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Rezension: Wie man ein Buch liest (Mortimer J. Adler & Charles Van Doren)
Schon in den 40er Jahren fiel an Universitäten auf, dass Studenten sich schwertaten, akademische Texte zu erschließen. Die Autoren Mortimer Adler und Charles Van Doren stellten daraufhin Lesetipps zusammen.
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Das Semester ist in vollem Gange und so mancher Studi, insbesondere Erstsemester, erstickt in Texten. Gerade in den Geisteswissenschaften gibt es als Hausaufgabe mal eben drei „kurze“ Aufsätze zu lesen. À 40 Seiten. Pro Veranstaltung. Die Literatur, die man extra für Hausarbeiten und Referate sichten muss, ist dann noch gar nicht berücksichtigt.
Wenn du dich jetzt fragst, ob es einen Weg gibt, diese Mengen einfacher zu bewältigen, gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute: Ja, das geht sogar recht simpel. Die Schlechte: Dazu musst du erst einmal ein Buch von 360 Seiten lesen. Halt! Den Artikel noch nicht schließen, lass mich zuerst erklären!
Die Sache mit dem Lesen
„Viele Schüler schneiden in der Highschool schlecht ab, weil sie nicht in der Lage sind, einer Seite von Gedrucktem zu entnehmen, was sie aussagt. Sie könnten ihre Leseleistung steigern, sie müssten ihre Leseleistung steigern, aber sie tun es nicht. […] [Der Durchschnittsabgänger der Highschool] kann einen einfachen Roman lesen und seinen Spaß daran haben. Soll er jedoch eine knappe Einführung, eine bündig formulierte Argumentation oder einen Passus kritisch lesen, weiß er nicht, wie er vorgehen soll.“
MURSELL, James (ohne Datum), zitiert in „Wie man ein Buch liest“, Frankfurt a. M. 2007, S. 11
„Wie man ein Buch liest“ wurde erstmals in den 40er Jahren veröffentlicht. Schon damals fiel an Universitäten auf, dass Studenten „nicht mehr richtig lesen können“. Damit war gemeint, dass sie sich schwertaten, akademische Texte zu erschließen. Die Autoren Mortimer Adler und Charles Van Doren stellten daraufhin Lesetipps zusammen, die so aktuell sind, dass das Buch 2007 noch einmal neu aufgelegt wurde. Sie unterteilten das Lesen in vier verschiedene Stufen, jede mit ihren eigenen Anforderungen.
Die vier Stufen des Lesens nach Adler und Van Doren
Die erste Stufe, das elementare Lesen, ist die Befähigung, sich über Buchstabenfolgen erst Wörter, dann Sätze und schließlich Sinnzusammenhänge zu erschließen. Das ist gar nicht so banal, wie es klingt, auch wenn wir es seit der Grundschule lernen. Lesen ist eine Fähigkeit, die für unser Gehirn nicht natürlich ist. Wird diese Fähigkeit nicht geschult, dann ergeht es ihr wie einem Muskel, wenn man das Training schleifen lässt.
Die zweite Stufe ist das prüfende Lesen. Hier geht es nicht darum, einen Text in Gänze zu verstehen, sondern ihn nach ganz spezieller Technik zu überfliegen, um zu beurteilen, ob er für eine bestimmte Fragestellung geeignet ist. Das ist für jede Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Arbeit von unschätzbarem Wert, weil man dadurch mehr Bücher in weniger Zeit prüfen kann, ohne Gefahr zu laufen, ein wichtiges zu übersehen.
Die dritte Stufe ist das analytische Lesen. Dabei werden nun Fragen an den Text gestellt und er somit gründlich durchgearbeitet. In diesem Zuge wird zum Beispiel seine Struktur offengelegt, Schlüsselbegriffe identifiziert, die Absicht des Autors herausgearbeitet und kritisch hinterfragt etc.
Die letzte Stufe nennen Adler und Van Doren das syntopische Lesen. Dies bedeutet, Passagen mehrerer Werke schnell in Beziehung zueinander zu setzen. Das syntopische Lesen baut auf dem prüfenden Lesen auf. Wenn man eine bestimmte Anzahl an Büchern überflogen und beispielsweise vierzig Stück nach den Regeln der zweiten Lesestufe als aussichtsreich markiert hat, helfen die Techniken des syntopischen Lesens dabei, dass diese vierzig Bücher nicht alle analytisch durchgearbeitet werden müssten, was enorm viel Zeit kosten würde. Stattdessen werden die wesentlichen Passagen sofort so systematisiert, dass sie sich schnell im Kopf und auf dem Papier miteinander verbinden lassen.
Allgemeine Tipps
Aber was tun, wenn man sich schon mit dem Lesen an sich schwertut? Wie sollen diese abstrakten Regeln dann funktionieren? Auch dafür hat „Wie man ein Buch liest“ Tipps parat: Man sollte beispielsweise jeden Text in angemessenem Tempo lesen. Dies verhindert, dass man sich selbst damit überfordert. Um den „Muskel“ Gehirn zu trainieren, sollte man seine Bücher, egal welcher Art, dabei immer so auswählen, dass sie einen leicht fordern. Hat man eines davon gemeistert, muss das nächste wieder nach dem gleichen Kriterium gewählt werden. So wächst die Lesefähigkeit Stück für Stück und damit auch die Lesegeschwindigkeit. Das funktioniert übrigens auch mit Unterhaltungsliteratur, wie Lisanne hier beschrieben hat.
Darüber hinaus haben Adler und Van Doren viele Tipps zu spezifische Textgattungen aus verschiedenen Disziplinen und geben auch Hilfe für das Lesen von Belletristik. Für diejenigen, die nicht ganz wissen, wo sie anfangen sollen, gibt es im Anhang eine große Literaturliste mit lesenswerten Büchern, sowie den Leseregeln als Kopiervorlage, um sie immer parat zu haben.
Fazit
„Wie man ein Buch liest“ ist selbst sehr angenehm zu lesen. Die Kapitel sind in kurze Unterkapitel eingeteilt und mit einem Augenzwinkern geschrieben. Für die verschiedenen Techniken gibt es reichlich Beispiele sowie am Ende der Kapitel noch einmal sehr präzise Zusammenfassungen. Es wird kein Oberlehrerton angeschlagen, vielmehr möchte man dabei helfen, dass die Beschäftigung mit einem Buch, insbesondere einem wissenschaftlichen, nicht zur Last wird.
Klar, das Ganze braucht Zeit und gerade diejenigen, die das Lesen bisher nicht besonders mochten, werden anfangs ächzen. Aber es ist auch ermutigend, zu bemerken, wie schnell sich dein Gehirn anpasst. Nebenbei verbessern sich auch deine Ausdrucksweise und Rechtschreibung, was bedeutet, dass dir auch das Schreiben leichter von der Hand geht.
All diese Tipps können letztendlich also enorm Zeit sparen, die dann für Freizeitaktivitäten zur Verfügung steht, was deinen Stress reduziert. Ich wünschte, ich hätte dieses Buch schon zu Beginn meines Studiums gekannt und rate jedem, es fachunabhängig zu kaufen.
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Dominik Schiffer
Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.
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