Tatsächlich gelesen: Lysistrate/Λυσιστράτη (Aristophanes)
Das Stück spielt in Athen zur Zeit des Peloponnesischen Krieges. Dort treffen sich zu später Stunde die Frauen Athens mit Lysistrate.
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Anlässlich des Internationalen Frauentags nehmen wir uns in unserem Streifzug durch die Literatur der Antike ein Werk vor, in dem Frauen den Ton angeben. Wie im Altertum üblich, war auch im damaligen Griechenland ihre Rolle sehr auf Haus und Hof beschränkt. Lediglich in Athen genossenen Frauen ein paar Freiheiten. Die dortige Demokratie verlangte von den Männern häufig Präsenz bei den Volksversammlungen, sodass die Frauen in deren Namen Geschäfte tätigen durften. Im übrigen Hellas war ihnen dies kaum möglich. Der zu damaliger Zeit berühmte Komödiendichter Aristophanes (ca. 450 – 380 v. Chr.) hat das politische Gespür der Frauen aber wohl erkannt und lässt es in seiner Komödie Lysistrate auf die Unvernunft der Männer treffen.
Das Stück spielt in Athen zur Zeit des Peloponnesischen Krieges. Dort treffen sich zu später Stunde die Frauen der Stadt unter der Führung von Lysistrate und Spartanerinnen im Gefolge von Lampito. Beide Seiten haben den Krieg satt, in dem sie um ihre Ehemänner und Söhne bangen müssen, nur wegen des Stolzes der Politiker. Lysistrate (übersetzt: Die Heeresauflöserin) weiht die anderen Frauen in ihren Plan ein: Sie alle sollen den Männern den Sex vorenthalten und gleichzeitig die Festung in Athen besetzen, wo die Staatskasse verwahrt wird. So sollen die Ratsherren zum Einlenken gezwungen werden. Die übrigen Frauen stimmen zögernd zu, haben sie doch auch Spaß am Sex. Doch Lysistrate überzeugt sie schließlich, einen Eid zu schwören, um im Dienste des Friedens die Männer wieder zur Vernunft zu bringen. Die Ratsherren Athens müssen daraufhin bald feststellen, dass ihnen sowohl der Zugang zu ihrem Gold als auch zu den Frauen verwehrt bleibt, und ihnen nur ein altersschwacher Trupp Kriegsveteranen zur Seite steht, um die Festung zurückzuerobern.
Lysistrate: Deshalb habe ich damals den Mund gehalten. Später erfuhren wir von einem noch schlechteren Beschluss, den ihr fasstet. Da fragten wir dann wohl: ‚Warum macht ihr so hirnlos Politik, Mann?‘ Und sofort blickte er mich ärgerlich an und sagte, wenn ich nicht meinen Faden spänne, würde ich lange über meinen Kopf jammern: ‚Der Krieg ist Sache der Männer‘.
Ratsherr: Mit Recht hat er das gesagt, beim Zeus!
Lysistrate: Wieso mit Recht, du Wahnsinniger, wo uns doch nicht einmal dann, wenn ihr einen schlechten Beschluss fasstet, erlaubt wurde, euch einen Rat zu geben? Als wir euch nun aber schon auf den Straßen sagen hörten […] beschlossen wir Frauen sofort danach, uns zusammenzutun und gemeinsam Griechenland zu retten. Denn worauf hätten wir warten sollen? Wenn ihr nun bereit wärt, uns jetzt zuzuhören, falls wir etwas Nützliches sagten, und den Mund zu halten wie wir, könnten wir euch wieder auf die Beine helfen.
Aristophanes: Lysistrate, Zeile 516 – 528
Die Komödie hat mir extrem gut gefallen, auch wenn sie sehr derb und zotig ist. Etwas befremdlich war jedoch, dass der Übersetzer meiner Version entschieden hat, den Dialekt Spartas in Altbayerisch wiederzugeben. Angeblich ist dies oder Ähnliches bei der Übersetzung des Stücks üblich. Viele der Anspielungen stammen natürlich aus der antiken Sprache und sind aus unserem heutigen kulturellen Hintergrund heraus kaum noch verständlich. Aber auch ohne die Erklärungen im umfassenden Anhang sind noch genügend Anzüglichkeiten klar erkennbar. Die Situationskomik bleibt ebenfalls erhalten, wenn beispielsweise eine junge Frau ihren Geliebten mit den absurdesten Vorwänden davon abhält, mit ihr zu schlafen, oder Lysistrate einige Frauen erwischt, die sich fortschleichen wollen, um ihren Eid zu brechen. Auch das ständige Klagen der alten Veteranen, die der Aufgabe längst nicht mehr gewachsen sind und gegen den Witz und Einfallsreichtum der Frauen Mal um Mal den Kürzeren ziehen, ist wirklich spaßig.
Dennoch betreibt Aristophanes hier keine Schwarz-Weiß-Malerei. Obwohl er sich für die Frauen starkmacht, sind sie keine Verkörperungen makelloser Tugend. Auch ihnen fällt ihr Gelübde schwer, doch sind sie bereit, die Entbehrungen für sich, ihre Männer an der Front und für den Frieden in ganz Griechenland auf sich zu nehmen. Man könnte nun viel über die Rollen der Geschlechter diskutieren, die Möglichkeiten Unterdrückter, sich gegen die Herrschaft aufzulehnen, die Unsinnigkeit von Kriegen etc. Man kann vermutlich all dies in Lysistrate finden. Insbesondere empfehle ich das Stück aber jenen Theaterregisseur*innen, die glauben, sie hätten durch Vorstellungen mit nackten Schauspieler*innen etwas Progressives geschaffen. Denn wie die Regieanweisungen belegen: Erigierte Penisse gab es bereits in der Antike in rauen Mengen auf der Bühne. Nur musste man sie nicht verschämt zur Metapher erklären.
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Dominik Schiffer
Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.
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