Sprache im Roman: eine gebrochene Syntax – verdrehte Sätze, Satzumstellungen. Stellenweise fällt es schwer, das Geschehen aus dem dichten Text auszumachen – dicht, indem er auf direkte Rede verzichtet. Um zu begreifen, was gerade geschieht, muss man eben genau lesen, denn beim Überfliegen einzelner Sätze könnte man schon wichtige Details missen.

Ernüchterung für Krimifans

Der Tod in der Tiefkühltruhe – ein Seziertisch, auf dem Leichen zu Forschungszwecken zerfleddert werden: Das Sterben wird bei Schmalz zu etwas Sterilem. Mein Lieblingstier heißt Winter ist ein Buch für diejenigen, die Lust auf ein Sprachexperiment und schräge Typen haben. Echte Krimifans, die auf der Suche nach haarsträubender Spannung sind, lässt der Roman vermutlich eher ernüchtert zurück, bleibt doch am Ende mehr Witz als Spannung. Als eher ungeduldige*r Leser*in wartet man doch zu oft darauf, dass endlich etwas geschieht und man vorankommt in Schmalz‘ Sprachwirrwarr.

Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter, S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. ISBN: 978-3-10-397400-3

Unterstützen

Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.



Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:

Laura Klöppinger

… liebt die englische Sprache und Kultur, weshalb sie sich auch für das Anglistik (und Germanistik) Studium entschieden hat. Wenn sie nicht gerade liest oder Musik macht, diskutiert sie gerne über Doctor Who oder die neusten Indie-Rock Alben.

Sandra Hein | seitenwaelzer.de

Tatsächlich gelesen: Paddington Bear (Michael Bond)

Bild zeigt Luca auf der BühneDavid Hinkel

„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview

Inga Nelges | seitenwaelzer.de

Vom männlichen und weiblichen Blick – Ein Gang durch die „Nudes“-Ausstellung des LWL-Museums in Münster

Sandra Hein

Tatsächlich gelesen: The Wonderful Wizard of Oz (L. Frank Baum)

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies, mit der Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden. Hier gibt's weitere Infos.