Kultur und Medien / Meinung

Inspiration im fiktiven Schreiben – woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Fiktives Schreiben ist eine hohe Kunst. Neben dem Schreiben selbst, ist das Finden dieser großartigen Ideen die größte Schwierigkeit. Im Folgenden findet ihr drei Beispiele meiner Ideenfindung.
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Auf einen Block ist händisch das Wort Ideen geschriebenMichael Cremann

Fiktives Schreiben ist eine hohe Kunst. Eine Kunst, die wir hier bei seitenwaelzer mittlerweile für diverse (Hörspiel-)Projekte praktiziert haben. Das Heldenpicknick, Björn auf seinem Törn und die magischen Reisen des Herrn Alexander sind nur drei davon. Neben dem Schreiben selbst, also dem Verständlichmachen einer zweifelsohne großartigen Idee, sodass sie in Textform anklang bei den Lesenden findet, ist das Finden dieser großartigen Ideen die größte Schwierigkeit.

Ich werde oft gefragt, wo ich die Inspiration finde, mir immer wieder Geschichten von Mallorca-Kneipiers, Zauberern, Drachen und Zwergen auszudenken.

Zuerst einmal kann ich aus Erfahrung sagen, dass das geflügelte Wort stimmt, das da besagt, dass man nichts Neues mehr erfinden kann – man kann nur Bekanntes neu kombinieren. Man nehme also eine Idee, füge eine zweite und eine dritte hinzu und würze sie mit einer vierten, so erhält man eine neue Idee, eine neue Geschichte. Im Folgenden findet ihr drei Beispiele, zu denen ich die drei verschiedenen Herangehensweisen erkläre, sodass ihr beim (erneuten) Hören vielleicht die Überreste des Entstehungsprozesses erkennt:

Heldenpicknick Staffel 2 – Der Rabe erwacht

Hier habe ich mich verschiedener Motive und Geschichten bedient, die ich zu einer neuen Story zusammengefügt habe. Am Anfang wusste ich nicht, was in diesem Abenteuer passieren sollte, ich wusste nur, dass die Protagonist*innen am Ende ein Paket in den Händen halten werden. Außerdem wusste ich, dass es sich um ein Pen&Paper-Abenteuer handeln würde, dass also die Protagonist*innen einen großen Teil der Story selbst bilden. Deshalb musste ich “nur” ein Gerüst und eine Stimmung herstellen und keine Details ausformulieren. Dennoch sind die Techniken, die ich hier angewendet habe, genauso hilfreich für nicht improvisierte Geschichten. Anstatt die Handlung mit anderen Leuten zu „spielen“, muss man sich eben allein alle Details ausdenken.

Als Grundlage für „Der Rabe erwacht” legte ich mir das Gerüst eines „Whodunit“, eines sehr klassischen Krimis, zurecht. Ich suchte nach einer Gegend, in der es plausibel wäre, einen Ort für einen Tag von der Außenwelt abzuschneiden und fand das Bornland, aus der Welt des Schwarzen Auges, als perfekte Grundlage. Dieses wiederum selbst locker am mittelalterlichen Russland orientierte Gebiet brachte hier die mürrischen Bauern mit den strengen, schneereichen Wintern zusammen.
Am Ende habe ich den Schauplatz dennoch in eine gemäßigtere Region versetzt, das Motiv des Eingeschneit-seins und auch die Bauern sind aber geblieben.

Dazu gefiel mir die Stimmung des Romans Prinz der Dunkelheit, sodass ich mich bei einigen Motiven an den dort angelegten Figuren orientierte. Um den Antagonist*innen einen besonderen Charakter zu geben, bediente ich mich noch beim bekannten Motiv des traurigen, dann bösen Clowns. Natürlich angepasst an das mittelalterliche Setting, das aus den bösen Clowns die heruntergekommenen Gaukler machte.

Viele Motive und Ideen mischen sich hier also zu einer ganz neuen Geschichte. Bei dieser Story haben die Spieler*innen natürlich besonders geholfen und den Witz und die Spannung in die Geschichte gebracht. Wichtig war mir hier – und das ist es immer im Heldenpicknick – die vom Spiel vorgegebenen Regeln und Richtlinien genauso wie “Wahrheiten”, die vielleicht aus einem Vorbild oder der vorgegebenen Welt in die Story herübergeschwappt sind, im Zweifel immer für die gute Story zu opfern.

Björn auf seinem Törn

Bei diesem Hörspiel bin ich nicht mit verschiedenen Ideen gestartet, sondern habe mich in der Form immer weiter eingeschränkt, bis durch die “Regeln der Geschichte” eine spannende Story erzeugt wurde. Zuerst war klar, dass wir ein Hörspiel machen wollten. Das hieß, eine besonders bildgewaltige Geschichte fiel schon mal aus. Das Standard-Hörspiel verfügt über eine*n Erzähler*in, doch der raubt oft die Immersion und außerdem ist die Herausforderung größer, wenn es keine*n Erzähler*in gibt. Schränkt man sich so weit ein, bleiben nur noch wenige Formate übrig.

Denn ohne Erzähler*in muss entweder die Umgebung durch Geräusche klar erkennbar sein, oder von den Protagonist*innen beschrieben werden. Was aber bringt einen Menschen dazu, seine Umgebung zu beschreiben? Er muss seine Lage einer anderen Person schildern, die sie nicht sieht. Mit diesen Prämissen kommt man schnell zum Thema Funk. Jemand, der einer anderen Person per Funk oder Telefon etwas erzählt, kann beschreiben und auf die Umgebung reagieren, ohne dass es künstlich wirkt. Mit der Idee der Funksprüche war aber auch klar, dass nur je eine Person sprechen würde. Eine weitere Beschränkung, die weitergedacht zu dem einzigen Protagonisten – zu Björn- führt.

Auf der Suche nach Szenarien, die all die oben genannten Anforderungen erfüllen würden, schränkte ich mich dann weiter ein, indem ich Science-Fiction-Geschichten ausschloss, einfach, weil das der leichteste Weg zu einer “Funk Story” gewesen wäre. Woher genau die Idee mit dem Boot und den Horrorelementen kam, weiß ich nicht mehr, ich weiß aber, dass es mir wie eine Erleuchtung vorkam, als ich die Story grob in einem Dokument zusammenfasste. Die genauen Texte schließlich sind erst bei der Aufnahme entstanden. In nur einer Session habe ich die ganze Story in chronologischer Reihenfolge in einem recht stickigen Studio aufgenommen. Das führte dazu, dass die immer weiter steigende Anstrengung von “Funkspruch” zu “Funkspruch”, von Folge zu Folge gut zu hören sind. Dass ich den Text improvisiert habe, hat außerdem den Vorteil, dass er authentischer klingt als ein in langer Kleinarbeit geschliffener Monolog.

Die Magischen Reisen des Herrn Alexander

Bei der Konzeption der “Magischen Reisen des Herrn Alexander” haben wir uns von den beiden oben genannten Seiten an die Story herangewagt. Es war auf der einen Seite klar, dass wir erneut ein Hörspiel ohne Erzähler*in haben wollten, auf der anderen Seite stand mit der Biographie des tatsächlichen Friedrich “Alexander” Heimbürger auch die Story schon im groben Rahmen fest.

Wir machten uns also daran, aus der Biographie die Stellen herauszusuchen, die zum einen den Charakter des Herrn Alexander bestens darstellten, auf der anderen Seite aber auch für Hörer*innen gut zu verstehen wären. Dabei kamen die acht Folgen heraus, die ihr nun hören könnt. Weiterhin fügten wir den kleinen Bruder, August Heimbürger, schon früher als in der Realität der Story hinzu, um eine Identifikationsfigur und einen Gesprächspartner zu schaffen. Auch hier konnten wir uns aber an der Biographie orientieren, da August am Ende erwähnt und beschrieben wird. Trotz dieser gravierenden Änderung war es unser Ziel, möglichst viel vom Originaltext der Lebensgeschichte zu erhalten, sodass an einigen Stellen die “echten” Worte des Herrn Alexander zu hören sind!

Jetzt kommst Du!

Ich hoffe mit dieser kleinen Aufzählung von verschiedenen Herangehensweisen, konnte ich dem einen oder der anderen helfen, die eigenen Geschichten anzugehen und vielleicht eine Inspiration geben. Viel Spaß beim Schreiben, beim Sprechen oder Zeichnen, oder wie auch immer Du Deine Geschichte an Dein Publikum bringen willst!

P.S.: Eine wichtige Inspiration für mein Schreiben zum aktuellen Heldenpicknick ist dieser Song. Hört mal rein, vielleicht findet ihr schon das eine oder andere Element wieder und vielleicht verrät es euch auch schon eine Kleinigkeit über das große Finale unseres Heldenpicknicks in Staffel 9!

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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1 Antworten zu “Inspiration im fiktiven Schreiben – woher nehmen, wenn nicht stehlen?”

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