Reportage / Studium

Nach Wien – Wegen der Sprache?

"Grüß Gott – I hätt gern an Käskrainer mit an Buckl und an G'schissnen. Dazu an Verlängerten und an 16er-Blech" (1) – eine Bestellung, die ein Wiener zwar nie in dieser Kombination aufgeben würde, aber die sprachlich durchaus dem Standard entspräche. Daher kann man nicht sagen, dass „Wien - wegen der Sprache“ so ironisch ist, wie es zuerst klingt. Die sogenannte Sprachbarriere kann durchaus auch innerhalb einer einzigen Sprache zu mehr als Komplikationen führen.
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Michael Cremann

 

Dieses Glitzerparadies führt mich zu einer der eher dunkleren Seiten Wiens vielmehr noch ganz Österreichs. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind dort wesentlich salonfähiger, als sie es hier sind. Kein Wunder, wenn neben den Sozialdemokraten und den Konservativen auch die Rechtspopulisten der FPÖ 25% der Sitze im Parlament stellen. Wo man sich in Deutschland an Glatzköpfe und Brüllaffen von der NPD irgendwie gewöhnt hat und gar nicht mehr so richtig hinhört, wundert man sich schon sehr, wenn in Polittalks ein H.-C. Strache von der FPÖ fremdenfeindliche Parolen aalglatt zur Diskussion stellt und in Videos auf Youtube.at eine Dame, die selbst vor 40 Jahren eingebürgert wurde die aktuelle Flüchtlingspolitik mit „Nach hause alle schicken!“ kommentiert.

So sehr mir gerade dieser Punkt sauer aufgestoßen ist, habe ich dennoch eine wunderbare Zeit in Wien verbracht, viel gelernt und einige neue Freunde gefunden. Ich werde mich mit Freude an viele interessante und lustige Begebenheiten erinnern. Auch wenn sie ihre kleinen und auch sehr großen Schrullen und Eigenheiten haben, habe ich die Menschen, die in Wien leben, lieb gewonnen und freue mich, bald wieder am Erdberg aufzuschlagen, in die Stadt eine (10) zu fahren um mich von Kultur und Geschichte erneut erdrücken zu lassen und danach den Tag in einem Beisl ausklingen zu lassen.

 

Reebecca

Ein völlig anderes Wien habe ich, Rebecca, als Musikerin erlebt. Im Gegensatz zu Michael hatte ich – dachte ich – das Glück, im ersten Bezirk wohnen zu dürfen, nur knapp 150m vom Stephansdom entfernt, im Zentrum des Zentrums. Zur Staatsoper bin ich fünf Minuten gelaufen, zum Museumsquartier weitere zehn. De facto konnte ich kaum mehr vom traditionellen Wiener Lebensstandard mitbekommen als in dieser Gegend.

Warum ich Wien gewählt hatte? Na klar, wegen der Musik! Mit Mozart, Schubert, Beethoven, Brahms und diversen Sträussen ist Wien DIE Metropole für klassische Musik, Oper und Konzert. Dazu trägt die von Michael erwähnte K&K-Historie maßgeblich bei, denn ohne die Habsburger Monarchie hätte Wien sich viele Annehmlichkeiten, wie die Staatsoper (damals Hofoper), das Burgtheater – für Theaterschauspieler, wie man mir sagte, der Tempel des Schauspiels, oder auch das Schlosstheater Schönbrunn nicht leisten können. Die Universität für Musik und darstellende Kunst hat in Europa mit 180 Studenten die größte Gesangsabteilung überhaupt, insgesamt studieren

3600 junge Musiker dort, was für eine künstlerische Uni wahnsinnig groß ist – nur zum Vergleich: In Detmold sind es insgesamt 600 und, man glaubt es kaum, es ist in Deutschland eine der größeren Hochschulen für dieses Fach. Dementsprechend ist die Gesangsabteilung so gut ausgestattet und spezialisiert, dass man überhaupt nicht weiß, welche Fächer man zuerst belegen soll. Allerdings ist es auch wesentlich unpersönlicher und im ersten Moment sehr eisig im Institut – hat man aber die Fassade und die Unsicherheit, die viele Sänger durch vermeintliche Arroganz überspielen, durchschaut, ist es einfach toll.

Diese Uni habe ich hauptsächlich auch wegen meiner Gesangslehrerin dort gewählt und bereut habe ich es nicht, der Unterricht in sämtlichen Fächern war für mich schlichtweg bahnbrechend. Auch über das Erasmus-Studium hinaus stehe ich in Kontakt mit vielen meiner Professoren und werde meine Gesangslehrerin auch trotz meines Bachelors in Detmold behalten. Um Michael nachzutun und auch ein paar Wiener Sprachschmankerl mit einzubinden, gab es heuer (11) auch eine typisch Wienerische Lehrerin, meine Liedprofessorin, die mitten im Unterricht mit einem lautstarken „ah ge bitte!!!“ ihren Ärger über den nicht synchronisierten Kalender ihres Handys zum Ausdruck brachte. Seitdem hab ich diesen Ausdruck auch mit Freuden in meinen Wortschatz aufgenommen. Mein Highlight war aber meine Klavierdozentin, die, als ich an einer Stelle in meiner Klaviersonate so gar keine Ahnung hatte, was ich da tue, nur sagte: „Rebecca, du spülst dir an Topfen, gö? I sags der nur!“ (12).

Abends kam in der Regel eine SMS von meinem Kommilitonen und inzwischen guten Freund Raoul mit „Hey, gehst du heute Abend in die Oper? Hast du schon Karten?“ oder „Du, im Konzerthaus spielt dieses total tolle Orchester heute und es gibt noch Karten – lass uns da hingehen!“ und in 9 von 10 Fällen bin ich auch mitgegangen. Das Konzerthaus und die Staatsoper waren mir am liebsten und das tolle in Wien ist, dass man in fast allen Häusern sog. Stehkarten für 3-5€ bekommt, während man im Normalfall für die Kartenpreise bis zu zwei Nullen dranhängen kann – eine super Sache für Studenten!

Das klingt alles zu schön im wahr zu sein: Aus dem schirchen (13) Detmold ins überwältigende Wien. Problem ist nur: Die Wiener wissen, dass die Stadt überwältigend ist und gerade im ersten Bezirk ist das deutlich zu spüren. Der traditionell konservative Wiener ist höchst patriotisch und sollte man an der Kärnter Straße oder am Stephansplatz einkaufen gehen, sollte man dies immer mit einem Augenzwinkern tun. Gerade Deutsche sind beim „kleinen Bruder“ nicht immer gern gesehen und im ersten Bezirk gilt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber Hauptsache es glänzt! Die Ballsaison ist das Frühlingshighlight in Wien, wo auch wirklich noch Walzer getanzt wird und eher weniger so manchem Abiball gleicht. Auch Karneval bzw. Fasching wird ganz anders angegangen – während in Köln (und ich muss es wissen, ich komme dort ursprünglich her) am 11.11. um 11:11h ein Gelage sondergleichen losbricht, wird in Wien um dieselbe Urzeit auf dem Stephansplatz mit knapp 2000 Leuten Quadrille getanzt – völlig anders, aber eben – und das ist mein persönliches Wien-Wort: gediegen.

Egal, was die Wiener machen, irgendwie wirkt es immer elegant und edel, ich habe keine Ahnung, wie die das anstellen. Kleider machen Leute und Designernamen erst Recht – „zumindest so tun als ob“ war meine Devise in „meinem“ ersten Bezirk. Bezeichnend war ein Moment, als ich ein Abendkleid brauchte und mit zweien meiner Freunde bereits lange im Laden verschiedenste Modelle anprobiert hatte. Die Verkäuferin, die uns bislang mit Ignoranz beglückt hatte, fragte irgendwann halbherzig „Sie kommen zurecht, gö?“ und auf meine Antwort, dass ich ein Kleid bräuchte, in dem ich gescheit atmen könnte und meine Freunde mich aufforderten zu singen, wurde sie schon stutzig. Als ich dann noch sagte „Oh. Entschuldigen Sie, ich bin Opernsängerin“ drehte sich das Verhalten um 180 Grad und plötzlich sah ich mich mit 10 Kleidern, 5 Taschen, 2 Boleros, einer Kundenkarte und Vorwürfen, warum ich früher nicht da gewesen sei, ausgestattet. Ich denke prägnanter kann man den ersten Bezirk nicht darstellen.

Wien hat mich in nahezu allen Lebensbereichen vieles gelehrt. Es kommt mir vor, als seien Jahre vergangen, seitdem ich aus Deutschland weggegangen bin und ich bin dankbar für jede Erfahrung, sowohl die guten als auch die weniger schönen. Auch ich habe viele Freunde gefunden, die wohl tollste Gesangslehrerin die ich bislang hatte, gemerkt, dass man nicht immer überall willkommen ist und letztendlich: Es ist alles eine Frage der Herangehensweise und der Offenheit.

Gesangstechnisch bin ich um Welten vorwärtsgekommen, habe auf der Bühne tolle Erfahrungen gesammelt.

Es gab Phasen, in denen ich nur aus Wien weg und mich in meiner Wohnung verkriechen wollte, aber mittlerweile kann ich wieder sagen: Gott, ich liebe diese Stadt. So sehr, dass ich nun wieder darüber nachdenke, bald dorthin zurückzugehen.

 

Dies ist ein Gastartikel von Michael Cremann und Rebecca Blanz.

 


(10) In Wien sagt man „eine“ statt „hinein“

(11) In diesem Jahr, dieses Mal und alles ähnliche

(12) „Rebecca, du spielst dir einen Müll zusammen! Ich sag‘s dir nur“ (Topfen ist eigentlich Quark, keine Ahnung, warum die das da jetzt verwenden)

(13) Hässlich, langweilig

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