Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Der Fürst (Niccolò Macchiavelli)

Nachdem ich schon in den letzten beiden Artikeln Bücher über Teufel und Hölle rezensiert hatte, wurde mir beim Verfassen dieses […]
| Dominik Schiffer |

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unbekannt

Nachdem ich schon in den letzten beiden Artikeln Bücher über Teufel und Hölle rezensiert hatte, wurde mir beim Verfassen dieses Artikels bewusst, dass das nächste Buch unbeabsichtigt (oder unbewusst?) eine Trilogie vervollständigen würde. Sein Verfasser wurde nach seinem Tod stark angefeindet, man war europaweit entsetzt über seine Schrift und im Englischen steht er mit dem Spitznamen „Old Nick“ sogar sinnbildlich für den Leibhaftigen. Auch in unserer Zeit bezeichnet Macchiavellismus eine hochgradig manipulative Persönlichkeitsstörung. Aber ist all dieser Hass wirklich gerechtfertigt? Basiert das negative Bild von Niccolò Macchiavelli (1469-1527) vielleicht eher auf der Rezeption seines Textes anstatt auf dem Text selbst?

Der Fürst ist ein Traktat, je nach Übersetzung ungefähr 100 Seiten umfassend. Laut Macchiavelli schrieb er es als Handreichung für Fürsten, um ihnen zu helfen, Macht zu erringen und zu behalten. Macchiavelli reiste in seiner Funktion als Diplomat lange Zeit umher und hielt hier seine direkten Beobachtungen verschiedener Fürstenhöfe fest. Zusätzlich zog er verschiedene Beispiele aus antiken Überlieferungen zur Untermauerung seiner Vorschläge heran.

Das Werk zählt strukturiert zunächst die verschiedenen Formen der Fürstenherrschaft nach der Art, sie zu erringen, auf, also ob der Titel geerbt, im Kampf gewonnen oder Ähnliches wurde. Danach beschäftigt es sich mit der Frage, wie das Herrschaftsgebiet ausgedehnt werden kann, auf welche Verbündete man dabei setzen sollte und wie man die Loyalität seiner Gefolgsleute nachhaltig sicherstellt.

Was den Zeitgenossen so sauer aufstießen ließ, ist in Wahrheit die große Stärke des Werks. Macchiavelli wagt hier einen schonungslosen Blick in die menschliche Seele. Er legt anhand von Beispielen immer wieder dar, dass die klassischen Herrscherideale, insbesondere jene durch die Geistlichkeit gepriesenen, kein geeignetes Mittel sind, Macht zu erhalten. Zu diesen gehören beispielsweise Milde, Güte, Bescheidenheit, Frömmigkeit und viele mehr. Weit entfernt von hohen Luftschlössern erweist er sich als kühler, zynischer Beobachter komplexer sozialer Zusammenhänge.

„Einen Fürsten darf es daher nicht kümmern, der Grausamkeit bezichtigt zu werden, wenn er dadurch bei seinen Untertanen Einigkeit und Ergebenheit aufrechterhält; er erweist sich als milder, wenn er nur ganz wenige Exempel statuiert, als diejenigen, die aus zu großer Milde Mißstände einreißen lassen, woraus Mord und Raub entstehen; denn hierdurch wird gewöhnlich einem ganzen Gemeinwesen Gewalt angetan.“

Der Fürst, Niccolò Macchiavelli

Wiederholt appelliert er an die Fürsten, sich vor allem das Volk gewogen zu halten und bedächtig vorzugehen. Dies gilt nicht nur für den Einsatz von (nach seiner Ansicht zwingend notwendigen) Grausamkeiten, sondern auch für die Auswahl der Verbündeten.

Verdammt wurde er für seinen Blick auf die Realität von weltlicher und geistlicher Herrschaft gleichermaßen, auch wenn einige, wie Friedrich der Große, dennoch die Ratschläge des Textes anwandten. Macchiavelli selbst hat vermutlich eher eine Vereinigung der zersplitterten italienischen Fürstentümer unter einem geeigneten Fürsten angestrebt, die zu seiner Zeit von allen Seiten bedroht schienen. Es mag mit dieser Verdammung zusammenhängen, dass Macchiavellis Name synonym für einen kaltherzigen Machtpolitiker wurde, auch wenn sein Bestreben ein anderes war.

Dieser Deutung möchte ich nicht folgen, denn mir hat der Text ungemein gut gefallen. Vielleicht ist es der Abstand der Jahrhunderte und die Tatsache, dass absolutistische Herrschaft in Europa, wie Macchiavelli sie kannte, ausgestorben ist. Aber für mich hat sich der Text als eine wunderbare Satire auf das menschliche Wesen gezeigt. Es wirkt fast augenzwinkernd, wenn Macchiavelli genüsslich die hehren Ideale seziert sowie die Verführbarkeit des gemeinen Volkes darlegt. Blickt man sich heute auf der Welt um, so wird man dies schmerzlich wiedererkennen. Macchiavelli hat also nur einige elementare Wesenszüge im Menschen erkannt und benannt. Ob ihm dafür Dankbarkeit gebührt oder nicht (schließlich hat der Text viel Unheil angerichtet), steht auf einem anderen Blatt, aber ihn für seine Wahrhaftigkeit buchstäblich zu verteufeln, geht mir persönlich schlichtweg zu weit. Wer einen Text mit erhellenden Einsichten über die eigene Psyche und die der Massen lesen möchte, bei dem man auch noch schmunzeln muss, der ist mit Der Fürst bestens beraten.

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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