Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Katz und Maus (Günter Grass)

In Katz und Maus erzählt der Ich-Erzähler rückblickend von seiner Freundschaft zu einem gleichaltrigen Jungen namens Joachim Mahlke.
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Rasmus Jarborg | Unsplash

„Grass hat nicht nur Die Blechtrommel geschrieben. Er hat eine glänzende Erzählung Katz und Maus geschrieben […], er ist ein Lyriker, der bis heute unterschätzt wird!“

Marcel Reich-Ranicki in der ZDF-Sendung „Das Literarische Quartett“ vom 24. August 1995

Mit einem solchen Urteil im Hinterkopf habe ich mir das erste Werk für das diesjährige Nobelpreisträger-Special vorgenommen. Einerseits hatte ich etwas Sorge, dass solche Vorschusslorbeeren mir vielleicht zu hohe Erwartungen aufnötigen würden, andererseits hatte ich sowohl bei Golding als auch bei García Marquez ähnliche Hymnen gehört und war am Ende begeistert. Nun also zu einem deutschen Literaturnobelpreisträger. Günter Grass (1927-2015) erhielt die Auszeichnung, nachdem er immer wieder vergeblich vorgeschlagen worden war, schließlich im Jahr 1999. Die Erzählung Katz und Maus zählt zu seinen bedeutendsten Werken. Was sollte da also schiefgehen? Nun ja … alles!

In Katz und Maus erzählt der Ich-Erzähler rückblickend von seiner Freundschaft zu einem gleichaltrigen Jungen namens Joachim Mahlke. Beide wachsen in Danzig zur Zeit des Zweiten Weltkrieges auf. Mahlke versucht stets, sich mit tollkühnen Aktionen von seinem Außenseiterdasein zu lösen. Zentrum der Handlung ist seine Faszination von der Auszeichnung des Ritterkreuzes, die er zunächst stiehlt, später dann im Krieg tatsächlich erwirbt; sein Traum nach gesellschaftlicher Anerkennung wird allerdings durch den vorigen Diebstahl zunichtegemacht. Enttäuscht will er danach desertieren, doch durch die Absicht seines vermeintlichen Freundes, des Ich-Erzählers, kommt er wahrscheinlich ums Leben.

„Die Katze kam übend näher. Mahlkes Adamsapfel fiel auf, weil er groß war, immer in Bewegung und einen Schatten warf. Des Platzverwalters schwarze Katze spannte sich zwischen mir und Mahlke zum Sprung. Wir bildeten ein Dreieck. Mein Zahn schwieg, trat nicht mehr auf der Stelle: denn Mahlkes Adamsapfel wurde der Katze zur Maus. So jung war die Katze, so beweglich Mahlkes Artikel – jedenfalls sprang sie Mahlke an die Gurgel; oder einer von uns griff die Katze und setzte sie Mahlke an den Hals; oder ich, mit wie ohne Zahnschmerz, packte die Katze, zeigte ihr Mahlkes Maus: und Joachim Mahlke schrie, trug aber nur unbedeutende Kratzer davon.

Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte, muß nun schreiben. Selbst wären wir beide erfunden, ich müßte dennoch.“

Grass, Günter: Katz und Maus (1961), S. 1

Grass hat für seine Erzählung eine unübliche Form gewählt. Die Erzählung wechselt zwischen Anekdoten und Ansprachen an Mahlke. Die Beziehung zwischen beiden Figuren wird also nur aus der Perspektive des Ich-Erzählers beschrieben. Er ist abwechselnd spöttisch, bewundernd oder eifersüchtig in Bezug auf Mahlke. Über den Roman hinweg versucht Grass einen Einblick in die Lebensrealität Heranwachsender in dieser Zeit und vermutlich auch durch diese Skizzierung eines typischen Lebenslaufes einen Einblick in die Psyche der damaligen Jugend zu geben.

Ich kann das alles nur vermuten, weil mir dieses Buch vollkommen verschlossen geblieben ist. Ich finde Grass‘ Stil hier absolut unerträglich, vielleicht sogar unlesbar. Was in dem Zitat oben nicht ganz deutlich wird: Seine Sätze sind unglaublich holprig zu lesen, ständig springt er innerhalb des Satzes, dreht dessen Richtung oder lässt ihn einfach unvollendet ausklingen. Das alles könnte ich ja anerkennen als eigenwilligen Stil, wenn es irgendwie mit dem Inhalt verbunden wäre, wie beispielsweise im Ulysses von James Joyce. Aber hier gerät es rein zum Selbstzweck. Seite um Seite habe ich mich gequält und so gut wie nichts Inhaltliches daraus mitgenommen.

Aber die komplexe Form kann nicht der alleinige Grund gewesen sein, denn da habe ich schon ganz andere Bücher mit Vergnügen gelesen. Ich vermute darum eher, dass dieses Buch seltsam aus der Zeit gefallen ist. Erschienen 1961, mag es für die Kriegs- und die unmittelbare Nachkriegsgeneration eine wichtige Bedeutung gehabt haben. Es geht um eine Bewältigung der deutschen Vergangenheit. Das war damals wie heute zwar ein wichtiges Thema, doch war die Zeit und vor allem die Situation der Zeitzeugen eine andere. Damals war eine solche Novelle vielleicht sehr viel zugänglicher, weil ehemalige Mitläufer, Kollaborateure und Widerständler noch nebeneinander lebten. Ich vermute, dass die Geschichte diesen klaren Bezug zu einer greifbaren Vergangenheit braucht, um ihre Wirkung entfalten zu können. Sie hat sicherlich eine Identifikationsfläche für viele geboten, die etwa denselben Jahrgang wie Günter Grass hatten. Aber mir als heutigem Leser ist die Botschaft nicht eingängig geworden.

Ich habe es noch nie erlebt, dass ich an einem Buch überhaupt nichts Positives finden konnte. Selbst wenn ich die Geschichte als gelungen ansehen würde, der Stil hätte mir das Lesen vermutlich dennoch verleidet. Es ist ein Buch, über das man vermutlich zurecht im Deutsch-LK stöhnen würde. Darum kann ich hier nur absolut von einem Nachlesen abraten! Vielleicht lohnt sich ja zumindest die Blechtrommel …

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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